Jahrhundertelang wurden die Universitäten in Irland von Männern geführt. Jetzt wird eine Glasdecke nach der anderen durchstoßen: Mit der neuen Leiterin des „Trinity College“ Dublin, Linda Doyle, übernimmt die vierte Frau ein hohes akademisches Amt. Die erste aber war Professorin Kerstin Mey – die Berlinerin leitet seit Sommer 2020 die Universität Limerick.
Von Mareike Graepel, Dublin
Seit Beginn der akademischen Lehre auf der sogenannten „Grünen Insel“ haben ausschließlich Männer 428 Jahre lang die Universitäten geleitet – bis 2020. An vier von zehn irischen Hochschulen haben nun Frauen die Chefbüros bezogen. Die aktuellste Neubesetzung der Rektor*innenposition erfolgte an der ältesten Uni Irlands, dem berühmten „Trinity College“.
Wohnen können Frauen auf dem Dubliner Campus erst seit den 1960er Jahren, obwohl sie seit 1904 dort studieren dürfen. Es gibt keine Belege mehr darüber, wie es die erste Studentin, eine junge Frau aus Derry namens Isabel Marion Weir Johnston, „überhaupt geschafft hat, sich einzuschreiben“, schreibt Susan Parkes, Herausgeberin von „Danger to the Men? Eine Geschichte der Frauen im Trinity College Dublin 1904 – 2004“. „In den ersten Monaten hat sie keine Vorlesungen besucht, aber im Sommer 1904 trotzdem die Prüfungen abgelegt.“
Weir Johnston studierte zwei Jahre lang Englisch und Französisch, bevor sie sich in einen Junior Fellow verliebte, der Vorlesungen in Klassischer Philologie hielt. Sie heirateten und sie schloss den Aufzeichnungen zufolge ihr Studium nie ab. Aber ein Platz in der Geschichte der ältesten Universität Irlands – 1592 ironischerweise gegründet von einer Frau, von Königin Elizabeth I., – ist ihr dennoch sicher. Heute sind 50 Prozent der Studierenden am berühmten „Trinity College“ weiblich und etwa ein Drittel der Lehrkräfte.
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Aber erst jetzt, 2021, ändert sich die akademische Vormachtstellung in Irland, dafür aber rasant: Mit der Wahl der aus Cork stammenden 53-jährigen Linda Doyle zur neuen Hochschulleiterin des „Trinity College“ in Dublin wird die vierte Führungsposition in der akademischen Bildung in kurzer Folge mit einer Frau besetzt. Dass es eine Frau sein würde, war zuvor klar – es gab keinen männlichen Bewerber.
Neben der Ingenieurwissenschaftlerin Doyle standen die Ethik-Professorin Linda Hogan und die Historikerin Jane Ohlmeyer zur Wahl. Diese ausschließlich weibliche Shortlist und die Wahl durch ein vielköpfiges Hochschulgremium sind Meilensteine in der Geschichte der Hochschulbildung Irlands. „Ich freue mich, diese Rolle übernehmen zu dürfen und Teil dieser historischen Entwicklung in der Geschichte der Universität zu sein“, so Linda Doyle nach ihrer Wahl.
„Furchtlos in ihrem Streben nach tief verwurzelter Fairness“
„Trinity ist eine außergewöhnliche Institution mit bereits außergewöhnlich talentierten Mitarbeitern und Studierenden. Aber ich glaube, dass wir unsere Ambitionen für sie noch höher setzen können. Ich will, dass Trinity der offenste, produktivste und kreativste Ort ist, um zu lehren, zu lernen und zu forschen. Ich möchte, dass Trinity eine öffentliche Universität ist, die furchtlos in ihrem Streben nach einer tief verwurzelten Fairness ist.“ Das sind gänzlich andere Töne als die, die der verstorbene Hochschulleiter George Salmon 1895 anschlug. „Nur über meine Leiche werden Frauen das College betreten“, hatte er gesagt. Schließlich sei es dann „praktisch unmöglich zu überwachen, welche Gebäude oder welche Kammern sie betreten oder wie lange sie dort bleiben könnten.“ Er starb 1904 und damit in dem Jahr, als sich Isabel Marion Weir Johnston einschrieb.
Heute betreten Frauen nicht nur den Campus, die Hörsäle und Wohnheime, sondern leiten sogar die Uni. Schon im Januar war die schottische Professorin Maggie Cusack die erste Präsidentin des neuen Uni-Zusammenschlusses „Munster Technological University“ im Südwesten des Landes geworden, dann folgte Professorin Eeva Leinonen, die im März zur neuen Präsidentin der „Maynooth University“ westlich von Dublin gewählt wurde. Die gebürtige Finnin tritt ihr Amt im Oktober an.
Die Erwartung an Frauen ist hoch
Die allererste Uni-Rektorin in der Geschichte Irlands aber war im September 2020 die deutsche Professorin Kerstin Mey, Jahrgang 1963. „Als ich mich beworben habe, habe ich ausgeblendet, dass ich damit eine ‚gläserne Decke’ durchbrechen werde“, sagt die Ostberlinerin. Aber nach der Bekanntgabe ihrer Personalie an der Uni Limerick hätten Menschen sie auf der Straße angesprochen und beglückwünscht. Schön fand sie das, sehr erfreulich. Aber: Die Erwartung an Frauen in akademischen Leitungspositionen sei hoch, höher als bei männlichen Kollegen. Der Grund: „Als Frau ist mir auch die große Verantwortung für Gleichstellung in den Universitäten bewusst“, so Mey.
Das beinhalte, Ansprechpartnerin zu sein für entsprechende zusätzliche Aufgaben, die sie gern angehe. Und sie scheint am richtigen Ort dafür zu sein. Die Universität of Limerick hat bereits über ein Drittel Vollprofessorinnen, es gibt ein Komitee für Gleichheit und Diversität, und die Hochschule hat 2015 als erste Universität in Irland den Athena Swan Bronze-Gleichstellungspreis bekommen – „ein guter Anfang“, meint Mey, man sei auf einem guten Weg, aber es gebe noch sehr viel zu tun.
In Zahlen: Mit den vier Leiterinnen ist nun fast die Hälfte aller zehn irischen Unis in Frauenhand. Zum Vergleich: In Deutschland ist es nur ein Viertel, 19 von 81 öffentlichen Universitäten werden von Frauen geleitet laut einer aktuellen Studie des „Centrums für Hochschulentwicklung“. Vor den Fenstern von Kerstin Meys Büros grenzen nur die grünen Wiesen des – wie sie findet – „schönsten Campus Irlands“ an die Hügel hinter der Stadt. Das Meer ist auch nicht weit. An der Wand hängen Bilder von Louis le Brocquy, einem irischen Maler: Kunst und Irland, das ist in diesem Raum und im Leben der Hochschulpräsidentin eng miteinander verwoben.
Kerstin Mey hat an der Humboldt-Universität in Berlin in Kunsttheorie / Ästhetik promoviert und wäre am liebsten schon vor 30 Jahren auf die „Grüne Insel“ gezogen. Nach verschiedenen Stationen in britischen, nordirischen und schottischen Universitäten, zuletzt als Pro-Rektorin und Dekanin an der „University of Westminster“, London, war für sie sofort klar, dass sie sich auf eine Anzeige in der Tageszeitung „Irish Times“ für die Stelle als „Vice President Academic Affairs and Student Engagement“ bewerben würde. Diese trat sie 2018 an. Vergangenes Jahr übernahm sie dann den Job als Übergangspräsidentin der Universität.
„Es bedarf eines ersten Schrittes – und dann eines weiteren”
Ob ein weiteres Umdenken in Sachen Gleichstellung an Unis durch gesetzliche Regelungen in Gang gebracht werden könne, bezweifelt sie – zumindest nicht voll und ganz. Derzeit wird der Posten durch ein Einstellungsverfahren vergeben. „Quoten könnten die Situation nicht lösen“, erklärt Kerstin Mey. „Sie haben aber eine Berechtigung, bis es eine Gleichstellung gibt. Noch wichtiger aber ist mir die gezielte Talentförderung und das Schaffen von Rollenvorbildern. In der akademischen Welt, aber auch in der Politik. Rollenvorbilder setzen sich durch, wenn sich die Kultur eines Landes entsprechend verändert.“
Sie nennt als Beispiel Mary Robinson, die von 1990 bis 1997 Irlands erste Staatspräsidentin war, und ihre Nachfolgerin Mary McAleese (von 1997 bis 2011 im Amt). Aber eben auch ihre eigenen Kolleginnen an den anderen Universitäten. Wie Professor Maggie Cusack: Die Neubesetzung der Hochschulleiter*innen-Stelle mit ihr als Frau inspiriere hoffentlich auch andere. „Ein eingefahrenes System voller Regeln und Erwartungen bedarf eines ersten Schrittes – und dann eines weiteren.“
Als Präsidentin der „Munster Technological University“ sagt Maggie Cusack ganz deutlich: „Es dürfte gar nicht so bemerkenswert sein, dass Frauen und Mütter in der akademischen Bildung und in der Wissenschaft so wie ich diese Rollen vereinbaren und auch leitende Funktionen übernehmen – wir machen schließlich die Hälfte der Bevölkerung aus.“ Generell viel zu selten würde im Alltag gefragt: „Schließen wir jemanden aus? Und wenn ja, warum?“ Diversität bereichere immer. „Nur so können wir auch in den MINT-Fächern etwas bewegen. Mädchen sind in diesen Bereichen genauso gut wie Jungen – aber wenn es an Rollenvorbildern fehlt, geben sie auf. Nicht, weil sie das Interesse verlieren, sondern vielleicht den Mut.“
Sie selbst gebe ihren Kindern mit, dass sie ihre Arbeit mit Leidenschaft mache. „Sie wussten schon als sie klein waren, dass ich meinen Job liebe – aber es deswegen auch liebe, nach Hause zu kommen und es genieße, Familienzeit zu haben.“ Hindernisse gebe es zwar immer wieder, ohne Zweifel, aber sich einengen zu lassen sei schlicht nicht gut. Ihr Rat: „Mädchen und Frauen sollten sich nie selbst Grenzen setzen.“
Von der Kunst in die Verwaltung – kein Widerspruch
Von der Kunst in die Verwaltung – ist das denn kein Widerspruch? Nein, findet Kerstin Mey. „Ich sehe die Tätigkeit als kreativen Job an und schätze trotzdem, dass er auf strategisches Denken und Handeln fokussiert ist. Ich arbeite gern mit Menschen zusammen, das ist das Herzstück meiner Arbeit.“ Dass sie manchmal raus müsse aus ihrer Komfortzone sei sehr inspirierend.
Die gebürtige Ostdeutsche ist damit aufgewachsen, dass Frauen viel erreichen und Job und Familie vereinbaren können. „In der DDR waren 96 Prozent der Frauen berufstätig, haben ihren Lebensunterhalt selbst verdient und waren entsprechend selbstbewusst“, sagt sie. „Emanzipation war ein Staatsziel.“ Dass Frauen dennoch mehr leisten mussten als die Männer war nicht sichtbar, aber doch eine Tatsache. „Meine Mutter hat doppelt und dreifach gearbeitet.“
Die DDR gibt es nicht mehr, aber Einsatz für Gleichstellung ist auch heute noch in Deutschland wie in Irland doppelt und dreifach nötig. Auf der Insel haben die neuen Hochschulleiterinnen Kerstin Mey, Maggie Cusack, Eeva Leinonen und Lina Doyle viel zu tun: Sie wollen mehr Professorinnen an die Lehrstühle bringen, mehr Studentinnen motivieren sowie mehr Flexibilität in Sachen Bildung, Beruf und Familie schaffen.