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Die Wellen sind nur der Anfang
Auf Tuchfühlung mit den „Surfing Mums“

25. Januar 2023 | Von Ragna Swyter
Wenn sich die Mütter am Strand treffen, bilden sie Teams, wobei eine Mutter eine Stunde surfen kann, während eine andere die Kinder beaufsichtigt. Fotos: Ragna Swyter

Nandi Spry hat drei, Megan Wykes sechs Kinder auf die Welt gebracht. Beide haben alle Hände voll zu tun und schaffen es trotzdem, regelmäßig mindestens einmal in der Woche Wellenreiten zu gehen – Dank eines einfachen Systems. Wir haben die „Surfing Mums“ ein Wochenende lang begleitet

Von Ragna Swyter, Sydney

Nass, aber mit einem entspannten und glücklichen Gesichtsausdruck und jeweils einem Surfbrett unter dem Arm kommen Nandi Spry und Megan Wykes aus dem Busch. Diesen mussten sie auf ihrem Weg vom Strand durchqueren. Gerade waren die Mütter noch Wellenreiten, nun nehmen sie ihre Kinder in den Arm. Die Australierinnen wohnen in Sydney. An diesem Wochenende aber sind sie am Seven Mile Beach, rund zwei Stunden Autofahrt südlich der australischen Metropole.

Die in ganz Australien verbreitete gemeinnützige Organisation „Surfing Mums“ veranstaltet hier, auf einem Campingplatz, ihre Jahreshauptversammlung. Angereist sind etwa 30 Frauen mit und ohne Familie aus dem ganzen Land. Selbstverständlich wird in erster Linie gesurft. „Surfing Mums hat mein Leben verändert“, strahlt Nandi Spry. „Als Mütter brauchen wir einfach regelmäßige Unterstützung, vor allem wenn wir gerade Babys auf die Welt gebracht haben. Die Gruppe hat mir genau diese Stabilität und das Selbstvertrauen gegeben, mich da durchzuboxen.“


 

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Das Prinzip der Surfing Mums

Sie und Megan Wykes sind zwei von rund 400 Müttern, die landesweit der „Surfing-Mums-Organisation“ gehören und mit Wickeltaschen und Surfbrettern ihre jeweils lokalen Strände belagern. Das Prinzip ist simpel und funktioniert in Zweier-Teams: Jeweils eine Mutter geht eine Stunde lang surfen, während die andere mit anderen Müttern auf die Kinder aufpasst, sie füttert und auch mal einen Streit schlichtet. Danach wird gewechselt.

Organisiert werden die 40 Gruppen jeweils von Koordinatorinnen. Ein- oder zweimal in der Woche treffen sich die Surferinnen, meistens vormittags. Ob Anfängerin oder halbe Profisurferin, Säugling oder Kindergartenkind – willkommen sind alle. Einige wohnen in direkter Nachbarschaft, andere nehmen eine längere Fahrt auf sich, um mitzumachen. Eine jährliche Gebühr von umgerechnet 33 Euro deckt die Versicherungskosten. Auf der Webseite sind unter anderem Tipps zur Eingewöhnung neuer Kinder zu finden, aber ein anderer Satz bleibt beim Lesen im Gedächtnis hängen: „The waves are just the beginning“, zu Deutsch „Die Wellen sind nur der Anfang“.

Megan Wykes (zweite v. l.), mit ihrer ältesten Tochter Demi sowie Nandy Spry mit ihrem Sohn Travis sind zwei von rund 400 Surfing Mums in Australien.

Die Idee für die „Surfing Mums“ wurde 2008 im australischen Surf- und Hippie-Mekka Byron Bay geboren, ein Ort an der Ostküste des Kontinents. Dort lockt der Ozean jeden Tag mit perfekten sanften Wellen. Viele surfbegeisterte Mütter konnten sich diese aber nur vom Strand anschauen, da der Nachwuchs natürlich beaufsichtigt werden muss. Professionelle Kinderbetreuung ist in Australien sehr teuer, ein Tag in einer Tagesstätte kann bis zu 100 Euro kosten und Plätze gibt es nur wenige. Betreuung durch andere Familienmitglieder wie die Großeltern ist oft nicht möglich. Da jede*r dritte Australier*innen eingewandert ist, leben diese meist nicht vor Ort.

Außerdem ziehen diese Einwanderer laut des australischen Amts für Statistik selber gerne an die Küste, oftmals ohne ihre Eltern. Und wenn der oder die Partner*in Vollzeit arbeitet, ist keine andere Betreuungsperson verfügbar. Aus einer Idee zum Eigennutz entstand darum eine große Begeisterung und schnell schwappte sie über: Mittlerweile gibt es sogar Gruppen auf Hawaii. Eine Australierin hat 2018 das System der „Surfing Mums“ dort eingeführt.

Früh übt sich: Bei den Surfing Mums darf auch mal der Nachwuchs ins Wasser.

Surfen als Heilmittel                                                    

Warum ist Surfen den Frauen so wichtig? Um das zu verstehen, hilft es, sich mit dem Phänomen des Surfens auseinanderzusetzen. Salzwasser hat eine positive Wirkung auf den Körper: Haut, Immunsystem, Atmung – ziemlich viel profitiert bereits davon, wenn der Mensch regelmäßig ins Meer springt. Kommt noch die körperliche und mentale Herausforderung des Wellenreitens dazu, ist die Mischung quasi perfekt. Surfen ist sogar schon ärztlich verschrieben worden, da es antidepressive Wirkungen auf den Menschen hat. So heißt es, dass Wellenreiten bei depressiven Symptomen helfen könne wie unter anderem bei negativen Gedanken, Schlaflosigkeit und Reizbarkeit.

Eine US-amerikanische Studie bewies beispielsweise, dass nur eine halbe Stunde Surfen die Glücksgefühle signifikant steigern kann. Natürlich ist bekannt, dass Sport Endorphine im menschlichen Körper auslöst, weshalb eine andere Studie die Resultate mit weiteren Sportarten verglich. Das Ergebnis: Wellenreiten steigert wie keine andere Sportart Ruhe und Gelassenheit und die Studien-Teilnehmer*innen verließen das Meer mit einem Gefühl, etwas erreicht zu haben. Auf diesen Resultaten basiert die sogenannte Surf Therapie, die es mittlerweile überall auf der Welt gibt.

Diese Ergebnisse kann die vielfache Mutter Megan Wykes nur bestätigen. „Ich war in den letzten zehn Jahren quasi ständig schwanger. In diesem Jahr habe ich beschlossen, endlich etwas für mich selbst zu tun und mich entschieden, surfen zu lernen“, erzählt sie lachend auf dem Campingplatz. Surfen lernen ist in Australien einfach. Rund 87 Prozent der australischen Bevölkerung lebt nicht weiter als 50 Kilometer von der Küste entfernt. Da der Sport sehr verbreitet ist, gibt es Surfbretter und Neoprenanzüge im Vergleich zu Deutschland sehr günstig zu kaufen. Der Start ist also vergleichsweise einfach.

Die Jahreshauptversammlung der Surfing Mums: 30 Mütter aus ganz Australien trafen sich auf einem Campingplatz, um sich auszutauschen.

Gemeinsam durch Hochs und Tiefs

Das einzige Problem für die vielbeschäftigte Mutter Megan Wykes war Zeit. Sie erklärt: „Das regelmäßige Treffen mit den Surfing Mums bedeutet für mich eine willkommene Unterbrechung meines Alltages, weg von meinen Pflichten im Haushalt, Stress, Computer. In den Ozean einzutauchen kann alle Sorgen wegwaschen. Es ist toll, mit einer Gruppe Mütter zusammen surfen zu gehen – wir gehen gemeinsam durch Hochs und Tiefs und vor allem lachen wir viel gemeinsam.“

Doch nicht nur die Mütter profitieren. Eve Clark ist schon lange dabei. Sie hat kein Kleinkind mehr, ihr Sohn ist zehn Jahre alt. „Ich habe mit Surfing Mums angefangen, da war mein Sohn zwei“, erinnert sich die alleinerziehende Mutter. „Ich wollte einfach nur surfen“, sagt sie, doch bekommen habe sie viel mehr: Freundschaft, Gemeinschaft, Zeit für sich, Spaß im und außerhalb des Wassers, Freund*innen für den Nachwuchs und die Möglichkeit für die Kinder, Natur zu erleben und draußen zu sein.

Eve Clark mit ihrem Sohn Byron. Schon lange ist die alleinerziehende Mutter bei den Surfing Mums aktiv. | Foto: privat

Eve Clark arbeitet in der Gesundheitsförderung im Schulbereich und sieht vor allem die positiven Einflüsse auf die Kinder. „Sie wollen vielleicht nicht weg vom Bildschirm und an den Strand; die Eltern müssen sie manchmal überreden. Doch wenn sie erstmal da sind, lieben sie es.“ In Australien hat sich durch die Pandemie die Bildschirmzeit von Kindern fast verdoppelt. Pädagogische Einrichtungen mit Schwerpunkt Natur, wie in Deutschland beispielsweise Waldkindergärten, gibt es in Australien nicht.

Pendant: Kletterfamilie in der Schweiz

Spielen in der Natur wird auch den Kindern von Cornelia Ganzoni und Sandra Cavigelli ermöglicht – auch wenn die beiden Mütter aus der Schweiz keine Wellen reiten, sondern steile Felswände hochklettern. Cornelia Ganzoni lebte eine Zeit lang in Australien und war dort Teil einer Surfing-Mums-Gruppe. „Ich habe dort surfen lernen und wunderbare Freundschaften schließen dürfen. Die Treffen haben mir ermöglicht, draußen und im Meer zu sein und Zeit für mich zu haben. Das war für mich unglaublich wertvoll.“ Zurück in Graubünden wusste sie, dass sie auch hier etwas finden wollte, was ihr ermöglicht, Sport und Familie zu kombinieren.

Foto links: Die Schweizerinnen Sandra Cavigelli und Cornelia Ganzoni kreierten die KletterFamilia in der Schweiz. | Foto: privat

Gemeinsam mit der kletterbegeisterten Sandra Cavigelli kreierte sie vor einem Jahr die Gruppe „KletterFamilia“. Wichtig war beiden, dass das Angebot auch für Väter gelten sollte. Mittlerweile kommt ein fester Kern von sechs Familien mit Kindern im Alter von sechs Monaten bis vier Jahren zu den wöchentlichen Treffen. Geklettert oder gebouldert wird draußen, wenn das Wetter mitmacht; in der Kletterhalle, wenn es regnet oder zu kalt ist. Das Prinzip ist ähnlich. „Die einen klettern, die anderen spielen. Und im Sommer veranstalten wir ganze Klettertage“, so Ganzoni. Gemeinsam mit Sandra Cavigelli träumt sie davon, weitere Gruppen in der Schweiz zu finden, um sich gemeinsam in den Bergen zu treffen und auszutauschen.

Das Treffen der australischen Surfing Mums fand übrigens beinahe ein jähes Ende, als am Abend starker Regen einsetzte, der für den Rest des Wochenendes nicht mehr aufhören sollte. Das Meer war grau und Wellen gab es kaum noch. Richtig gestört hat es allerdings niemanden. Viele gingen trotzdem ins Wasser, gemeinsam mit den anderen Familien wurde gespielt, gelacht und neue Freundschaften geschlossen. Für Megan Wykes und Nandi Spry war es ein Wochenende, an das sie gerne noch lange zurückdenken.

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Von Ragna Swyter, Sydney

Ragna Swyter lebt seit 2010 mit ihrem Mann und zwei Kindern in Australien. Zuvor hatte sie als Redakteurin bei der Tageszeitung Südkurier in Konstanz am Bodensee gearbeitet, wo sie auch volontiert hat. Als freie Journalistin berichtet sie für diverse Medien. Am Liebsten schreibt sie über Menschen, Klima Wandel, Australien und Sportthemen. Außerdem ist sie als Surflehrerin und Life Coach tätig, wenn sie nicht gerade Wellen reitet.

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Mareike GraepelHaltern
Die US-Amerikanerin Cindy O’Brien lebt seit den 90er Jahren in Connemara, ganz im Westen von Irland und züchtet seltene Seeschnecken. Die sogenannten japanischen Abalone gedeihen an der irischen Küste gut. Sie gelten als Delikatesse und Aphrodisiakum, kosten bis zu 44 Euro pro Kilo – und sehen aus wie Vulven.

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