„Social Bee“, zu Deutsch soziale Biene, ist ein Startup, das Geflüchteten Jobs vermittelt. Der Vorteil der Zeitarbeitsfirma: Unternehmen wird die aufwändige Betreuung der neuen Mitarbeiter*innen abgenommen. Wir haben Gründerin Zarah Bruhn begleitet.
Von Mareike Graepel, München
„Als die Flüchtlingswelle begann, habe ich ein Auslandssemester in Stockholm absolviert“, sagt „Social-Bee“-Gründerin Zarah Bruhn während sie die Tür des Meeting-Raumes schließt und auf die Uhr schaut. Die 28-Jährige hat nicht viel Zeit, der nächste Termin steht bereits an. Vorher wird sie noch Fragen ihrer Mitarbeiter*innen im Großraumbüro beantworten, die sich an selbstgebauten Schreibtischen Notizen machen, telefonieren und auf Tastaturen Lebensläufe festhalten. Es summt im sozialen Bienenstock.
Die gebürtige Bambergerin Zarah Bruhn studierte Betriebswirtschaftslehre und war „auf Sinnsuche“. Sie wollte nicht, wie viele andere Studierende, im Anschluss als Investment Bankerin anfangen. Stattdessen hat sie sich für Startups mit Fokus auf Nachhaltigkeit interessiert. So reifte der Wunsch nach einer eigenen Firma – „allein das Thema hat mir gefehlt.“ Per Zufall saß sie während ihres Auslandssemesters in Stockholm vor vier Jahren neben einer geflüchteten Gasthörerin, die ursprünglich aus Syrien stammte: „Das war mein erster Berührungspunkt mit Flucht.“
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Gemeinsam mit ihr hat sie am Stockholmer Hauptbahnhof Essen ausgegeben, Kleider sortiert oder Geflüchtete in Empfang genommen. Zarah Bruhn sagt rückblickend: „Das Thema hat mich nicht schlafen lassen.“ Sie dachte fieberhaft darüber nach, den vielen Menschen zu helfen – und zwar auch dann, wenn die Kameras nicht mehr auf sie gerichtet sein werden. Ihr wurde schnell klar, dass es um langfristige Integration geht und dass das nicht dauerhaft in Form von Ehrenamtlichen geleistet werden kann. Ihre Lösung lautete deshalb: Social Entrepreneurship, soziales Unternehmertum, mit dem man die Gesellschaft ein Stück weit besser macht. Die Idee für „Social Bee“ war geboren.
Denn Schlagzeilen wie „29 Dax-Konzerne stellen insgesamt 4 Flüchtlinge ein“ weckten ihren Ehrgeiz. In einer ersten Bilanz im Juli 2016 gaben die Unternehmen als Begründung „für die ausbleibende Einstellung (…) die mangelnden Deutschkenntnisse vieler Flüchtlinge, sowie fehlende formale Berufsqualifikationen der häufig noch sehr jungen Menschen aus den Kriegs- und Krisengebieten“ an. So hatte sie von Anfang an zwei Zielgruppen: die Geflüchteten und potenzielle Unternehmen. Damals hatten von rund 1,3 Millionen Geflüchteten in Deutschland nur 50.000 einen Job. Das galt es zu ändern.
Volle Kraft voraus
Um sich Zeit für die Gründung einer eigenen Firma freizuschaufeln, schob Zarah Bruhn ihre Masterarbeit auf, lieh sich Geld von ihren Eltern und setzte um, was sie im Studium gelernt hatte: Gründen gehe nur ganz oder gar nicht – mit vollem Risiko. Die erfolgreiche Bewerbung beim LMU Entrepreneurship Centre an der Universität München war ein Zeichen für sie, dass ihre Idee Potenzial hatte. Dabei hatte die 28-Jährige zunächst nicht an eine Zeitarbeitsfirma gedacht: „Ich hatte keine Ahnung von Zeitarbeit, ich hatte kein Team, ich hatte noch gar nichts außer eine GmbH gegründet.“ Immerhin musste sie dafür 25.000 Euro Startkapital aufbringen.
Gleichzeitig hat Zeitarbeit landläufig ein extrem schlechtes Image: nicht menschenfreundlich, keine nachhaltigen Jobaussichten. Für „Social Bee“ war es trotzdem goldrichtig, weil es den Flüchtlingen zunächst ein einjähriges Integrationsprogramm finanziert und sie gleichzeitig angestellt werden. Ein interessiertes Unternehmen kann den Geflüchteten so – gegen Entgelt – für begrenzte Zeit übernehmen. „Social Bee“ übernimmt dabei die Rechte und Pflichten des Arbeitgebers.
„Wir konzentrieren uns auf die breite Masse und wollen auch für Geringqualifizierte Angebote schaffen, weil Leute aus der IT-Branche oder Ingenieure den Arbeitsmarkt besser kennen und sich selbst zurechtzufinden“, so Bruhn. Bei Besuchen in Flüchtlingsheimen erklären sie und ihr Team den Menschen, dass sie unter bestimmten Voraussetzungen arbeiten dürfen und dass es tatsächlich Arbeit für sie gibt. „Kaum einer weiß, wie man sich hier bewirbt, die meisten Anfragen kriegen wir per WhatsApp.“ 90 Prozent der Leute würden an der Online-Bewerbungsmaske einer deutschen Firma scheitern.
Welche bürokratischen Hindernisse es zu überwinden gilt, wie eine Zeitarbeitslizenz beantragt wird und ob das Unterfangen vom Finanzamt als gemeinnützig anerkannt werden kann – all das mussten Bruhn und ihr achtköpfiges Team schnell lernen. „Das war sehr intensiv, wir haben ohne Gehalt gearbeitet und am Anfang bestimmt viel falsch gemacht.“ Hinzu kommt, dass Behörden in verschiedenen Städten rechtliche Vorgaben zur Auslegungssache machen. Dabei übernimmt „Social Bee“, wenn man genauer hinsieht, eigentlich die Aufgabe der Agentur für Arbeit.
Geflüchtete vermitteln, die sonst keine Chance hätten
Wichtig ist der Gründerin, dass sie sich um Geflüchtete kümmert, die ohne sie keinen Job finden würden. Derzeit beschäftigt sie knapp 90 Zeitarbeiter*innen, die ihr Team – selber oftmals mit Migrationshintergrund – engmaschig betreut. Einige ihrer Mitarbeiter*innen sprechen Arabisch oder Farsi. Ehrenamtlich ist hier heute keiner mehr tätig. Kritik komme trotzdem „aus allen politischen Richtungen, von rechts, von links, von unten und von oben“, so Zarah Bruhn. Die Devise von „Social-Bee“: Tolerant für Integration stehen, nicht für Ausgrenzung. Dass sie meisten Personalabteilungen gar nicht die Zeit haben, sich um Sprachkurse und komplexe systemische Barrieren zu kümmern, spielt ihr in die Karten.
Im besten Falle wird aus dem Zeitarbeitsverhältnis eine feste Anstellung oder eine Übernahme in eine Ausbildung. Zu den Partnern des Startups gehören inzwischen große Namen wie die Deutsche Post, Würth und Daimler, aber auch der Bioladen um die Ecke. Eine der „ersten Bienen“, wie er sich selbst nennt, war Talal, ein muslimischer Architekt, der über Bruhns Firma erst bei einem Lieferservice gearbeitet hat, bis er genug Deutsch gelernt hatte. Inzwischen baut er als Architekt das neue Giesinger Bräu in München. „Geschichten wie Talas sind die Ausnahme“, sagt die Firmenchefin. Stolz ist sie trotzdem. „Social-Bee“ vermittelt – durch geringe Einstiegsbarrieren – sonst eher Menschen, die vorher etwas anderes oder gar nicht gearbeitet haben. So kamen von 2016 bis heute mehr als insgesamt 180 Menschen in Lohn und Brot.
Spenden annehmen wäre für ein gemeinnütziges Unternehmen erlaubt, Gewinne erwirtschaften nicht. So wird das Startup von mehreren Stiftungen beraten und finanziell unterstützt. Die Firma Ströer, zu der auch t-online gehört, stellt kostenfrei Plakatwände und Büroräume zur Verfügung. Die aktuelle Werbekampagne „Spot the refugee“ stammt von Branchenriesen Jung von Matt – pro bono versteht sich, weil das Unternehmen eigentlich kein Geld für Marketing hat. Nach einer Stunde Gespräch verabschiedet sich Zarah Bruhn und steigt in den Lift. In wenigen Wochen fliegt sie in den Libanon, um ein syrisches Flüchtlingscamp zu besuchen: Die Unternehmerin will wissen, wovon sie spricht, wenn sie den sozialen Bienenstock zum Summen bringt.