Die Vereinbarkeit von Kind und Karriere ist hierzulande – trotz Elterngeld – ein Balanceakt für die meisten Familien. Doch wie sieht es eigentlich in anderen Teilen der Welt aus? Werden Kinder dort auch in die Kita geschickt oder lieber zuhause betreut? Unsere Korrespondentinnen in Frankreich, Peru, Belgien, Israel und Spanien haben sich mal umgehört.
Von Carolin Küter, Lyon
Im Vergleich zu Deutschland steht Frankreich bei der Kinderbetreuung gut da: Die Französinnen bekommen deutlich mehr Kinder als die Deutschen und arbeiten mehr. Mit 1,9 Kindern pro Frau ist Frankreich seit Jahren europäischer Spitzenreiter und das, obwohl der Trend rückläufig ist. Insgesamt ist die Beschäftigungsquote von Frauen im Nachbarland zwar geringer als in Deutschland, die Französinnen arbeiten aber deutlich weniger in Teilzeit. Jenseits des Rheins sind zwei Dritteln der Frauen vollbeschäftigt, hierzulande nur die Hälfte.
Das dürfte vor allem an den staatlichen Vorgaben zu Mutterschaftsurlaub, Elternzeit und Kinderbetreuung liegen. Der Mutterschutz ist zehn Wochen nach der Geburt vorbei. Während dieser Zeit erhält die Frau den größten Teil ihres Gehalts weiter. Die meisten Französinnen gehen anschließend wieder arbeiten, zumeist aus finanziellen Gründen. Denn sowohl Väter als auch Mütter haben zwar das Recht auf bis zu drei Jahre Elternzeit, Elterngeld gibt es – bis auf Sozialleistungen in bestimmten Fällen – jedoch nicht.
Bei dieser Politik soll es auch bleiben. Frankreich stellte sich im vergangenen Jahr gegen die Einführung eines europaweiten Mindeststandards fürs Elterngeld. Die Politik solle eher dafür sorgen, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtert wird, nicht dafür, dass Frauen dazu angehalten werden, zu Hause zu bleiben, so die Begründung von Gleichstellungsministerin Marlène Schiappa.
Dementsprechend gilt die Schulpflicht für französische Kinder schon ab drei Jahren. In der „Maternelle“ werden sie bis halb fünf am Nachmittag kostenlos betreut, Eltern können sie anschließend noch im Hort lassen. Um die Unterdreijährigen kümmern sich laut Sozialbehörden vor allem Tagesmütter, umgangssprachlich „Nounous“ genannt. Am zweithäufigsten werden die Kleinkinder in ganztägigen Krippen untergebracht.
Den Statistiken zufolge würden viel mehr Eltern ihr Kind gerne in die Krippe geben, doch die Plätze sind rar. Zwar wurden in den vergangenen Jahren zusätzliche Plätze geschaffen, aber die Nachfrage übersteigt noch immer bei weitem das Angebot. Sobald die Kinder zu Hause sind, übernehmen in den meisten Fällen wieder die Mütter: Sie verbringen laut einer Studie des Arbeitsministeriums zwei Drittel ihrer freien Zeit mit der Kinderbetreuung, die Väter weniger als 60 Prozent.
Von Eva Tempelmann, Lima
Kinderbetreuung ist in Peru ganz klar Frauensache. Mütter, Großmütter, Schwiegermütter, Tanten, Babysitterinnen und vor allem Kindermädchen kümmern sich um den Nachwuchs. In den Kindergärten sind die Erzieherinnen ausschließlich weiblich. Das liegt daran, dass die Rollenverteilung in Peru sehr klassisch und fest verankert ist: die Männer arbeiten außer Haus, die Frauen kümmern sich um Haushalt und Kinder. Wenn die Frauen auch arbeiten, beauftragen sie andere Frauen, sich um ihre Kinder zu kümmern. Das sind entweder die Großmütter, Tanten oder andere weibliche Verwandte. Oder Frauen aus einfachen Verhältnissen, die als Kindermädchen für wohlhabendere Familien arbeiten.
In peruanischen Familien ist es bis weit in die untere Mittelschicht hinein üblich, eine Hausangestellte zu beschäftigen. Wer es sich leisten kann, stellt gleich zwei Frauen an: eine für den Haushalt und eine für die Kinder. So werden die meisten Kinder bis zum dritten Lebensjahr zu Hause betreut. Die Babys und Kleinkinder früh in die Krippe zu geben ist eher unüblich und das Angebot entsprechend begrenzt. Nur in großen Städten gibt es seit einigen Jahren die Tendenz, dass auch Männer sich zumindest zeitweise um die Kinder kümmern, meist aber erst, wenn sie ins Kindergartenalter kommen.
Und nur in der Hauptstadt Lima und in der Region um Cusco, in der sich in den letzten Jahren immer mehr alternativ lebende Familien angesiedelt haben, sieht man Väter, die ihre Babys vor den Bauch schnallen, Eltern-Kind-Kurse besuchen oder den Babys die Flasche geben, wenn die Mutter arbeitet. Oft werden sie dann von Außenstehenden besorgt angesprochen: Ob die Mutter verstorben sei? Ob keine Schwiegermutter einspringen könne?
Im Hochland der Anden, weit entfernt von den Städten, sitzen die Babys und Kleinkinder bis zum zweiten Lebensjahr auf dem Rücken der Mütter, eingewickelt in die vielfotografierten bunten Tücher, die vorne vor der Brust zusammengebunden werden. Die Kleinen begleiten ihre Mütter zum Feld, auf den Markt und liegen schlafend in den Tüchern, wenn die Mütter im und ums Haus arbeiten. Auch im Regenwald, der den größten Teil des Landes ausmacht, sitzen die Babys und Kleinkinder auf dem Rücken oder den Hüften der Mütter, Tanten, großen Schwestern.
Viele Frauen aus den ländlichen Regionen, die in den letzten Jahren in die großen Städte gezogen sind, auf der Flucht vor dem Bürgerkrieg der 90er Jahre und später auf der Suche nach Arbeit und einer guten Ausbildung für ihre Kinder, haben ihren Nachwuchs auch in der Stadt immer dabei. Die Kinder begleiten ihre Mütter, wenn diese auf den Hauptstraßen zwischen den Autos hindurchlaufen und Wasser verkaufen, sie sitzen neben ihnen am Straßenrand, wenn die Frauen Bonbons und Kaugummis feilbieten. In einem so patriarchalisch geprägten Land wie Peru wird sich daran auch in den nächsten Jahren vermutlich wenig ändern.
Von Franziska Broich, Brüssel
Belgien ist Spitzenreiter im Vergleich der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) bei der Betreuung von Null- bis Zweijährigen. Mehr als 60 Prozent der bis zu Zweijährigen sind in einer Krippe oder einer anderen Betreuung angemeldet. Damit führt Belgien – zusammen mit Dänemark – die Liste der OECD-Länder an.
Doch auch innerhalb Belgiens gibt es Unterschiede. Während in der Region rund um Lüttich an der deutschen Grenze 58 Prozent der Kinder unter drei Jahren keine Krippe besuchen, sind es in Brüssel 32 Prozent. Das geht aus einer Studie des Forschungsunternehmens „Ipsos“ in Wallonien für den belgischen Verband „La Ligue des Familles“ hervor. Ähnlich ist das Bild in Flandern, wo Niederländisch gesprochen wird. Auch dort gehen laut Statistikamt etwa 70 Prozent der Kinder unter drei Jahren in eine Krippe, zu einer Tagesmutter oder werden von Verwandten betreut.
Am beliebtesten ist bei der Kinderbetreuung in Belgien die Krippe. Zwar kostet ein Platz durchschnittlich gut 340 Euro im Monat, aber jeder Fünfte zahlt mehr als 500 Euro. Dabei ist es schwierig, überhaupt einen Krippenplatz zu finden. Gleichzeitig gibt es inzwischen auch besondere Angebote wie die 2012 eröffnete Nachtkrippe für Brüsseler Eltern, die auf eine Dienstreise müssen oder einen ungestörten Abend mit Freunden verbringen wollen.
Sowohl der Vater als auch die Mutter haben in Belgien Anspruch auf vier Monate Elternzeit. Sie können ab der Geburt bis zum 12. Lebensjahr des Kindes genommen werden. Dabei haben die Eltern die Wahl, diese Monate Vollzeit oder Teilzeit zu nehmen oder die Arbeitszeit, um ein Fünftel zu reduzieren. Fast ein Drittel der Eltern findet es „schwierig“ ihr Berufsleben mit der Familie in zu vereinen. 26 Prozent gaben sogar 2018 an, einen „Eltern-Burn-Out“ zu haben.
Von Mareike Enghusen, Tel Aviv
Auf den ersten Blick scheint es, als hätten israelische Frauen das Kind-Karriere-Dilemma gelöst: Die Beschäftigungsrate unter Israelinnen ist sieben Prozent höher als der OECD-Durchschnitt, zugleich werden in keinem anderen Industrieland so viele Kinder pro Frau geboren. Den Israelinnen scheint zu gelingen, was in Deutschland als schier unvereinbar gilt: Sie bekommen viele Kinder und gehen trotzdem weiter arbeiten.
Tatsächlich steht dahinter jedoch meist schiere Notwendigkeit. Nach der Geburt ein Jahr oder länger zu Hause zu bleiben, wie es in Deutschland üblich ist, kann sich kaum eine israelische Mutter leisten. Dafür sind die Lebenshaltungskosten zu hoch, insbesondere in den urbanen Zentren, die Löhne zu niedrig und die staatliche Unterstützung zu mager. Nach der Geburt dürfen Israelinnen 15 Wochen bezahlten Mutterschaftsurlaub nehmen. Anschließend können sie, was die meisten tun, drei weitere Monate unbezahlt frei nehmen. In dieser Zeit darf man ihnen nicht kündigen.
Danach ist die Schonzeit vorbei: Die meisten Frauen kehren zurück in den Job und geben ihr sechs Monate altes Baby in eine Krippe oder an eine Tagesmutter, oft für acht bis neun Stunden täglich. Eltern- oder Vaterzeit sieht das israelische Gesetz nicht vor: Väter dürfen ohne Gehaltseinbußen lediglich sechs Tage nach der Geburt freinehmen – die ihnen jedoch von ihren jährlich gewährten Urlaubs- und Krankheitstagen abgezogen werden.
Die öffentlichen Schulen sind kostenlos, Krippen und Kindergärten aber nicht. Die Versorgung der Kleinsten kann Eltern 400 bis 600 Euro im Monat kosten. Und viele Einrichtungen sind überlaufen, nicht zuletzt wegen der hohen Fruchtbarkeitsrate. „Wenn es etwas gibt, das schwerer ist als die Geburt, würden wir sagen: der Versuch, Ihr Kind für die Kinderbetreuung zu registrieren“, heißt es auf einer Ratgeberseite für Einwanderer in Israel. Dass die israelische Fruchtbarkeitsrate mit gut drei Kindern pro Frau trotz alledem doppelt so hoch ist wie Deutschlands, erinnert daran, dass finanzielle Erwägungen allein keinen Kinderwunsch befördern – oder verhindern.
Von Christine Memminger, Barcelona
Den Begriff „Rabenmutter“ gibt es in Spanien nicht und das Thema externe Kinderbetreuung wird hier ziemlich locker genommen. Vielen Frauen bleibt aber auch gar nichts anderes übrig. Ab der Geburt haben Mütter aktuell 16 Wochen, Väter acht Wochen Anspruch auf Elternzeit mit Elterngeld. Spätestens wenn das Kind ein halbes Jahr alt ist, muss also Betreuung her.
Zwei Varianten sind dabei am gängigsten: Entweder die Großeltern kümmern sich um die Kleinkinder, oder die Wahl fällt – bei knapp 38 Prozent – auf die Kita. Betreuungsplätze in öffentlichen oder privaten Kitas für die Null- bis Dreijährigen gibt es genügend und in vielen Regionen sind die Öffentlichen sogar kostenlos. Nur sehr wenige Firmen haben eigene Angebote für ihre Mitarbeitenden.
Einen Kindergarten wie in Deutschland gibt es nicht. Bereits ab drei Jahren beginnt die Vorschule – spielerisches Lernen mit Büchern, Heften und auch mal Hausaufgaben. Die ist zwar nicht verpflichtend, aber so gut wie alle Kinder gehen hin, halb- oder ganztags. Später dauert ein Schultag meist von 9 bis 16 Uhr, inklusive Mittagessen an der Schule. Das Betreuungsproblem stellt sich hier daher nur selten.
Nur wenige Mütter nehmen ihr Recht auf Teilzeit in Anspruch. Denn auf dem angespannten Arbeitsmarkt können es sich nur die wenigsten erlauben, länger auszusetzen. Europaweit lassen sich spanische Frauen mit dem Muttersein am meisten Zeit. Im Durchschnitt entscheiden sie sich erst mit 32 Jahren dafür. Der Grund: Sie wollen zuerst einen festen Stand im Berufsleben haben. Dass es auch für die Kleinsten schon viele Betreuungsangebote gibt, ist dazu zwar passend, aber nicht unbedingt einer Wahlfreiheit geschuldet. Auch die Geburtenrate zeigt das. Durchschnittlich 1,31 Kinder hatten Frauen in Spanien im Jahr 2017 – und zählen damit europaweit zu den Schlusslichtern.