Moses, David, Jesus: Jungen und Männer kommen in der Bibel viele vor, Frauen hingegen spielen lediglich Nebenrollen – oder fehlen ganz. Die Göttinger Theologin und Religionspädagogin Martina Steinkühler hat eine Auswahl der vertrauten Geschichten für Kinder und Jugendliche aus Sicht der Schwestern, Geliebten und Mägde aufgeschrieben.
Von Anne Klesse, Hamburg
Die Vorweihnachtszeit ist für viele Anlass, sich mal wieder mit den Geschichten aus der Bibel zu beschäftigen. In ihnen geht es um Sankt Martin, um die Drei Heiligen Könige, um die Geburt Jesu – auffällig, ist, dass sich die Erzählungen fast immer um männliche Protagonisten drehen. „Wo waren die Mädchen?“, fragte sich auch Martina Steinkühler. Die promovierte Göttinger Theologin und Religionspädagogin kennt sich aus im Alten und Neuen Testament – und wunderte sich schon länger darüber, warum im meistverkauften Buch der Welt die Perspektive der Frauen fehlt.
„Nur wenige Mädchen und Frauen kommen in der Bibel überhaupt namentlich vor“, so Steinkühler. „Und wenn, dann geht es um sie als „Tochter von“, „Frau von“ oder „Magd von“. Es gibt Sklavinnen und Nachbarinnen – aber die Leser*innen erfährt wenig über sie.“ Weder Namen noch tragende Rollen – dabei müssen sie dagewesen sein. Was Erwachsenen vielleicht gar nicht mehr auffällt, führt bei vielen Kindern sehr wohl zu Fragen. Es gibt zig deutschsprachige Kinderbibeln – allein das „Evangelische Literaturportal“ hat in den vergangenen 15 Jahren 185 rezensiert – doch Geschichten von Mädchen wurden nicht oder kaum überliefert.
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Steinkühler fand: „Es ist Zeit, die Bibel aus weiblicher Sicht zu erzählen und den Mädchen eine Stimme zu geben.“ Die 60-Jährige arbeitet als Lehrerin und Dozentin mit dem Schwerpunkt Bibel und Bibeldidaktik, sie ist Studienleiterin im Arbeitsbereich Religionspädagogik und Medien der evangelisch-lutherischen Kirche in Braunschweig. Sie schreibt regelmäßig Bibeltexte aus der Ich-Perspektive – „einfach, weil es mir Freude macht.“ Weil es so etwas noch nicht auf dem Markt gab, nahm Steinkühler das Projekt einer Bibel aus Sicht der Schwestern, Mütter und Wegbegleiterinnen einfach selbst in die Hand.
Den Blick durch die weibliche Perspektive erweitern
Herausgekommen ist „Die Mädchenbibel“, die mit Illustrationen von Angela Gstalter, deren Zeichnungen schon in etlichen Kinderbüchern erschienen sind, Ende September 2021 im Gütersloher Verlagshaus veröffentlicht wurde. Ihr Anspruch sei gewesen, so Steinkühler, „vertraute Erzählungen zu schreiben, die doch anders daherkommen.“ Die Sicht der weiblichen Figuren in den Geschichten sei „eher privat als öffentlich“, sagt Steinkühler, und fügt hinzu: „Wie es der Rolle der Mädchen in biblischer Zeit eben entsprach.“ Auf Basis ihrer Recherchen hat sie versucht, sich in diese Rolle hineinzuversetzen.
In den Texten geht es meist um die Beziehungen der Menschen untereinander und die Beziehung zu Gott. Steinkühler, selbst Mutter von drei mittlerweile erwachsenen Jungen, hofft insbesondere auf junge Leser*innen – egal welchen Geschlechts – ab zwölf Jahren: „Kinder finden leichter Zugang zu Geschichten über Figuren, mit denen sie sich identifizieren können.“ Sie erinnert sich an eine Studie zur Bibelrezeption von vor ein paar Jahren, bei der mehrere Tausend Viertklässler*innen in Baden-Württemberg und Berlin, die sich überwiegend als evangelisch, zu einem geringeren Teil als katholisch identifizierten, befragt wurden.
Auf die Frage nach bekannten alttestamentlichen Bibel-Charakteren landete erst auf Platz 15 der Antworten eine Frau: Ruth, Mutter des Großvaters von David. „Sie wurde ausschließlich von Mädchen genannt, bei Jungen war sie gar nicht präsent“, so Steinkühler, die für ihre Mädchenbibel diese Studie noch einmal studierte. Dabei sei die feministische Theologie schon seit Jahrzehnten bemüht, die Frauen in den zweifelsohne patriarchal geprägten Bibelgeschichten zu rekonstruieren. Steinkühler sieht es pragmatisch: „Wir müssen den geschichtlichen Kontext der Entstehung der Bibel akzeptieren, die Vergangenheit können wir nicht mehr ändern.“
Wenigstens für die Zukunft wolle sie den Blick nun erweitern. Eine ihrer Lieblingsgeschichten ist die der jungen Maria. Sie bekommt Besuch vom Erzengel Gabriel, der ihr sagt, dass sie den Sohn Gottes gebären wird. Steinkühler: „Ich habe mich gefragt, wie das konkret wäre, wenn einem jungen Mädchen einfach so ein Engel erscheinen würde – vermutlich wäre es beängstigend und andere würden ihr zunächst nicht glauben.“ Und so wirkt Gabriel auf die Erzählerin zunächst wie ein Gespenst…
Leseprobe 1: Eine Kleine erzählt
Maria ist die Beste. Maria kann erzählen. Maria kann lachen. Maria backt süße Kuchen und schenkt sie uns. Maria wohnt nebenan. Sie passt auf uns auf, wenn Mama nicht kann. Heute habe ich Maria zum Brunnen begleitet. Die anderen haben noch geschlafen.
Maria hat den Krug getragen. Auf dem Hinweg war er leicht. Maria hat gesungen. Auf dem Rückweg war er schwer. Da hat Maria noch lauter gesungen. „Ist er nicht zu schwer?“, habe ich gefragt. „Das Singen macht ihn leichter“, hat Maria gesagt. Das muss ich mal probieren.
Ich bin Maria in den Hof ihres Hauses gefolgt. Die anderen haben noch geschlafen. Maria hat sich ans Feuer gehockt und angefangen, Brotteig zu kneten. Sie hat Mehl an der Nasenspitze gehabt und ich habe gelacht. Maria auch.
Dann ist sie auf einmal still geworden. Sie ist aufgestanden. Sie hat die Arme ausgebreitet. Ich habe mucksmäuschenstill dagesessen. Ich dachte, sie sieht ein Gespenst. Es war seltsam. Ich konnte sie nicht fragen. Es war so, als wäre ich gar nicht da. Maria hat gelauscht. Und leise gesprochen. Erst schüchtern, dann froh. Ihr Gesicht hat geglänzt von einem helleren Licht als der Sonne. Es hat gedauert. Vielleicht nicht lange. Aber doch …
Als es vorbei ist, schüttelt Maria sich.
Sie lässt die Arme sinken. Sie sieht mich an. Sie sagt meinen Namen. Kleine Maria. „Was … was ist geschehen?“, frage ich scheu. „Ein Engel“, sagt Maria wie im Traum. „Ein Engel des Herrn ist gekommen.“ Ein Engel. Kein Gespenst. „Was wollte er?“, frage ich. „Ich soll ein Kind bekommen“, sagt Maria, „einen Sohn. Ich soll ihn Jesus nennen. Gott hilft. Gott selbst kommt in diesem Kind auf die Welt. Stell dir vor …“
Das kann ich mir nicht vorstellen. Das ist mir viel zu groß. Ich bin noch viel zu jung für ein Baby. Und Maria – Maria eigentlich auch … Maria aber – das kann ich sehen –, die fängt gerade an, sich zu freuen, still und tief. „Stell dir das vor!“, wiederholt sie. „Was für ein Segen! Durch mich!“
Leseprobe 2, aus den Geschichten von Johannes und Jesus, Lukas 2-9: Ein Mädchen aus Nazareth erzählt
Ich hörte mich unter den Frauen um, den Frauen von Jerusalem, die sich um ihre Männer (oder Brüder) sorgten. Von Jesus, meinem Bruder, hatten sie alle schon gehört. „Ein Lehrer“, sagten sie, „mit einer neuen Lehre.“ „Von Gott gesandt“, sagten sie auch. Und: „Er hat heilende Hände.“ Ja, die hat er, mein Bruder: heilende Hände. Hatte er immer. Ich denke an zu Hause. Und plötzlich wünschte ich, ich könnte mit Jona tauschen. Ja, ich wäre gern oben, am See Genezaret, und sähe ihm zu, wie er heilt.
Natürlich war das nur ein Traum, und natürlich kam es anders. Wir zogen von Jerusalem weg, aber nicht, um nach Galiläa zu gehen. Wir gingen nach Machaerus, in die Stadt des Herodes Antipas am Toten Meer. Wir gingen nicht freiwillig, wir wurden geholt.
Das war, als Johannes öffentlich gegen Ehebruch gepredigt hatte (und alle wussten, dass Herodes seine Frau, die Tochter seines Rivalen Aretas, in die Wüste geschickt hatte). Schneller als der Wind war diese Kunde in Herodes’ Ohren und der Befehl zur Verhaftung auf seinen Lippen. Soldaten kamen und holten Johannes. Und ich schnürte mein Bündel und folgte ihnen.
„Wir wünschen dem Propheten Gutes“, sagt einer der Soldaten der Nachhut. Er hat auf mich gewartet. „Weißt du, wir haben ihn gehört, dort am Jordan. Und manche von uns haben sich taufen lassen. Wir glauben an ihn!“ Er gibt mir Wasser. „Sei getrost: Er wird freikommen.“
Es zeigte sich aber, dass die Soldaten zu viel versprochen hatten. Mit dem Freikommen, das wurde nichts. Ich baute mir wieder eine Laubhütte. Und wieder wartete ich. Die getauften Soldaten kamen und gingen. Und auch einige von Johannes’ Jüngern kamen, um nach ihrem Lehrer zu sehen. Besuch durfte er bekommen. Nur frei kam er nicht. Es schien so eine Art Hass-Liebe zu sein zwischen Herodes und Johannes. Herodes war beeindruckt von Johannes. Und er fürchtete ihn.
Er fragt nach Jesus. Zwei Schüler des Johannes stehen vor mir, als ich Brot backe. „Johannes sendet uns. Wir sollen sehen und hören, wer er ist, Jesus von Nazareth.“ Ich denke an zu Hause, an unsere Mutter, an Jona, und wo ich gern wäre. „Gut“, sage ich. „Versucht es.“
Die Jünger sehen mich zweifelnd an. „Ich habe gehört, Jesus ist dein Bruder“, sagt einer. „Er kann ja nicht mehr sein als ein Mensch, oder?“, fügt der andere hinzu. Ich denke an etwas, das Jesus gesagt hat. „Mensch zu sein ist das Einzige“, sage ich, „das Einzige, was in Gottes Augen zählt.“
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