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Ein Kinderbuch bewegt die Ukraine
Interview mit Larissa Denisenko

29. November 2017 | Von Jasper Steinlein

Die ukrainische Aktivistin und Journalistin Larissa Denisenko hat ein Kinderbuch geschrieben, das die Gemüter erregt. Sie stellt unterschiedliche Familienmodelle vor, darunter auch ein homosexuelles Elternpaar. In der Ukraine gilt das noch immer als Tabu. Jasper Steinlein hat sie interviewt.

Frage: Maja wird den Lesern im Buch als ein ganz normales Mädchen vorgestellt…

Larissa Denisenko: Das ist sie ja auch – wie die anderen Mädchen und Jungen in diesem Buch. Das sind alles hervorragende und liebenswerte Kinder, die zu ihrem Glück auch noch eine tolle Lehrerin haben.

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Erst am Ende erfahren die Leser Majas Geschichte: Sie wurde von einem anonymen Spender gezeugt und wächst bei zwei Müttern auf.

In dem Buch versuche ich über Kinderrechte zu sprechen; darüber, dass jede Familie, in der Wertschätzung und Liebe herrschen, eine gute Familie ist – egal, wie diese Familie sich zusammensetzt – und dass man ein Kind nicht dafür erniedrigen darf, dass irgendjemandem seine Familie nicht gefällt. Einige Leute haben daraus etwas anderes herausgelesen.

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Was ist passiert?

Vor einer Buchpräsentation beim Verlegerforum in Lwiw haben 15 rechtsradikale Organisationen einen gemeinsamen Drohbrief geschrieben und gefordert, die Vorstellung von „Maja und ihre Mamas“ abzusagen, weil das Buch nationalen Werten der Ukraine widerspreche und die traditionelle ukrainische Familie zerstöre.

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Wie sieht eine traditionelle ukrainische Familie denn aus?

Ich weiß nicht, was „traditionell“ in diesem Kontext überhaupt bedeuten soll. Ist die christliche Tradition gemeint? Die Tradition der ukrainischen Kosaken? Etwa die kommunistische Tradition? Es gibt ganz verschiedene Familien: alleinerziehende Mütter, Familien, in denen Mutter und Großmutter das Kind aufziehen – oder Großmutter und Tante, weil die Eltern im Ausland arbeiten. Es gibt Waisenkinder, Adoptivkinder, Familien mit Stiefvater oder Stiefmutter, gleichgeschlechtliche Paare und natürlich: Mutter, Vater, Kind.

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In der Ukraine sind auch durch die politische und soziale Lage andere Familienformen entstanden: Väter sind im Krieg gefallen oder vermisst, Mütter mit ihren Kindern aus der umkämpften Ostukraine geflüchtet. Zugleich beschwören Nationalisten, Rechtsextreme und viele orthodoxe Christen in Demonstrationen und Kampagnen sogenannte „traditionelle Familienwerte“. Bestehen diese Werte nur darin, dass ein Kind Vater und Mutter braucht?

Ich kann die Ansichten der Orthodoxen und Rechtsextremen bis zu dem Punkt wertschätzen, an dem Gewalt, Aggression und Drohungen anfangen. Die Leute können der Meinung sein, dass in der modernen Welt das einzig ideale Familienmodell in Mutter, Vater und mehreren Kindern besteht. Und es ist wunderbar, dass es solche Familien gibt und ihnen niemand mit Geringschätzung oder Gewalt begegnet! Aber ich bin kategorisch dagegen, dass Kinder aus anderen Familien „vaterloser Bastard“ genannt werden, dass sie beschimpft werden, dass Einwanderer- oder Roma-Kinder erniedrigt werden. Ich finde, dass zu den verbindenden Familienwerten – ob sie traditionell sind oder nicht – Liebe, Wertschätzung, Akzeptanz und Verständnis gehören.

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Gab es auch positive Stimmen zu „Maja“?

Ich möchte betonen, dass das Buch von bekannten Kinderpsychologen, dem Kultusministerium, dem Vize-Premierminister Pawlo Rosenko und vielen Menschenrechtsaktivisten, Soziologen und Journalisten unterstützt wurde. Weil es sich um einen Beitrag zu Gesellschaft und Menschenrechten handelt, entstand die Idee, es für Bibliotheken, kinderreiche Familien, Internate und Kinderferienlager einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Die Heinrich-Böll-Stiftung in der Ukraine hat dafür einen Teil der Auflage gesponsert.

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Das Buch ist nicht ihr Erstlingswerk in der Kinderliteratur…

In erster Linie bin ich Menschenrechtlerin und Anwältin, die auch Bücher schreibt und für das Radio arbeitet. Ich publiziere seit 2003. Eine ganze Generation Kinder ist schon mit meinen Büchern aufgewachsen! Einige Veröffentlichungen werden auch im Schulunterricht der ersten bis vierten Klasse verwendet. Etliche Jahre war ich außerdem Chefredakteurin zweier Kinder- und Jugendzeitschriften zum Thema Menschenrechte.

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Warum ist „Maja und ihre Mamas“ in dem zweisprachigen Land auf Ukrainisch, aber nicht in ihrer Muttersprache Russisch erschienen?

Ich habe keine Muttersprache, sondern eine Sprache der Kindheit. Meine Mutter ist Litauerin, mein Vater ein „ukrainisierter“ Grieche. Ihre gemeinsame Sprache war das Russische, weil in der ehemaligen Sowjetunion die Nationalsprachen nicht sehr geschätzt wurden. Russisch beherrsche ich gut, aber ich schreibe vorwiegend auf Ukrainisch. Das ist meine sprachliche Entscheidung als ukrainische Staatsbürgerin.

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Welche Konsequenzen ziehen Sie aus der Ablehnung, die Ihnen wegen „Maja und ihre Mamas“ entgegenschlug?

 In Lwiw wurde lediglich eine Präsentation des Buchs aus Sicherheitsgründen abgesagt: die für Kinder. Zwei weitere Diskussionsrunden haben stattgefunden. Polizei, ein privater Wachdienst, Freunde und Kollegen waren anwesend und es ging alles gut – es sind sogar viele Leute gekommen. Die ganze Situation hat mir die Möglichkeit gegeben zu verstehen, dass ich etwas in dieser Welt und in meinem Land zum Besseren verändern kann: „Nein“ zu Diskriminierung sagen und für die Gleichberechtigung unter Erwachsenen und Kindern eintreten. Ich habe gesehen, dass ich viele Gleichgesinnte habe – und noch viel Arbeit vor uns liegt.

 Das Buch ist mittlerweile online kostenlos als PDF verfügbar – auch im Zuge der Initiative, das Buch für alle zugänglich zu machen: https://vydavnytstvo.com/wp-content/uploads/book_Maja_final_lowres.pdf 
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Von Jasper Steinlein, Hamburg

Jasper Steinlein wohnt in Hamburg, arbeitet als Redakteur für tagesschau.de und reist von dort regelmäßig in die russischsprachige Welt, unter anderem nach Russland, in die Ukraine und ins Baltikum. Davor war er Redakteur bei der Süddeutschen Zeitung. Wichtigster Grundsatz als Journalist: „Reden mit“ statt „reden über“! Mehr unter: http://steinlein.online. Vor seinem Outing als Transmann war er 2017 bis 2020 Teil unseres Korrespondentinnen-Teams.

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