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Die Welt besser verstehen
Porträt einer spanischen Malerin

9. September 2024 | Von Heike Papenfuss | 11 Minuten Lesezeit
Farblich abgestimmt: Im Atelier der spanischen Künstlerin und Philosophin Mery Sales. Fotos: Heike Papenfuss

Mery Sales ist heute eine der bedeutendsten Malerinnen Valencias. Ihre Kunst ist zugleich poetisch und politisch. Sie selbst sieht sich als Malerin und Philosophin. Ihre Bilder erschließen sich nicht auf den ersten Blick. Sie sind Ausdruck ihrer Auseinandersetzung mit den Fragen und den Problemen unserer Zeit.

Von Heike Papenfuss, Valencia

 

Zusammenfassung:

Mery Sales ist eine bedeutende Malerin aus Valencia, deren Werke poetisch und politisch sind. Ihre Kunst beschäftigt sich mit den Problemen und Fragen unserer Zeit. Nach einem Kunststudium in Valencia und einem prägenden Aufenthalt in Griechenland, kehrte sie voller Energie zurück, um sich der Malerei zu widmen. Sales’ Werke erfordern ein tiefes Eintauchen und setzen sich intensiv mit Philosophie und sozialen Themen auseinander. Trotz Herausforderungen im Kunstmarkt bleibt sie entschlossen, ihre Kunst sichtbar zu machen und andere Frauen zu unterstützen. Ihr Ziel ist es, durch Malerei die Welt besser zu verstehen und zu verändern.

 

Ein aufgewühltes Meer, eine Person, die auf dem Fußboden kauert, mit einem Kissen vor dem Gesicht oder die junge Frau im Arbeitsoverall, die ein Gewehr geschultert hat und die Betrachter*in scheinbar ruhig anschaut: Die Bilder von Mery Sales werfen Fragen auf und regen zum Nachdenken an. Die Kunst ist für sie nicht Selbstzweck, ihre Kunst ist engagiert, sie ist politisch. „Die Malerei stellt nicht nur etwas dar, bildet nicht nur ab“, beschreibt sie selbst ihr Credo, „die Kunst transformiert und sie transformiert auch mich selbst. Wenn sie mich nicht loslässt, dann weil ich mich durch sie verändere, lerne und die zurücklasse, die ich war.“ 

Mery Sales, 1970 in Valencia geboren, wusste früh, dass sie Malerin werden wollte. Nach dem Abitur studierte sie an der Universität ihrer Heimatstadt Kunst und ging danach mit einem Erasmus-Stipendium für einige Monate nach Athen an die dortige Fakultät der Schönen Künste. Nach dem Ende des Stipendiums beschloss sie, in Griechenland zu bleiben und das Land zu bereisen. Das Geld dafür verdiente sie, indem sie auf den Straßen Bilder und Karikaturen machte und verkaufte. 

Diese Zeit allein in Griechenland war eine Erfahrung, die sie prägen sollte: „Für mich ist es sehr wichtig, meinen Ort zu verlassen und etwas aus einer anderen Perspektive zu sehen, und auch sich selbst plötzlich als eine Andere, als die Fremde zu sehen. Ich habe in dieser Zeit entdeckt, dass du nie alleine bist, denn es gibt viele Menschen. Selbst wenn du alleine bist, bist du es nicht wirklich, denn es gibt viele Menschen, die dich verstehen und dir helfen. Und ich habe gelernt, dass ich fast nichts brauche, um frei zu sein und das zu tun, was ich möchte.“

Die Kunst, zu transformieren: Malerin Mery Sales Gemälde laden das Publikum zum Eintauchen und Umdenken ein.

Eine andere Form des Schreibens

Voller Energie kehrte sie nach Valencia zurück, entschlossen, sich der Malerei zu widmen. Sie spürte, dass sie Dinge zu erzählen hatte, aber auch, dass sie lernen musste, sie zu erzählen. Deshalb beschloss sie, ihr Studium wieder aufzunehmen und promovierte an der Universität in Valencia mit einer Arbeit über den deutschen Maler Gerhard Richter. Er ist nicht der Einzige, der sie in den nächsten Jahren beeinflussen wird. Es sind drei Philosophinnen, die ihr Denken maßgeblich geprägt haben: Hannah Arendt, Simone Weil und Maria Zambrano. 

Mery Sales setzt sich intensiv mit den politischen und sozialen Anschauungen der drei Frauen auseinander, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts von Krieg, Gewalt, Verfolgung und Flucht geprägt wurden. Diese drei Frauen hatten eine „dichterische Vision, und sie engagierten sich politisch und sozial. Sie riskierten ungefähr in der gleichen Zeit ihr Leben. Sie waren Zeitzeuginnen und erzählten, was sie sahen.  

In dieser Hinsicht sieht Sales auch einen Zusammenhang mit Gerhard Richter, der lange als apolitischer Maler gesehen wurde: „Er zeigte Opfer und Henker in seiner Gesellschaft und in seiner Familie. Diese Bilder sind keine Pamphlete, sie haben eine kommunikative Funktion und sind ein sehr mutiges Zeugnis.“ Besonders Hannah Arendt, der sie eine eigene Ausstellung widmete, hat einen großen Einfluss auf ihr Denken und in der Folge auch auf ihre Malerei. Sie teilt Arendts Anliegen des offenen Austausches, der Kommunikation und der Bereitschaft, andere zu verstehen. 

Die Malerin leidet darunter, dass unsere Gesellschaften heute so polarisiert sind und der Austausch miteinander so schwierig geworden ist. „Hannah Arendt hat nicht die Augen verschlossen – auch nicht vor dem Bösen. Sie hat darüber nachgedacht, versuchte, es zu verstehen, ohne es zu rechtfertigen. Wir müssen Wege finden, miteinander zu reden und bereit sein, uns und unsere Positionen in Frage zu stellen. Der größte Feind ist die Angst. Sie ist sehr gefährlich und verschließt uns.“  

Malerei ist etwas Sinnliches

Sales Malerei ist eine andere Form des Schreibens, des Erzählens. Auch für die ebenfalls in Valencia lebende Kunsthistorikerin und Philosophin Johanna Caplliure ist sie Malerin und Denkerin zugleich: „Ihr Denk-Kanal ist ein anderer als der, den wir normalerweise gewohnt sind, nämlich der des Wortes und des Schreibens. Ihr Ausdruck ist die visuelle Kunst. Sie hat den Stift eingetauscht gegen den Pinsel und die Worte gegen Farbflecken. Diese Liebe zum Denken und zur Philosophie drückt sie über die Malerei aus.“ 

Dabei nimmt Sales durchaus auch den Stift zur Hand, denn „ich muss schreiben, um zu verstehen, was ich male“. Sie ist ein kritischer Geist, aber ihre Malerei ist nicht nur vom Kopf gesteuert. „Das Beste“, das sie habe, sei ihre Intuition sagt sie: „Wenn ich beim Malen nicht weiß, wie ich etwas machen will, lasse ich mich von der Intuition tragen.“ In der Malerei verbildlicht sie keine konkreten politischen Themen, sondern drückt ihre Haltung dazu aus. Sie will motivieren, Fragen zu stellen und sich auseinanderzusetzen. Wer die Bilder von Mery Sales verstehen will, muss in sie eintauchen. 

Johanna Caplliure erklärt: „Mery ist wie eine dieser schönen französischen Schauspielerinnen, immer gut angezogen, feinfühlig, immer liebenswürdig, sie strahlt Wärme aus. Aber ihre Bilder sind das Gegenteil. Sie spricht, worüber man nicht spricht, über das Unbeschreibliche, über den Schmerz, die Unterdrückung. Das bringt eine Schwierigkeit mit sich, wenn man es wie sie in Bildern ausdrückt, ohne Gewalt, Blut oder Schmerz zu zeigen, was das Leichtere gewesen wäre, gnadenlose Bilder, die offensichtlich gewesen wären.“ 

Alle Zweifel im Bild festgehalten: Mery Sales malt intuitiv.

Die Bilder erzählen die Geschichte hinter der Geschichte, sie sind hintergründig, stellen ihre Botschaft nicht offensichtlich dar. Ihre Malerei richtet sich an Menschen, die bereit sind, sich darauf einzulassen. Menschen, die ein wenig mit der Dichtung, der Philosophie oder der Politik vertraut sind. Aber auch an Menschen, Zitat Sales, „die diese Bildung nicht haben, aber diesen Lockruf spüren, denn in der Malerei ist etwas sehr Physisches, Sinnliches, die Farben, die Formen, die Größe, die Bildelemente, die dich reagieren lassen.“

Die Künstlerin möchte sich in ihrer Arbeit nicht auf einen Stil festlegen. Sie malt Porträts, Abstraktes, auch Landschaften wie das Meer. Sie variiert Formate und die künstlerischen Techniken, die sie anwendet. Sie will sich frei entfalten können, auch wenn ihre Malerei dadurch nicht einfach einzuordnen ist, was ihren Erfolg im Kunstmarkt erschwert. Ihre Malerei sei als Produkt „unbequem“. Trotzdem kann sie von ihrer Malerei leben. 

Sie hat einige Wettbewerbe gewonnen und verkauft immer wieder ihre Bilder. Da die Einnahmen als freie Künstlerin schwankend sind, gibt sie von Anfang an auch Kurse, um ihre Grundkosten zu decken. In den ersten Jahren unterrichtete sie an der Universität in Valencia, inzwischen veranstaltet sie in ihrem Atelier an einem Tag in der Woche Workshops. 

Über die Jahre hat sie gelernt, dass es Frauen im Kunstmarkt generell schwer haben. Frauen müssten sich ihrer Meinung nach doppelt so sehr anstrengen wie Männer, um die gleiche Aufmerksamkeit zu bekommen. „Die Welt der Kunst wird hauptsächlich von einer männlichen Stimme bestimmt, und das sind nicht unbedingt nur Männer, es sind auch chauvinistische Frauen. Es ist zunächst nicht einfach, sich das einzugestehen und sich dann kritisch auseinanderzusetzen mit Menschen, die du bewunderst und schätzt und die dir viel beigebracht haben.“ 

Malen, um die Welt besser zu verstehen 

Kunsthistorikerin und Philosophin Johanna Caplliure im Gespräch mit Mery Sales.

Doch Mery Sales lässt sich nicht entmutigen. Sie setzt alles daran, ihre Bilder zu zeigen und sichtbar zu sein. Und sie versucht, andere Frauen zu unterstützen – sei es in ihrer Rolle als Jurorin in Wettbewerben oder wenn sie in Gemeinschaftsprojekten weibliche Assistent*innen bevorzugt. Sie sieht sich als Feministin. Sie ist überzeugt davon, dass die Errungenschaften des Feminismus verteidigt werden müssen, denn „immer, wenn es ein Stück vorwärts geht, gibt es eine reaktionäre Gegenwelle“. 

Die vielen aktuellen Krisen, wie die Pandemie, die Klimakrise und der Krieg in der Ukraine haben den Feminismus in die zweite Reihe verwiesen, sagt sie. Ein Fehler, „denn der Feminismus ist sehr integrierend, er sucht eine Gerechtigkeit und Gleichheit für alle“. Zu malen ist für Mery Sales ein Genuss. Aber nicht dieser Genuss ist es, der sie motiviert, sondern vielmehr der Wunsch, die Welt besser zu verstehen, zu sehen, wie wir leben und wie wir anders leben könnten. 

„Wenn ich ein Bild male, sind am Ende alle Zweifel, die ich währenddessen hatte, im Bild. Manchmal gelingt es nicht, dann werfe ich es weg oder übermale es. Für mich ist keines meiner Bilder perfekt, sie sind immer ein ‚was hätte sein können‘ und ein ‚was ist‘. Aber es sind meine Bilder und sie sind lebendig. Und deshalb wage ich es, sie zu zeigen.“


 

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Von Heike Papenfuss, Valencia / München

Heike Papenfuss ist freie Journalistin und Autorin. Sie arbeitete für Print, Radio und TV. Für das Bayerische Fernsehen realisierte sie Reportagen und Dokumentarfilme. Sie ist (Mit-)Autorin unterschiedlicher Bücher, zuletzt „Neues Leben für alte Häuser“ (Hirmer 2023). Mit ihrem Medienbüro Heike Papenfuss hat sie sich auf Porträts interessanter Frauen spezialisiert. Neben dem Schreiben gehört ihre Leidenschaft Spanien und der spanischen Sprache.

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