Marianita Montalvo ist Anwältin und Mediatorin in Ecuador. Der kleine Staat mit fast 16 Millionen Einwohnern an der Pazifikküste Lateinamerikas ist eines der Länder mit den fortschrittlichsten Mediationsgesetzen des Kontinents und lässt, laut offiziellen Angaben, rund 30.000 Konflikte im Jahr außergerichtlich schlichten.
Von Diana Deutschle, Quito
Marianita Montalvo ist keine von den Frauen, die viel Zeit darauf verwenden, was sie heute anziehen, und sie legt es auch nicht darauf an, „Piropos“ zu bekommen, wenn sie durch die Straßen von Ecuadors Hauptstadt Quito geht. „Piropos“, das sind die charmanten bis anzüglichen Komplimente, die in Lateinamerika von Norden bis Süden zum Alltag der Frauen gehören. Überall ist der Machismo präsent. Männer verehren Frauen als Wesen zwischen Sirene und Madonna, und auch wenn Frauen inzwischen Universitäten besuchen und Karriere machen, ihr Platz in der Gesellschaft ist traditionell an der Seite eines Mannes und im Kreise der Familie. Das ändert sich nur sehr langsam.
Marianita Montalvo, deren Vorname so viel wie kleine Maria bedeutet, ist anders: Die drahtig gewachsene Ecuadorianerin mit den vollen roten Lippen trägt Hose und eine lange Bluse mit Schulterpolstern, die sie bis oben zugeknöpft hat. Ihr Blick hat etwas Entschlossenes, ja fast Bohrendes. Wer ihre Stimme hört, spürt sofort, diese Frau hat Durchsetzungskraft und es wird schwer sein, sie von ihrem Vorhaben abzubringen. „Eigenschaften, die ich im Laufe der Zeit in mir entdeckt habe und die ich in meinem Beruf dringend brauche, da muss ich manchmal hart durchgreifen”, sagt sie trocken, während sie über die Akten vor ihr streicht.
Marianita Montalvo ist Anwältin und Mediatorin. Ihr Büro ist in den hellen Räumen des Landes-Mediationszentrums, das die Regierung von Ministerpräsident Rafael Correa erst vor zwei Jahren neu bauen ließ und das zum Justizministerium gehört. Dort arbeitet sie mit 100 Kollegen, die meisten davon: Frauen.
Allein mehr als 800 Mediationen im Jahr
Bei den Mediationen geht es vorwiegend um kleinere Auseinandersetzungen: Ehe, Familien- und Nachbarschaftsstreitigkeiten, aber auch um Arbeitsrecht und kommunale Angelegenheiten. „Strafsachen, alles was mit Gewalt, Drogen, Körperverletzung oder Verletzung von Menschenrechten zu tun hat, dürfen wir nicht bearbeiten. Das muss vor Gericht verhandelt werden”, erklärt Marianita Montalvo. 800 Fälle habe sie im letzten Jahr bearbeitet. In den ersten fünf Monaten dieses Jahres sind es bereits 400; Tendenz steigend.
Die Mediatorin wird gerufen, wenn jemand seine Miete an die Gemeinde nicht bezahlt oder ein Geschäft an einem Ort eröffnet hat, an dem es nicht bleiben kann. „Das Problem ist oft, dass in Ecuador viele Ortsvorsteher oder Oberhäupter von Gemeinden nicht lange fackeln und schnell unangemessen drastische Geldstrafen verhängen, die die Betroffenen in den Ruin treiben”, sagt die 43-Jährige. „In Ecuador neigen wir manchmal zum Drama und die Emotionen entgleiten dann, aber wenn man mit den Menschen spricht und ihnen zeigt, dass keiner ein Verlierer sein muss, zeigen sie sich schnell einverstanden.”
Marianita Montalvo versucht die Konflikte zügig zu schlichten, um die Kosten möglichst gering zu halten. Raum für ausgiebige Mediationsgespräche, wie etwa in Deutschland, gibt es kaum. „Die meisten Menschen hier können sich keinen Anwalt und noch viel weniger einen Gerichtsprozess leisten“, sagt sie und fügt mit Stolz in der Stimme hinzu, „wir Mediatoren haben eine Erfolgsquote von mehr als 90 Prozent.“ Es gebe viele Anwältinnen und Mediatorinnen in Ecuador, doch den Richterberuf übten immer noch vorwiegend Männer aus.
Die 43-jährige Ecuadorianerin hat sich im Leben vieles hart erarbeiten müssen – sie selbst sagt, dass sie sich durchgekämpft habe. Aufgewachsen ist sie in einer Kleinstadt im Süden Ecuadors. Ihre Eltern, die wie alle in der Gegend gläubige Katholiken waren, gehörten zum Mittelstand. Marianita und die drei Geschwister gingen zur Schule, konnten Abitur machen. Mit 17 verliebte sie sich in einen Medizinstudenten, wurde schwanger und heiratete. „Als ich mein Abitur machte, kam das erste Kind. Ein paar Jahre später folgte das zweite.” Klar war, dass die junge Mutter zu Hause bei den Kindern blieb, während ihr Mann sein Studium abschloss.
Nach fünf Jahren zerbrach die Beziehung. „In Ecuador nehmen sich die Männer das Recht heraus, ihre Frauen zu belügen und zu betrügen, so oft sie wollen“, sagt Marianita Montalvo rückblickend und ihre Stimme bekommt einen resignierten Unterton, „Frauen dürfen das aber nicht, aber ich konnte es nicht mehr länger ertragen.” Nach der Scheidung musste sie allein für die beiden Kinder sorgen. „Mein Mann, ein Arzt, musste mir 40 Dollar Unterhalt pro Monat bezahlen.”
Als die Kinder älter waren, begann sie Jura zu studieren
Nach dem Studium machte sie sich als unnachgiebige Staatsanwältin und strenge Chefin des Polizeireviers von Otavalo, einer Stadt im Norden Ecuadors und einem beliebten Reiseziel von nordamerikanischen und europäischen Touristen, einen Namen – ein Posten, an den in Ecuador Frauen in der Regel nicht kommen. Montalvo hat sich durchgesetzt, gegen viele Widerstände, auch wenn es Kraft gekostet hat: In der örtlichen Gastronomie und den Spiellokalen ordnete sie Sperrzeiten und Alterskontrollen an. Zuvor hatten in Otavalo viele Minderjährige in den Casinos und Kneipen abgehangen. Wenn sich jemand nicht an die Anweisung der Polizeichefin hielt, ließ sie kurzerhand das Lokal ganz schließen.
Heute bereist sie als Mentorin ganz Ecuador, sie ist Repräsentantin einer größer werdenden aufstrebenden Klasse Frauen, die Karriere machen vor allem in Bereichen, die keine Männerdomänen sind, wie die Mediation. Weiblichkeit sei hier wenig gefragt, so die Ecuadorianerin: „Von Männern angehört und akzeptiert zu werden, kostet Kraft. Und wer zu lieblich auftritt, kommt hier nicht weit.”
Marianita Montalvo hat Streitfälle in den entlegensten Landesteilen geschlichtet, war in indigenen Gemeinden in den Bergen und auf den Galapagosinseln. „Die Fälle in all diesen Gemeinden sind dieselben wie in der Stadt. Es geht um das Zusammenleben von Mann und Frau, um Eifersucht, die Kinder, Trennungen, Erbstreitigkeiten – nur gibt es dort kein Gericht, und die Menschen müssten für einen Prozess eine weite Reise auf sich nehmen. Das können wir ihnen ersparen, indem wir zu ihnen kommen“, sagt Marianita Montalvo. Sie ist glücklich, dass sie so im ganzen Land für mehr Gerechtigkeit sorgen kann, und noch etwas ist ihr wichtig: „Wir bringen vor allem auch den Frauen Gerechtigkeit, denn etliche haben zu Hause von ihrem Ehemann Gewalt erfahren. Ich kann sie stark machen und an meinem eigenen Leben zeigen, dass sie von niemandem abhängig sind und dass es auch anders geht.”