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Die Stimme der Unsichtbaren
Von den Nöten migrierter und geflüchteter Frauen

5. März 2025 | Von Giorgia Grimaldi | 9 Minuten Lesezeit
Delal Atmaca, die Geschäftsführerin von DaMigra, setzt sich für Migrantinnen und geflüchtete Frauen in Deutschland ein. Foto: DaMigra

„DaMigra“, der Dachverband für migrierte und geflüchtete Frauen in Deutschland, steht wegen Haushaltskürzungen kurz vor dem Aus. Das könnte weitreichende Konsequenzen haben, sowohl für betroffene Frauen als auch für die Demokratie, warnt Geschäftsführerin Delal Atmaca im Interview.  

Von Giorgia Grimaldi, Berlin

 

Zusammenfassung:

Der Dachverband „DaMigra“ setzt sich für die Rechte von migrierten und geflüchteten Frauen in Deutschland ein, doch drastische Haushaltskürzungen bedrohen seine Existenz. Geschäftsführerin Delal Atmaca warnt vor den Konsequenzen für Gleichstellung und Demokratie. „DaMigra“ schließt Lücken in feministischen und migrationspolitischen Debatten, doch mangelnde institutionelle Förderung gefährdet die Arbeit. Trotz Rückschlägen kämpft der Verband weiter für Teilhabe, Schutz und Würde marginalisierter Frauen. 

 

Warum wurde „DaMigra“ gegründet und welche Ziele verfolgt der Verein? 

DaMigra“ will in Debatten, die Migration und Flucht thematisieren, eine feministisch- migrantische Stimme einbringen und dabei eine konsequent intersektionale Perspektive vertreten. Vor zehn Jahren wurden diese Diskussionen ohne feministische Sichtweisen geführt – und leider ist das auch heute noch häufig so. Gleichzeitig werden bei Themen der Gleichstellung und Gleichberechtigung migrantische oder antirassistische Perspektiven ausgespart.  

„DaMigra“ möchte diese Lücke schließen und eine Plattform schaffen, die sich für ein diskriminierungsfreies Leben von Frauen mit Migrations- und Fluchtbiographie einsetzt. Die Gründung des Verbands entstand aus dem gemeinsamen Anliegen verschiedener Organisationen, sicherzustellen, dass die Stimmen mehrfach diskriminierter Frauen hörbar und sichtbar sind.  

Im November 2024 feierte der Verein das zehnjährige Bestehen. Wurden die Ziele erreicht? Wie haben sich der Verein, aber auch die gesellschaftspolitische Situation in Deutschland aus Ihrer Perspektive seither verändert? 

Wir vereinen unterschiedlichste Expertisen, Sprachen und Erfahrungen in unserem Team und damit hat der Verein in den vergangenen zehn Jahren wichtige Erfolge erzielt. Unsere Stimmen werden immer mehr gehört und mittlerweile auch von vielen Institutionen angefragt – beispielsweise von Ministerien, Verbänden, wissenschaftlichen Einrichtungen oder der Presse. Wir werden auch von wichtigen Ausschüssen oder Kommissionen auf Bundes- oder Europaebene angehört. Wir bauen Brücken, wo andere Mauern sehen. Dennoch ist das oft unangenehm: Unsere Stellungnahmen oder Kritiken sind nicht immer willkommen. Ein Beispiel ist unsere Reaktion auf das Gesetz zur doppelten Staatsbürgerschaft. Aus der Gleichstellungsperspektive betrachtet war das Konzept unzureichend.  

Was meinen Sie damit? 

Oft stellt das Migrationsrecht oder das neue Staatsangehörigkeitsgesetz ausreichende finanzielle Stabilität voraus. Frauen können diese Anforderungen aber häufig nicht erfüllen. Gründe dafür sind struktureller oder institutioneller Natur. Migrierte oder geflüchtete Frauen verdienen durchschnittlich weniger und haben mit größeren Hürden zu kämpfen. Der Gender Pay Gap bei migrantischen Frauen ist doppelt so hoch wie bei deutschen Frauen, etwa weil langwierige Prozesse zur Anerkennung von Zeugnissen Frauen in unterqualifizierte Beschäftigungen drängen. Insbesondere diese Frauen, die aufgrund von Care-Arbeit, Teilzeitjobs oder mangelnder Anerkennung ihrer Abschlüsse finanziell benachteiligt sind, haben kaum eine Chance, einen Aufenthaltsstatus oder die doppelte Staatsbürgerschaft zu beantragen. Solche Ungleichheiten sind ein Beispiel dafür, wie vermeintlich neutrale Gesetze in der Praxis diskriminieren. Außerdem können finanzielle Abhängigkeiten von einem Ehepartner Gewaltstrukturen verstärken. Das wurde nicht bedacht. Äußern wir solche Kritik, werden wir als Fortschrittsverhinderer abgestempelt, obwohl wir lediglich auf blinde Flecke in der Gesetzgebung hinweisen. 

Podiumsdiskussion zum Thema „Mehr Diversität für eine vielfältige Gesellschaft“ in Halle, Mai 2024. | Foto: DaMigra

Wie genau arbeitet der Verein, damit intersektionale und migrantische Perspektiven Gehör finden und letztlich auch umgesetzt werden? 

Einerseits machen wir Öffentlichkeitsarbeit. Über unsere Social-Media-Kanäle oder in diversen Podcastformaten, zum Beispiel „DaMigra Talks”, thematisieren wir Missstände, arbeiten Hintergründe auf oder besprechen Alltagsthemen. Dafür laden wir Aktivist*innen, Expert*innen und Betroffene ein. Unsere Büros verstehen wir als Empowerment-Räume und wollen mit Beratungsangeboten sowie Veranstaltungen direkte Anlaufstellen schaffen. Andererseits sind wir auch politisch tätig, gehen direkt auf Ministerien zu, kommentieren Gesetzesentwürfe und Maßnahmen, veranstalten Fachtagungen und Dialogformate – etwa parlamentarische Frühstücke. Dort kommen Vertreter*innen aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und anderen Bereichen zusammen, um sich in einem entspannten Rahmen über bestimmte Themen auszutauschen.  

Insgesamt versuchen wir klarzumachen, dass manche Gesetze gut gemeint, aber schlecht gemacht sein können, wie das Gesetz zur doppelten Staatsbürgerschaft. Wir wollen zwei, drei Schritte zurückgehen und nachrangieren, damit migrantische Menschen und besonders Frauen am Fortschritt teilhaben können. Einige Parteien schmücken sich gerne mit dem Schlagwort „intersektionale Perspektive“, vor allem die Ampel-Regierung hat sich das stark auf ihre Fahne geschrieben, aber das waren leider nur leere Worthülsen.  

Im Dezember 2024 hat „DaMigra“ einen Brandbrief publiziert. Darin sprechen Sie von einer Krise. Der Verein stehe kurz vor dem Aus und das habe weitreichende Konsequenzen. Wie ist denn gerade die aktuelle Situation?  

Wir werden zwar von Institutionen gehört, trotzdem haben wir keine institutionelle Förderung. Wir arbeiten nur mit einer projektbasierten Förderung. Das heißt, wir bringen Projekte auf Bundesebene ein und wenn wir den Zuschlag bekommen, können wir eben diese Projekte umsetzen. Unsere Projektfinanzierungen wurden aber in den letzten drei Jahren sukzessive abgebaut. Wir haben mittlerweile kurzfristige Übergangsfinanzierungen bis September 2025 für einige unserer Projektstandorte gefunden, aber die Situation bleibt weiterhin sehr schwierig. Das bietet keine langfristige Stabilität. Zwölf Kolleg*innen, die uns in den letzten Jahren begleitet haben, mussten uns verlassen. Zudem waren wir gezwungen, drei unserer acht Büros zu schließen. Damit geht an den betreffenden Standorten die wertvolle Arbeit von fast zehn Jahren verloren. 

Warum wurden die Gelder so stark gekürzt? 

Das liegt vor allem an den finanziellen Kürzungen durch Sparvorgaben des Finanzministeriums in den letzten Jahren. Diese Kürzungen betrafen insbesondere die Programmhaushalte der Ministerien, die zivilgesellschaftliche Projekte massiv bedrohten. Besonders hart trifft es migrantisch-feministische Organisationen, die sowieso chronisch unterfinanziert sind. Für diese Organisationen haben schon kleine Einschnitte oft gravierende Konsequenzen: Projekte werden eingestellt, Strukturen brechen weg und betroffene Frauen verlieren wichtige Anlaufstellen. Aber Aufgeben ist für uns keine Option. Wir werden weiterhin für unsere Stimmen und unsere Teilhabe kämpfen.  

 

Hörtipp:

Wenn ihr mehr über die Fortschritte – und Rückschritte – der Ampelregierung erfahren wollt, empfehlen wir euch „Mikas Matrix“. In einer Episode spricht Host Bascha Mika mit Bundesfamilienministerin Lisa Paus unter anderem über das kürzlich verabschiedete Gewalthilfegesetz. Mehr zum Gewalthilfegesetz gibt es hier.  

 

Was wünschen Sie sich mit Blick auf das Jahr 2025, sowohl von der Politik als auch von der Gesellschaft? Welche Themen müssen diskutiert werden und wie?  

Finanzielle Kurzsichtigkeit führt zu langfristigen Kosten. In einer Zeit, in der antidemokratische Strömungen wachsen, ist es wichtig, marginalisierte Stimmen zu hören und die Teilhabe Betroffener zu fördern. Wir fordern die Bundesregierung und alle zuständigen Gremien eindringlich auf, Lösungen zu schaffen, die es uns ermöglichen, diese Arbeit auf lange Sicht weiterzuführen.  

Außerdem muss die Diskussion um das Thema Gewaltschutz ausgebaut werden, weil es Frauen ganz unmittelbar betrifft. Die jüngsten Berichte über steigende häusliche Gewalt und Femizide verdeutlichen, wie ernst die Lage ist. Marginalisierte Frauen sind oft mehrfach betroffen – von Gewalt, Ausgrenzung und systemischer Diskriminierung. Unser Staat ist dazu verpflichtet, seine Bürger*innen zu schützen und dieser Pflicht muss er besser nachkommen. Nicht nur mit Artikel 3 der Gleichstellung, sondern auch mit Artikel 2, dem Recht auf ein unversehrtes Leben.  

Gleichzeitig müssen auch unsere internationalen Verpflichtungen ernst genommen werden. Statt ständig mit dem Finger auf andere Länder zu zeigen, weil dort brutale und menschenrechtsverletzende Politik betrieben wird, sollten wir selbst mit gutem Beispiel vorangehen und Menschenrechte sowie unsere Verfassung ernst nehmen. So kommen wir auch weg von polarisierenden Debatten: Wir müssen Abstand nehmen von Migration als Thema und müssen uns mehr auf Menschenrechte, Schutz und Würde konzentrieren.  


 

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Von Giorgia Grimaldi, Berlin / Marseille

Giorgia Grimaldi berichtete einige Jahre aus Marseille über Frankreichs Politik und Gesellschaft. Heute arbeitet sie hauptberuflich als Nachrichtenredakteurin in Berlin. Am liebsten recherchiert sie dabei zu Migration und News aus dem Ausland. Weiterhin hat sie Frankreichs Entwicklungen im Blick und kehrt so oft es geht dorthin zurück.

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Pauline TillmannKonstanz
Anica Heinlein war vor Kurzem im Westjordanland und schildert die dramatische Verschlechterung der Lage vor Ort. Sie berichtet von Hoffnungslosigkeit, fehlender Grundversorgung und der besonderen Belastung von Frauen und Kindern in der humanitären Krise.

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