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Die Tabubrecherin
Franka Frei und die Menstruation

31. März 2021 | Von Anne Klesse
Franka Frei hat ein Buch darüber geschrieben, warum die Periode politisch ist. Fotos: Random House / Tibor Bozi

Die Periode ist politisch, findet Franka Frei: Sie wird als Schwäche wahrgenommen, die möglichst unsichtbar vonstatten gehen sollte. Das sei diskriminierend und nicht zeitgemäß.

Von Anne Klesse, Hamburg / Berlin

Wer Anfang der 90er Jahre regelmäßig ferngesehen hat, kennt den Werbeclip, in dem sich eine Frau einen Tampon in die Hand legt und sagt: „Die Geschichte der Menstruation ist eine Geschichte voller Missverständnisse.“ Der Tampon nehme „die Regel ganz natürlich da auf, wo sie passiert: im Inneren des Körpers“. Der Claim („Damit die Regel sauber und diskret abläuft“) spiegelt exakt wider, wie die Gesellschaft das Thema Menstruation damals behandelte: möglichst diskret, als etwas, das unsichtbar zu bleiben hatte.

Das Buch “Periode ist politisch” von Franka Frei.

Wirklich viel hat sich seither nicht getan, findet Franka Frei, die 2020 ihr Buch „Periode ist politisch. Ein Manifest gegen das Menstruationstabu“ veröffentlicht hat. Mittlerweile ist die zweite Auflage erschienen. Die 25-jährige Wahlberlinerin, die sich auf dem Cover rot gefärbte Tampons vor das Gesicht hält, bezeichnet sich selbst als Menstruationsaktivistin. Sie findet: „Die Periode ist eine faszinierende Körperfunktion, die die Hälfte der Menschheit hat. Daran ist nichts peinlich, nichts, wofür man sich schämen müsste. Also: Free the period!“

Ihre Mission als professionelle Tabubrecherin startete im August 2018 auf Facebook. Sie schrieb einen wütenden Text darüber, wie schwer es gewesen war, für ihre Bachelorarbeit an der Hochschule Mittweida mit dem Thema „Tabu und Menstruation“ Erstprüfer*innen zu finden: „Bis heute werden Frauen* stigmatisiert („die hat doch ihre Tage und zickt deswegen rum oder ist nicht bei Sinnen, zurechnungsfähig oder hysterisch“…).“ Weltweit würden Frauen und Mädchen ihrer Einschätzung nach „im Alltag, in sozialen Situationen, Bildung und Arbeit gehemmt und behindert, haben keinen Zugang zu ,Monatshygiene‘, werden aufgrund fehlender Aufklärung aus der Gesellschaft ausgeschlossen, für unrein und unterlegen erklärt“.

 

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Sie verwies auf Umfragen, nach denen sich die Hälfte der Frauen in Deutschland während ihrer Periode in sozialen Situationen unwohl fühlt. Viele hätten demnach Angst, jemand könne bemerken, dass sie gerade menstruierten; mehr als jede fünfte Frau schäme sich, im Supermarkt Tampons zu kaufen. Der Post ging viral, er endete mit dem Appell: „Macht euch alle mal locker. Es ist nur ein bisschen Blut.“

Sie nimmt kein Blatt vor den Mund

Es folgten tausende Kommentare – Franka Frei hatte einen Nerv getroffen. „Viele bedankten sich bei mir“, erinnert sie sich. Obwohl die Koordinatorin der Hochschule ihr von dem Thema abgeraten hatte, fand Frei letztendlich eine Professorin, die bereit war, ihre Bachelorarbeit im Fach Angewandte Medien zu begleiten. „Meine Prüfer – also die männlichen – haben geschluckt und mir dann in meinen Überlegungen recht gegeben.“ Danach folgte der Buchvertrag. „Im Studium muss ja alles sehr wissenschaftlich sein, sehr theoretisch. Die Arbeit am Buch war eine Befreiung – endlich konnte ich schreiben, was ich wollte.“ Autorin war sie dort schon vorher, ihr Roman lag allerdings auf Eis.

Tatsächlich sei die Buchidee anfangs kritisch diskutiert worden. Die Lektorin beim Verlag „Heyne Hardcore“, Kirsten Nägele, erinnert sich: „Als wir dann aber das Exposé bekamen, waren schnell alle überzeugt. Denn dass das Thema Menstruation mit Tabus behaftet ist, war allen klar, welche Ausmaße das aber insgesamt annimmt, haben wir erst durch die Arbeit an diesem Buch begriffen.“

Frei zeige neben den biologischen und gesellschaftlichen Aspekten auch die ökologische und ökonomische Dimension auf, die aus dem schamhaften Umgang mit der Menstruation weltweit resultieren. „Hinzu kommt, dass Franka Frei eine aktive und kämpferische Autorin ist, die an ihre Sache glaubt und sich ohne Unterlass engagiert. Sie hält Vorträge, Lesungen und Workshops zum Thema und lässt nichts unversucht, die Menstruation als das zu transportieren, was sie ist: eine faszinierende Körperfunktion, auf die alle Menstruierenden stolz sein können“, so Nägele.

Tatsächlich nimmt Frei kein Blatt vor den Mund: „Selbst dort, wo man sich für ,aufgeklärt‘ oder ,säkular‘ hält, schlummert die Vorstellung vom ,unreinen Blut‘ in den Köpfen der Menschen“, schreibt sie und reflektiert auch ihre eigene Wahrnehmung: „Klar wollen wir gefallen, wollen geliebt, gewertschätzt und nicht ausgeschlossen, verachtet und mit Ekel betrachtet werden. Also verstecken wir die Periode lieber, machen sie unsichtbar, als wäre sie ein Fehler, und schweigen darüber, weil wir nicht gelernt haben, sie beim Namen zu nennen.“

Tief verankertes Gefühl von Peinlichkeit

Rund um den Globus gibt es verniedlichende Bezeichnungen wie hierzulande „Tante Rosa“ oder „Erdbeerwoche“. Tampons, Binden etc. etwa „Hygieneprodukte“ zu nennen, klingt ihrer Meinung nach, als sei die Periode etwas Schmutziges, vergleichbar mit einer Krankheit, gegen die etwas getan werden müsse. „Blut zu verlieren ist nicht das Problem, sondern es ist die Körperöffnung, aus der es kommt“, sagt Franka Frei. Sie erinnert sich an eine Situation als 14-Jährige, in der sie im Schwimmbad unerwartet ihre Periode bekam und ihr das Blut am Bein herunterlief. „Das war einer der schlimmsten Tage meines Lebens, es war mir so peinlich.“

Denn während Sexualität zwischen Mann und Frau zum Beispiel in der Werbung allgegenwärtig ist, sind die weiblichen Geschlechtsorgane und deren Funktion immer noch tabu. „Es war für mich schockierend herauszufinden, dass unsere Gesellschaft nicht so fortschrittlich ist, wie ich dachte“, erklärt Frei. „Wir können am offenen Herzen operieren, Lebewesen klonen. Aber Krankheiten, die Frauen betreffen, sind erschreckend schlecht erforscht, was auch damit zu tun hat, dass Regelschmerzen selbst von vielen Ärzt*innen nicht ernst genommen werden. Der Zyklus wird bei der Erforschung von Krankheiten, Therapien und Medikamenten sowie in der Diagnostik viel zu selten mitgedacht. Das hat wenig mit einer gleichberechtigten Gesellschaft zu tun.“

Tatsächlich ist die Gendermedizin in Deutschland eine vergleichsweise junge Wissenschaft. So werden laut der klinischen Pharmakologin Professor Petra Thürmann, Direktorin des Philipp Klee-Instituts für Klinische Pharmakologie am Helios Universitätsklinikum Wuppertal, neue Medikamente vor allem an Männern getestet. Dabei zeigen manche Krankheitsbilder wie der Herzinfarkt bei Frauen oft andere Symptome. Viele Medikamente wirken bei ihnen anders als bei Männern.

Franka Frei kann sich richtig in Rage reden, wenn sie über solche Ungleichheiten spricht. „Der Umgang mit der Menstruation ist ein Unterdrückungsinstrument. Menschen mit Uterus lernen, dass sie aufgrund ihres Körpers minderwertig seien und deshalb die untergeordnete Rolle in der Hierarchie einzunehmen haben“, ist sie überzeugt. Und weiter: „Frauen wurden jahrzehntelang von wichtigen Sphären ferngehalten. Heute läuft das subtil. Noch immer erfahren wir einmal im Monat das Gefühl, eklig zu sein. Das macht was mit unserem Selbstbewusstsein.“

Generationenkonflikt beim Thema Feminismus

Franka Frei erklärt in ihrem Buch, warum Menstruationsprodukte kostenlos sein sollten.

Franka Frei hatte selbst aufgrund von enormem Stress und schlechter Ernährung jahrelang gar keine Periode, erzählt sie. Nun freue sie sich jedes Mal darüber: „Einmal im Monat zu bluten ist schließlich ein Zeichen für meine Gesundheit!“ Mittlerweile arbeitet sie an ihrem Master in Gender Studies und lebt in einer WG in Berlin-Neukölln. Am Internationalen Frauentag am 8. März erschien ihr Roman „Krötensex“, den sie nach ihrem Manifest für die Periode endlich beendet hat.

Darin geht es um eine junge Frau, die für das Studium in die ostdeutsche Provinz zieht, und dort mit ihrer Weltverbesserungs-Attitüde aneckt – klingt stark nach einer Parallele zu Freis Leben. Geboren ist die junge Autorin in Köln, aufgewachsen mit ihrer alleinerziehenden Mutter im österreichischen Salzburg. Feministinnen seien bei den weiblichen Mitgliedern in ihrer Familie eher verpönt gewesen als „unrasiert und unattraktiv“. „Meine Mutter war der Meinung: Wir brauchen den Feminismus nicht mehr, Frauen haben doch heute alle Möglichkeiten, schließlich habe sie selbst auch alles geschafft, was sie wollte!“

Selbst beim Thema Tampons gehen die Meinungen im Hause Frei auseinander – für ihre Mutter seien sie Symbol der Befreiung der Frau. Franka Frei sieht das kritisch: „Tampons sind sicherlich keine schlechte Erfindung. Wir brauchen Menstruationsprodukte, um am gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können. Aber gerade in deren Vermarktung lässt sich erkennen, wie das Menstruationstabu reproduziert wird. Es wird suggeriert, dass es die oberste Regel ist, die Regel unsichtbar zu machen, um möglichst nah an eine männliche Norm heranzukommen. Der Zyklus wird als Problem wahrgenommen.“

Die „blutige“ Revolution wird kommen

Drei Jahrzehnte nach der verschämten Fernsehwerbung hat sich einiges getan auf dem Markt für Periodenprodukte. Alle möglichen Größen und Stärken von Tampons und Binden sind verfügbar, es gibt Menstruationstassen, Periodenunterwäsche, auch in vegan und bio. Frauen haben heutzutage die Wahl. Seit Anfang dieses Jahres wird nach einer viel beachteten Petition auf „Damenhygieneprodukte“ die reduzierte Mehrwertsteuer veranschlagt. Frei freut sich über all das – „allerdings stört es mich, wenn versucht wird, uns ein schlechtes Gewissen zu machen, weil wir aufgrund unserer Periode und den Produkten, für die wir uns frei entscheiden, die Umwelt verschmutzen.“

Von Facebook hat sie sich indes verabschiedet, der Ton dort war ihr dort zu rau. Aktiv ist sie weiter auf Instagram, dort bewirbt sie ihr Buch, setzt sich aber auch für Themen wie sichere Schwangerschaftsabbrüche oder gegen Gewalt gegenüber Frauen ein. Werbung im linearen Fernsehen sieht sie sich nicht mehr an. „Ich hoffe, dass Mädchen, die ihre Periode bekommen, heutzutage von Werbeclips verschont werden, die suggerieren, das sei etwas Lästiges, das man unsichtbar machen sollte.“ Denn die Periode ist alles andere als unsichtbar. „Die Revolution kommt,“ sagt Frei schmunzelnd, „und sie wird blutig.“

 

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Von Anne Klesse, Hamburg

Anne Klesse ist freie Journalistin. Nach dem Studium der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften hat sie an der Axel Springer Journalistenschule volontiert und war Redakteurin der Welt, Welt am Sonntag und Berliner Morgenpost in Berlin. Dort schrieb sie insbesondere Porträts und Reportagen. Ihre Arbeit wurde mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Wächterpreis der Tagespresse. Mehr: www.anneklesse.de.

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Mareike GraepelHaltern
Die US-Amerikanerin Cindy O’Brien lebt seit den 90er Jahren in Connemara, ganz im Westen von Irland und züchtet seltene Seeschnecken. Die sogenannten japanischen Abalone gedeihen an der irischen Küste gut. Sie gelten als Delikatesse und Aphrodisiakum, kosten bis zu 44 Euro pro Kilo – und sehen aus wie Vulven.

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