Kongos Frauen haben den Rebellen den Kampf angesagt: Mit verbesserten Holzkohleöfen wollen sie den Milizen das Geschäft kaputt machen. Denn diese verdienen jährlich Millionen mit dem Holzkohlehandel. Es ist Afrikas Schwarzes Gold.
Von Simone Schlindwein, Goma / Karenga
Ihre Schultermuskeln beben, ihr Gesichtsausdruck ist ein stummer Schmerzensschrei. Sifa Amisi ächzt, als sie den schweren Sack absetzt. 60 Kilo hatte sie auf ihrem Rücken getragen, an einem Riemen um die Stirn gezogen wie ein Packesel. 30 Kilometer war die junge Frau damit marschiert – aus dem dichten Wald, die steilen Hügel hinauf, fünf Stunden lang barfuß auf kantigen Lavasteinen. „Ich bin so erschöpft“, schluchzt die Kongolesin unter Tränen. Sie japst nach Luft, bevor sie sprechen kann. Täglich schleppe sie einen solchen Sack aus dem Urwald nach Karenga, sagt sie noch immer außer Atem, „ich muss Geld verdienen, um meine acht Kinder zu ernähren.“
Karenga ist ein kleines Dorf hoch oben auf einem Hügel, nördlich von Ostkongos Provinzhauptstadt Goma, mitten im Herzen Afrikas. Entlang der staubigen Dorfstraße, die den Kamm des Hügels entlangführt, stehen gewaltige Säcke rechts und links am Wegrand, wie Dominosteine aneinandergereiht: fertig zur Abholung. Um sie herum spielen Kinder Verstecken. Täglich schleppen, wie Sifa Amis, die Frauen von Karenga die Säcke aus dem angrenzenden Wald an. Die 32-Jährige öffnet das Band, mit dem sie den Sack verschnürt hat, und holt einen Klumpen hervor: silbrig-schwarz glänzende Holzkohle. Afrikas Schwarzes Gold.
Holzkohle gilt im Kongo, wie in vielen anderen ländlichen Gebieten Afrikas, als die wichtigste Haushaltsware. In der Bürgerkriegsregion ist Strom aus Steckdosen der pure Luxus. Gaskocher sind zu teuer für die arme Bevölkerung – so kochen selbst in der Millionenstadt Goma noch immer 97 Prozent der Haushalte auf Holzkohleöfen. In den zahlreichen Vertriebenenlagern rund um Goma hausen eine halbe Million Menschen unter elenden Bedingungen. Das UN-Welternährungsprogramm verteilt zwar Bohnen und Reis, aber die Holzkohle, um die Mahlzeiten zuzubereiten, müssen die Frauen selbst anschaffen. Die Nachfrage nach Holzkohle ist enorm und Karenga ist ein Knotenpunkt in der höchst illegalen Handelskette.
80 Prozent der Holzkohle stammen aus Afrikas ältestem Naturschutzgebiet: dem Virunga-Nationalpark, Heimat der vom Aussterben bedrohten Berggorillas. Welchen Schaden der enorme Holzkohleverbrauch in der Umwelt anrichtet – das wird vom Hügel Karenga aus auf einen Blick sichtbar: Wo einmal dichter Urwald stand, sieht man heute nur noch verbrannte Erde soweit das Auge reicht. Im Tal, westlich der Flanken der aktiven Vulkane, steht kein einziger Baum mehr, nur noch abgefackelte Stümpfe. Vereinzelt steigen Rauchsäulen auf. Es riecht nach verbranntem Tropenholz: würzig, süßlich.
Ein Millionengeschäft für Rebellen
Sifa Amisi zeigt ins Tal hinunter, in Richtung der Rauchsäulen. „Wir müssen täglich länger marschieren, denn der Wald verschwindet“, sagt sie. Doch sie habe keine Wahl. Sie ist Witwe und der Holzkohletransport die einzige Einkommensquelle weit und breit. Sie verdient daran nicht viel: Sie kauft den Sack im Wald für 3.000 Franc – umgerechnet 457 Euro – und verkauft ihn in Karenga für 5.500. Davon müsse sie 1.000 Franc an der Straßensperre am Dorfeingang abgeben. Doch wer sind die, die hinter der Holzkohleproduktion stecken?
Während Amisi erzählt, kommen Männer angelaufen, die kurz neugierig zuhören, sich dann einmischen und die Amisi letztlich wegzerren – mit dem Hinweis, sie solle nicht mit Fremden sprechen. Es sind junge, kräftige Männer in Jogginganzügen und Gummistiefeln mit Funkgeräten in der Hand. Auch ein Hauptmann der Armee gesellt sich dazu. Er will wissen was los ist. Als die Männer außer Hörweite sind, sagt er leise, aber mit Nachdruck: „Rebellen belagern uns hier und benutzen die Frauen, um die Säcke zu schleppen, weil Frauen von der Parkverwaltung nicht verhaftet werden.“ Die Mehrheit der Einwohner Karengas seien Rebellen, bestätigt er. Erneut nähern sich die Männer. Sie gucken den Armeeoffizier böse an. Dieser seufzt und trollt sich dann davon. Es ist ganz klar, wer in dieser Handelskette das Sagen hat: die Rebellen.
Im Ostkongo tobt seit 20 Jahren ein blutiger Bürgerkrieg. Unzählige Milizen haben sich im Unterholz des dichten Nationalparks eingenistet. Aus den Ressourcen des Waldes erwirtschaften sie Profite, vor allem mit der Holzkohle. Bis zu 30 Millionen Dollar, umgerechnet knapp 27 Millionen Euro, so die Schätzungen der Parkaufsicht. Das ist beinahe lukrativer als der Mineralienhandel. Bis zu 80 Millionen Tonnen Holzkohle verfeuern Frauen in der Millionenstadt Goma und den angrenzenden Flüchtlingslagern jedes Jahr, so die jüngsten Studien der Umweltschutzorganisation WWF. Tendenz steigend. Das sind 20.000 Hektar Wald jährlich und damit mehr als 10.000 Fußballfelder. Doch Kongos Naturschutzbehörde hat keine Kapazitäten, die enorme Waldfläche überall zu überwachen. Und selbst wenn sie sie hätte, haben die Parkwächter nur geringe Durchsetzungskraft: Die Rebellen sind schwer bewaffnet und sie benutzen verzweifelte Frauen wie Sifa Amisi, um die Kohle zu transportieren.
Der Weg zwischen Karenga und der Stadt Goma schlängelt sich durch dichtes Gebüsch und lichten Eukalyptuswald. Auch hier standen einst jahrhundertealte Bäume, doch diese sind schon längst verfeuert worden. Kräftige Männer in Flip-Flop-Sandalen und schmutzigen T-Shirts schieben Fahrräder die morastige Straße entlang. Es sind alte, schwere aber stabile Räder. Auf ihrem Gepäckträger türmen sich jeweils vier gigantische Säcke voller Holzkohle, insgesamt über 200 Kilo. Den Männern rinnt der Schweiß in die Augen. Sie stöhnen, als die Karawane zum Stehen kommt. Jeder muss den Rebellen an der Straßensperre 1.000 Franc überreichen, dann erst kann es weitergehen. Sechs dieser illegalen Zollstationen passieren sie auf dem Weg nach Goma, erzählen sie, während sie die Räder durch den Matsch wuchten. Es ist eine kräftezehrende Arbeit. Doch keiner der Männer verdient damit mehr als einen Dollar pro Fuhre. „Die Milizen an den Straßensperren knöpfen uns alles ab“, sagt einer durch zusammengebissene Zähne.
Schluss mit der Opferrolle
Am Stadtrand von Goma, unweit des gewaltigen Flüchtlingslagers, parken die Männer ihre vollbeladenen Fahrräder entlang der Straße. Sie wuchten die schweren Säcke in eine Holzhütte. Mit ihren kräftigen Händen gestikuliert Rifiki Kahindo in der Luft herum. Sie brüllt Befehle, wie die Säcke gestapelt werden sollen, so dass alle Männer die Köpfe einziehen. Gehorsam verstauen sie die Säcke in Kahindos Schuppen bis unter die Decke. Die 50-jährige Kongolesin ist in der Provinzhauptstadt Goma die Königin des Holzkohlehandels. „Mama Makala“ wird sie im Volksmund genannt. „Makala“ ist das Wort für Holzkohle in der lokalen Sprache Kisuaheli. Ohne ihre silbrig-schwarz-glänzenden Briketts würden Millionen von Menschen in dieser von Bürgerkrieg geplagten Region verhungern. Doch Kahindo nimmt nicht jede Kohle, im Gegenteil.
Die füllige Frau reißt einen der Säcke auf und begutachtet die Holzkohleklumpen mit Argusaugen. „Die kommen aus dem Park, ja?“, fragt sie. Einer der Männer nickt. Kahindo seufzt. „Die Kohle von den alten Bäumen brennt zwar besser, aber sie zerstört unsere Umwelt“, erklärt sie und nimmt aus einem anderen Sack einen anderen Klumpen, um sie vergleichen zu können. Die Klumpen aus uraltem Tropenholz seien schwerer und fester, sagt sie, „aber diese hier stammen von den Eukalyptusbäumen, die man wieder aufforsten kann.“
Sie ist Mitglied im Verband „Frauen der Sonne“, der sich für den Erhalt des Nationalparks einsetzt. Kahindo zeigt auf das Haus neben ihrem Kohleschuppen. Davor hocken rund ein Dutzend Frauen auf dem Boden und kneten aus Lehm die Form eines Holzkohleofens. Adeline Tsongo gibt ihnen Anweisungen. Die Psychologin ist die Gründerin des Verbandes, der mittlerweile 260 Frauen umfasst. „Die Idee war zuerst diesen Frauen, die Opfer sexueller Gewalt sind und im Flüchtlingslager leben, ein Handwerk beizubringen. Dann kam die Idee mit den Öfen dazu“, sagt sie und erklärt wie diese Öfen funktionieren. Sie sind mit einer Metallschicht ummantelt, die die Hitze im Inneren hält. Damit benötige man nur die Hälfte der Holzkohle. 66.000 dieser Öfen hat ihr Verband seit 2009 verkauft: nicht nur in den Vertriebenenlagern und in den Armenvierteln von Goma, sondern auch an Schulen, Hotels, Krankenhäuser. Zehn Frauen haben in der Werkstatt eine feste Arbeitsstelle gefunden – die meisten von ihnen Opfer sexueller Gewalt. Doch Psychologin Tsongo weiß um die Problematik der ewigen Opferrolle der Frauen im Kongo. Dagegen will sie vorgehen. Mit der Produktion der Öfen, so sagt sie, sorgen die Frauen dafür, dass die Rebellen weniger Profite machen. Und sie lächelt stolz: „Damit haben wir schon jede Menge Bäume gerettet.“
- Der Virunga-Nationalpark ist Afrikas ältestes Naturschutzgebiet. Er wurde 1925 gegründet und ist seit 1979 UNESCO-Weltkulturerbe. Er erstreckt sich über 7.800 Quadratkilometer.
- Für 3.000 Franc wird der Sack im Wald verkauft. In der Provinzhauptstadt Goma kostet er bis zu 30.000 France – ein gigantischer Gewinn.
- 97 Prozent der mehr als eine Million Einwohner Gomas kochen auf Holzkohleöfen, weil es nur begrenzt Strom gibt und Gaskocher teuer sind.
- Satellitenbilder von 2005 und 2010 zeigen die stetige Abholzung – bis zu drei Prozent des Virunga-Parks wurden bereits abgefackelt.
Weiterführende Links:
- Der Film „Virunga“ war 2015 für den Oscar nominiert. Er zeigt in atemberaubenden Bildern und Geschichten wie gefährlich es ist, den Nationalpark zu retten: http://virungamovie.com/.
- Der Nationalparks ist seit Beginn 2015 wieder für Touristen geöffnet: Gorillabesuche und Vulkanbesteigungen sind möglich. Mit dem Tourismus lässt sich der Nationalpark finanzieren. Infos, Buchung und Reiseorganisation inklusive Visum: http://virunga.org/.
- In den Schichten unterhalb des Parks wurden Ölvorkommen entdeckt. Die britische Ölfirma SOCO hat von Kongos Regierung die Erlaubnis bekommen, Probebohrungen zu unternehmen, was eigentlich gegen das kongolesische Umweltschutzgesetz verstößt. WWF macht sich gegen die Ölfirma stark und reichte Klage vor dem Londoner Gericht ein: http://www.wwf.de/sos-virunga/.