In Russland hält Wladimir Putin allein alle Zügel in der Hand? Von wegen: Bei der Präsidentschaftswahl am 18. März fordert ihn erstmals eine Gegenkandidatin heraus – und auch auf Seiten des Staates beeinflussen und gestalten Frauen das Land entscheidend mit. Wir stellen fünf Schlüsselfiguren der russischen Politik und Gesellschaft vor.
Von Jasper Steinlein, Moskau
Xenia Sobtschak, Präsidentschaftskandidatin
Vielen Russen kennen die Herausforderin Putins eher als Fernsehfigur denn als Oppositionelle. Denn ihre Karriere begann die „russische Paris Hilton“ als Moderatorin und Partygirl. Schon den Wandel zur seriösen Fernsehjournalistin nahmen ihr viele nicht ab. Doch als sie sich seit 2011 an oppositionellen Protesten beteiligte, war sie aus dem Programm der staatlich kontrollierten Fernsehsender verschwunden – und tauchte dort erst wieder Ende 2017 mit der Botschaft auf, als Kandidatin „gegen alle“ bei der Präsidentschaftswahl anzutreten. Viele argwöhnen, Sobtschak sei eine Strohfrau Putins, die durch ihren Bekanntheitsgrad die Wahlbeteiligung erhöhen soll. Immerhin gilt ihr Vater Anatolij Sobtschak als Förderer Putins, der ihm in den 90er Jahren als Bürgermeister von St. Petersburg zum Einstieg in die Politik verhalf. Sobtschak selbst gab zu, dass sie mit Putin im Voraus über ihre Kandidatur für die Partei „Bürgerinitiative“ gesprochen habe und gar nicht gewinnen wolle. Unter prominenten Oppositionellen wie Aleksej Nawalny, dem sie in der Presse mehrfach die Hand reichte, hat sie kaum Unterstützer. Was nach der Wahl aus ihren politischen Ambitionen wird, bleibt abzuwarten. Immerhin hat sich das ehemalige Jugendidol mit ihrer Kandidatur mal wieder ins Gespräch gebracht.
Nadjeschda Tolokonnikowa, Protestkünstlerin bei „Pussy Riot“
Für sich betrachtet mögen die Aktionen ihres feministischen Künstlerkollektivs „Pussy Riot“ in westlichen Augen als provokant bis trivial durchgehen – in Russland haben sie die Kraft, ein ganzes staatliches System ad absurdum zu führen. Nur so lässt sich verstehen, warum Nadjeschda Tolokonnikowa und zwei weitere junge Frauen, die 2012 in Strumpfmasken und bunten Kleidchen in der Christ-Erlöser-Kathedrale in Moskau einen Punkrock-Song aufgeführt hatten, zwei Jahre in Lagerhaft verbüßen mussten und noch immer bei öffentlichen Auftritten verhaftet oder tätlich angegriffen werden. Dass Tolokonnikowa wegen ihres Aussehens in den Medien oft als eine Art ungehorsame Schöne dargestellt wird, ist dabei Segen und Fluch zugleich: Denn Berichte mit Fotos und Interviews erzeugen zwar mediale Aufmerksamkeit, die die junge Aktivistin bei Protesten bis zu einem gewissen Grad schützt, aber nicht unbedingt Verständnis für ihre Ziele weckt – schon gar nicht in ihrer Heimat Russland. Gleichzeitig hat die einstige Philosophiestudentin gelernt, dieses Spiel mitzuspielen, ob als Ehrengast bei CSD-Paraden, mit einem Rap über den korrupten Generalstaatsanwalt Juri Tschaika oder durch einen Pop-Ratgeber namens „Anleitung für eine Revolution“. Folgerichtig wird es ihr auch im Rahmen der diesjährigen Fußball-Weltmeisterschaft in Russland an öffentlichen Auftritten nicht fehlen.
Elwira Nabiullina, Chefin der russischen Zentralbank
Im eigenen Land ist Elwira Nabiullina wegen ihrer Währungspolitik nicht gerade beliebt. Fachzeitschriften feiern sie hingegen als „die Frau, die den Rubel gerettet hat“. Als der Rubelkurs 2014 nach der Verhängung der EU-Sanktionen ins Bodenlose gestürzt ist, stand sie erst ein Jahr an der Spitze der russischen Zentralbank. Trotz nie verstummender Kritik gab Nabiullina die Wechselkursbindung an Euro und Dollar auf, erhöhte den Leitzins drastisch – und steuerte so die Währung binnen eines Jahres zurück in die Stabilität. Ebenso konsequent treibt sie seit Jahren die Konsolidierung des russischen Bankensektors voran, der durch teils unrentable Geldinstitute zersplittert war. Nabiullina selbst spricht von einer „Befreiung von schwachen Spielern“. Putins Vertrauen hat sich die Tatarin aus einfachen Verhältnissen als Ministerin für wirtschaftliche Entwicklung und persönliche Beraterin erarbeitet. Doch auf dem Weg zur mächtigen Reformerin der russischen Finanzwelt blieben Anfeindungen freilich nicht aus: Die Verantwortung für die Finanzen eines großen Landes müsse „ein männliches Gehirn“ tragen, unkte beispielsweise der nationalistische Politiker Wladimir Schirinowski vor ihrer Wahl zur Zentralbankchefin. Nabiullina kommentiert solche Bemerkungen mit dem Satz: „Wenn ich all dem Aufmerksamkeit schenken würde, hätte ich wenig anderes zu tun.“
Tatjana Moskalkowa, Menschenrechtsbeauftragte
Eine frühere Polizei-Generalmajorin, die in der ehemaligen Sowjetrepublik Belarus geboren wurde, als Menschenrechtsbeauftragte Russlands? Tatjana Moskalkowas Ernennung löste 2016 – gelinde gesagt – Erstaunen aus. Hatte sie doch anders als ihre Vorgängerin Ella Pamfilowa zuvor keinerlei Engagement für den Schutz des Einzelnen gezeigt. Einige hielten ihr als Qualifikation zugute, dass sie in den 80er Jahren im Innenministerium für Begnadigungsgesuche zuständig war. In ihrer Zeit als Duma-Abgeordnete hatte sie vor allem reaktionäre Gesetzentwürfe mitgetragen. Schon wenig später räumte Moskalkowa alle Zweifel darüber aus, was sie unter ihrem Amt versteht. Kurz nach ihrer Ernennung 2016 sagte sie: Menschenrechte würden vom Westen als „Waffe“ zur Erpressung und versuchten Destabilisierung Russlands benutzt. Ihre Aufgabe sei es deshalb, dem etwas entgegenzusetzen. Dabei geht sie ihren ganz eigenen Weg: In einem Interview mit der unabhängigen Zeitung „Nowaya Gaseta“ fielen ihr, absichtlich oder unabsichtlich, die Namen der beiden großen russischen Menschenrechtsorganisationen „Memorial“ und „Moskauer Helsinki-Gruppe“ nicht ein. Die Angelegenheiten politischer Gefangener und Homosexueller hält sie erklärtermaßen für nachrangig. Für andere wie den Aktivisten Ildar Dadin, der gegen den Krieg mit der Ukraine demonstriert hatte, und den tschetschenischen Regionalleiter von „Memorial“, Ojub Titiew, setzt sie sich hingegen ein – und bevorzugt ansonsten unverfänglichere Themen wie die Rechte von Kindern.
Irina Jarowaja, Abgeordnete in der Staatsduma
So linientreu wie Irina Jarowaja kann nur eine Geläuterte sein. Die in der Ostukraine geborene Politikerin begann ihre Laufbahn in der liberalen Oppositionpartei „Jabloko“, zu deren Fraktionsvorsitzender sie im Parlament des Regionalbezirks Kamtschatka im Fernen Osten Russlands aufstieg. Dann trat sie überraschend aus und Putins Partei „Einiges Russland“ bei. Über ihren Sinneswandel vor mehr als zehn Jahren mutmaßen einstige Parteigenossen, sie habe Sehnsucht nach einem besseren Leben mit Wohnung, Auto und Abgeordnetensitz in Moskau gehabt. Und tatsächlich tut sie sich seit 2007 als Initiatorin reaktionärer Gesetzentwürfe im russischen Parlament hervor – und ist dabei so produktiv, dass manche sie spöttisch mit einem wildgewordenen Drucker vergleichen. Der bislang wichtigste Erfolg der Hardlinerin, die unter Abgeordneten für ihre spitze Zunge gefürchtet ist, ist ein Anti-Terror-Maßnahmenpaket. Es sieht unter anderem die Vorratsdatenspeicherung von Telefongesprächen und SMS sowie Einschränkungen bei der Erlaubnis religiöser Missionierung vor und ist als „Jarowaja-Gesetz“ bekannt. Es tritt am 1. Juli 2018 vollumfänglich in Kraft.