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Frauen an der Flotten-Spitze
Drei Kapitäninnen in der Irish Navy

29. April 2020 | Von Mareike Graepel
Erstmals in der Geschichte sind gleichzeitig drei Frauen Kapitäninnen (v. l.) : Nessa Maloney, Grace Fanning, Claire Murphy. Foto: David Jones

Es ist eine historische Zahl für die irische Marine: Zum ersten Mal in ihrer Geschichte wird ein Drittel der Schiffsflotte von Frauen geführt. Dabei sind nicht mal sieben Prozent des gesamten Navy-Personals weiblich – was die drei Kapitäninnen Claire Murphy, Grace Fanning und Nessa Maloney noch bemerkenswerter macht.

Von Mareike Graepel, Cork / The Curragh

Im Englischen werden Autos und Schiffe meist liebevoll „verweiblicht“: So sprechen die Ir*innen von einer „sie“, wenn sie über ein Auto oder ein Boot sprechen. Die Schiffe der irischen Marine wurden bis 2014 sogar namentlich zu Frauen: So kommt es, dass die drei Matrosinnen Claire Murphy, Grace Fanning und Nessa Maloney die Kapitäninnen an Bord der LÉ Niamh, der LÉ Róisín und der LÉ Ciara sind. LÉ ist die Abkürzung des gälischen „Long Éireannach“ – übersetzt bedeutet das wenig mystisch klingend schlicht „Irisches Schiff“. Zwei weitere Schiffe tragen mit LÉ Eithne und LÉ Orla irische Frauennamen. Die neueren wurden allerdings nach berühmten männlichen Schriftstellern wie Beckett, Joyce, Yeats und Shaw benannt: Eine vieldiskutierte Entscheidung, die in der Navy und bei Künstler*innen aus unterschiedlichen Gründen skeptisch gesehen wurde.

 

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Regisseur und Autor Neil Jordan („Interview mit einem Vampir“, „Breakfast on Pluto“) fand in einem Brief an die Zeitung Irish Times, dass kein Schriftsteller es wollen könne, waffenfähige Marinesysteme nach sich benannt zu wissen. Berühmte Autorinnen wie beispielsweise Maeve Binchy kommen bislang in der Vorschlagsliste nicht vor. In der Irish Navy wünschen sich viele der Mitarbeiter*innen stärkeren weiblichen Einfluss. So auch die drei Kapitäninnen.

„Wir arbeiten auf allen Ebenen sehr intensiv daran, mehr Frauen in die irischen Streitkräfte zu bekommen und besonders für die Marine zu begeistern“, sagt die 36-jährige Grace Fanning. Sie und die anderen wollen nicht nur in den Medien auftauchen, sondern auch das direkte Gespräch mit den nächsten Generationen suchen. „An der Uni in Galway habe ich kürzlich einen Vortrag über meine Erfahrungen in der Navy gehalten – vor allem die Studentinnen waren erstaunt.“ Erstaunt, weil sie ihr eigenes Bild von der Marine ihres Landes neu sortieren mussten. „So viele Mädchen denken, sie können das nicht, würden den Job nicht schaffen, wären nicht gut, nicht stark genug. Das ist alles Quatsch!“

Es gelten – bis auf minimal ans Geschlecht angepasste Fitness-Tests – exakt die gleichen Bedingungen wie für männliche Bewerber. Noch darf der anspruchsvolle Bewerbungstest nur ein einziges Mal gemacht werden, aber im Hauptquartier der Defence Forces wird laut Stabschef Vize-Admiral Mark Mellett derzeit eine Neuregelung diskutiert, „die für Bewerber und Bewerberinnen ein vier- bis sechswöchiges Coaching als Vorbereitung auf einen zweiten Anlauf“ vorsehen soll. Grace Fanning meint: „Für den Job benötigt man sicher die Bereitschaft, sich einzusetzen, einen starken Willen und ein Interesse daran, die Welt zu sehen.“

Ihre Kollegin Claire Murphy sagt, sie habe in der Navy nie Sexismus zu spüren bekommen. Und Fanning erinnert sich daran, sich schon als Soldatin in der Grundausbildung als gleichwertiges Teammitglied gefühlt zu haben. „Wir sind ja mit ungefähr 1.100 Leuten eine vergleichbar kleine Organisation, ein bisschen wie eine große Familie. Ich hatte immer das Gefühl, dass, wenn ich mein Bestes gebe, ich auch dementsprechend behandelt werde, unabhängig von meinem Geschlecht.“

„Ich muss nicht schreien, um gehört zu werden“ 

Die dritte im Bunde, Nessa Maloney, sieht sich in ihrer Position als Frau in der Navy ein wenig mehr unter dem Druck, sich beweisen zu müssen. „Von einem Mann wird wie selbstverständlich erwartet, dass er in einer solchen Organisation arbeitet und Soldat oder Kadett wird.“ Aber die 42-Jährige nehme auch wahr, dass in der Navy versucht werde, sich mehr an die Anwesenheit von Frauen zu gewöhnen. „Die Vorgesetzten lernen zu erkennen, wie wertvoll die weibliche Perspektive ist, und dass es darum geht, eine andere Meinung oder einen neuen Blickwinkel auf eine Situation zu haben.“ Sie ist als Kapitänin auf der LÉ Ciara das einzige weibliche Mitglied der Crew. „Ich habe Glück, dass die Besatzung meine Position und meine Führung respektiert.“

Grace Fanning (rechts) mit ihrer Frau und der gemeinsamen Tochter (Foto: David Jones).

Glück? „Während der Ausbildung wurde von mir erwartet, dass mein Führungsstil laut und autoritär zu sein und dass ich ‚das Kommando zu übernehmen habe‘. Aber mein persönlicher Führungsstil ist anders. Ich muss nicht schreien, um gehört zu werden. Ich möchte mit meiner Mannschaft zusammenarbeiten, spreche gerne mit Menschen. Ich sage, was ich denke, höre mir aber dennoch an, was die Crew zu sagen hat. Das funktioniert glücklicherweise gut.“ Das ist auch eine Vorgehensweise, die Claire Murphy bevorzugt. „Wenn man wochenlang gemeinsam auf See und das Wetter miserabel ist, dann ist es wichtig, dass man als Team gut funktioniert.“ Sie sei mal strenger gewesen – als zweite Kommandantin habe sie ihr Chef einst zur Seite genommen und gesagt: „Hör mal, du bist mit den Frauen viel härter im Umgang als mit den Männern in der Crew.“ Jetzt sei sie zwar auch noch „tough, aber immer fair“.

Unfaire Sonderregeln für Mütter?

In Deutschland sind Frauen zwar schon seit 45 Jahren beim Militär zugelassen, konnten sich aber bis 2001 nur für den Militärmusik- oder Sanitätsdienst verpflichten. Irland hingegen erlaubt schon seit 1979 – als erste europäische Verteidigungskraft – Frauen in allen Bereichen der Streitkräfte. Eine Sonderregelung gibt es allerdings seit ein paar Jahren für Mütter in der Navy: Sie haben bis zum zweiten Geburtstag ihres Kindes ein Anrecht darauf, ausschließlich in der Marinebasis und nicht auf See eingesetzt zu werden. Für Grace Fanning, deren kleine Tochter Fiadh bald zwei Jahre alt wird, war es zudem perfektes Timing, dass „ihr“ Schiff, die LÉ Róisín, sowieso zur Generalüberholung im Dock lag.

„Meine Ehefrau ist Krankenschwester – die Kinderbetreuung konnten wir bislang mit meinen Arbeitszeiten, ihren Schichten und einer tollen Tagesmutter gut organisieren“, sagt sie. Und wenn sie für mehrere Wochen, oft ohne Mobilfunk-Kontakt, auf See sein muss? „Das ist sicher emotional, aber so geht es ja meinen Kollegen, die als Väter ihre Kinder zu Hause lassen müssen, auch.“ Sie zuckt kurz mit den Schultern: „Aber man hat wirklich sehr viel zu tun und kommt kaum zum Nachdenken.“ Zu den Aufgaben der irischen Marine gehören Fischereischutz, Seepatrouillen und Schmuggelprävention. Gelegentlich unterstützt die Irish Navy andere Bereiche der Verteidigungskräfte, irische Friedenstruppen, die Vereinten Nationen und übernimmt humanitäre Einsätze und Handelsmissionen.

Claire Murphy (r.) bei der Übergabe einer Auszeichnung an ihr Crew-Mitglied, Vollmatrose Bryan Tracey (Foto: David Jones).

Wäre es nicht fair, wenn die Männer auch alle so lange in der Nähe ihrer Töchter und Söhne sein dürften? Claire Murphy nickt. „Sicher wäre das die perfekte Gleichberechtigung. Aber bei den Zahlen und der Altersstruktur?“ Die meisten Crew-Mitglieder auf den irischen Marine-Schiffen sind Mitte bis Ende 20, viele heiraten, gründen Familien, wenn sie sich für eine unbefristete Anstellung bei der Navy entscheiden, und sind eben – männlich. „Wenn die auch alle an Land bleiben dürften, dann hätte ich ja nie genug Besatzung auf meinem Schiff.“

Stabschef wünscht sich 20 Prozent Frauen

Es sei noch viel zu tun, gibt auch der Stabschef zu, aber er ist entschlossen, an den entsprechenden Stellschrauben zu drehen. Als Chef der irischen Streitkräfte hat Vize-Admiral Mark Mellet es sich zur Aufgabe gemacht, stets auf Gleichberechtigung und LGBTQ-Rechte zu achten. Das beginnt schon bei kleinen Entscheidungen: „Er nennt auch in Reden und Ansprachen immer Frauen zuerst“, so Grace Fanning. „Das mögen nur Worte sein, aber die haben eine enorme Wirkung.“

Außerdem marschierte er mit seiner Truppe und dem Armee-Orchester regenbogen-dekoriert bei der „Dublin Pride“-Parade mit und verteidigte die Entscheidung bei Kritik in den sozialen Medien. Seine Begründung: Diese Geste stimme sehr „mit unseren Wertvorstellungen von Moral, Mut und Respekt überein“. So hat er nicht immer gedacht. „Ich bin in einer sehr männerdominierten Organisation aufgewachsen, gehöre zu einer Generation, die nicht so progressiv ist wie die Jüngeren, und dazu auch noch viel Macht hat“, sagt der 61-Jährige, der seit seinem 18. Lebensjahr bei der irischen Marine ist.

„Und es hat gedauert, bis ich gemerkt habe, dass es wichtig ist, auf so viele verschiedene Aspekte zu schauen, auf Gleichberechtigung und Inklusion – und dass Diversität nicht nur bedeutet, zu einer Party eingeladen zu sein, sondern auch zum Tanzen aufgefordert zu werden.“ Wie Gleichberechtigung für Frieden sorgen können, zeige der Global Peace Index: Je größer der Gender-Gap eines Landes, desto höher die dortigen Gewalt-Statistiken – ein gewaltiger Zusammenhang.

„Viele Menschen wissen nicht, dass es beim Militär heute nicht mehr vorrangig um Waffen und körperliche Stärke geht, sondenr um Intelligenz und Technologie“, erklärt Mellett. Die Navy brauche Frauen wie Grace Fanning und Claire Murphy als Rollenvorbilder, um junge Mädchen und Frauen für technische Berufe zu interessieren. Aber: Die Prozentzahlen in den irischen Streitkräften frustrieren den Stabschef, die kleinen Veränderungen passieren Mark Mellett zu langsam. Sein Wunsch: Eine Quote von 20 Prozent Frauen in den nächsten 10 Jahren.

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Von Mareike Graepel, Haltern

Mareike Graepel lebt in Haltern und Irland. Sie ist unser Head of Partnerships und kümmert sich um Kooperationen mit (Medien-)Partner*innen. Sie schreibt seit ihrer Jugend für lokale, regionale und überregionale Tageszeitungen und Magazine – zunächst als freie Mitarbeiterin, dann als Redakteurin und seit 2017 selbstständig als Journalistin und Übersetzerin. Ihre Themen drehen sich meist um Gesellschaft, Umwelt, Familie, Gesundheit und Kultur.

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