Zuzanna Ziomecka arbeitet seit vielen Jahren für die größte Tageszeitung in Polen, „Gazeta Wyborcza“. Vor gut einem Jahr hat sie die Plattform „NewsMavens“ gegründet, seit September 2017 ist die Webseite online. Gemeinsam mit ihrem Verlag „Agora“ will sie vor allem eins: Frauen aus ganz Europa eine Stimme geben.
Von Pauline Tillmann, Warschau
Das Verlagsgebäude von „Agora“ im Süden von Warschau ist mit schicken Holzpaneelen verkleidet. Geht man hinein, eröffnet sich dem Besucher ein facettenreiches Universum – hier ein Rock-Radio, da ein Musiklabel samt goldenen Schallplatten. Am Drehkreuz wartet Zuzanna Ziomecka auf mich, die das Projekt „NewsMavens“ – zu Deutsch „News-Experten“ – ins Leben gerufen hat.
Dabei handelt es sich um eine englischsprachige Plattform, bei der europaweit Journalistinnen die ihrer Meinung nach relevantesten Artikel des Tages auswählen und die wichtigsten Aussagen auf Englisch übersetzen. Sie stellen das Kurzexposé selbst online und Muttersprachlerin Lea Berriault gibt dem Ganzen den letzten Schliff. Dabei müssen es keine originären Artikel der jeweiligen Journalistinnen sein, sondern der Zeitung, für die sie arbeiten.
Ziomecka sagt: „Ich bin davon überzeugt, dass es Themen, Nuancen und Geschichten gibt, die näher an den Erfahrungen von Frauen dran sind als an den Erfahrungen von Männern.“ Mit ihrem Projekt wolle sie demnach ein Tabu brechen und einen virtuellen Newsroom schaffen, der nur aus Frauen bestehe und andere Geschichten erzähle als die meisten Massenmedien, in denen Frauen noch immer unterrepräsentiert seien.
Dabei handelt es sich dezidiert nicht um Frauenthemen, das Spektrum ist bunt gemischt. Mit der Idee einer solchen Plattform konnte sie 2017 auch Google überzeugen und bekam aus dem Topf der „Digital News Initiative“ (DNI) eine Förderung in Höhe von 500.000 Euro für das erste Jahr. Damit will Zuzanna Ziomecka vor allem die Marke aufbauen, um im Herbst dazu überzugehen, die Leser für die Inhalte bezahlen zu lassen.
Derzeit sind Journalistinnen aus 17 Medienhäusern an Bord, darunter „The Irish Times“ aus Irland und „Der Standard“ aus Österreich. Zuvor hat Ziomecka für die Wochenendbeilage „Wysokie Obcasy“ – zu Deutsch „Hohe Absätze“ – gearbeitet, die es seit 19 Jahren auf dem polnischen Markt gibt. Dafür hat sie die Online-Präsenz samt aktiver Community aufgebaut. Sie erklärt, dass „NewsMavens“ eine viel größere Herausforderung sei, weil die meisten noch nie davon gehört hätten und sich auch nicht an den Namen erinnern könnten. Deshalb plant sie, den Namen bis Ende des Jahres zu ändern – und zwar in „NEWSWOMEN“.
Motto: „Nur gemeinsam sind wir stark“
Was wohl auch Google von dem Projekt überzeugt hat, ist die Tatsache, dass nur Redakteurinnen europäischer Medien dabei sind. Damit soll nicht zuletzt gezeigt werden, wie facettenreich der europäische Kontinent ist. Es sollen Gemeinsamkeiten und Unterschiede herausgestellt und vor allem unterstrichen werden, wie wichtig dieser gemeinsame Wirtschaftsraum für die weitere Entwicklung der einzelnen Länder ist. Nach dem Motto: Nur gemeinsam sind wir stark. Weiter meint Zuzanna Ziomecka: „Europa ist so einzigartig, weil es vielfältig ist. Aber es mangelt fundamental an Neugierde füreinander, was mich überrascht und was mich in meiner täglichen Arbeit auch traurig stimmt.“
Trotzdem lässt sich die 42-Jährige nicht entmutigen. Die Themen, die bei „NewsMavens“ von den Redakteurinnen ausgewählt werden, sind zwar nicht selten abseitig, zeigen aber oft überraschende Seiten von Europa auf. So werden neben den Rechten von Minderheiten immer wieder Dinge thematisiert, die die „normalen Leute beschäftigen“. Ziomecka sagt: „Große Medienhäuser folgen Macht und Geld, aber dadurch verliert man den Kontakt zur Leserschaft. Der Fokus unserer Journalistinnen ist näher an der Straße.“ Außerdem experimentiere sie stark, welche Inhalte bei ihrer Leserschaft überhaupt ankommen. Inzwischen hat „NewsMavens“ mehr als 57.000 Fans auf Facebook und weit über 100.000 Besucher im Monat.
Eine der größten Herausforderungen ist, weitere Medienpartner dazu zu holen. Denn nicht alle Verlage sind davon begeistert, ihre Redakteurinnen dafür abzustellen, zwei Stunden am Tag einen Artikel ihres Mediums auf Englisch zusammenzufassen. „Es gibt bei Zeitungen und Online-Publikationen immer weniger Ressourcen, deshalb liegt es auf der Hand, dass man die eigenen Leute lieber für eigene Geschichten einsetzen möchte. Nur wenige wollen mit ihren Inhalten eine paneuropäische Öffentlichkeit erreichen.“ Denn die Empfehlungen der Journalistinnen sind zwar auf Englisch, aber es wird auch direkt auf den Original-Artikel verwiesen. Somit erreichen die Medienhäuser ein völlig neues Publikum – und zwar europaweit.
Welche Geschichten auf besonders hohes Interesse stoßen, ist schwer vorhersehbar. Manchmal sind es ungewöhnliche Artikel, die einen Aha-Effekt auslösen. Ein anderes Mal sind es Texte, die stark polarisieren, wie beispielsweise ein Interview aus Österreich, bei dem eine Feministin forderte, Frauen sollten für eine bessere Gesellschaft grundsätzlich weniger als 40 Stunden arbeiten. Allen gemein ist: Sie sollen europaweit Relevanz haben.
Ein „Feuerwerkskörper“, der vor Ideen sprüht
Zuzanna Ziomeckas Büro liegt im zweiten Stock des Agora-Verlagsgebäudes. Ihre Parzelle teilt sie sich mit einem Grafikdesigner, zwei Programmierern, einem Art Designer und Chefredakteurin Lea Berriault. Berriault stammt ursprünglich aus Kanada und lebt seit sieben Jahren in Warschau. Sie kümmert sich um den Feinschliff der Texte, Ziomecka um den ganzen Rest. Lea Berriault sagt, die größte Herausforderung sei, Themen klar und attraktiv zu präsentieren – „gleichzeitig wollen wir keine Trends darüber entscheiden lassen, worüber wir berichten.“
Wenn man die 31-Jährige fragt, wie sie ihre Geschäftsführerin charakterisieren würde, antwortet sie: „Zuzanna ist wie ein Feuerwerkskörper, die niemals ein Nein für gegeben hinnimmt. Sie ist die treibende Kraft hinter dem Projekt und sorgt mit ihrer Energie für permanente Verbesserungen.“ Dabei ist die Situation für Journalisten in Polen alles andere als rosig. Seit die Partei „Recht und Gerechtigkeit“, kurz PiS, an der Macht ist, sind die Medien in zwei Lager gespalten. Außerdem versucht die Regierung, unabhängige und kritische Medien mundtot zu machen, indem sie beispielsweise keine Anzeigen mehr schaltet. Auch regierungsnahe Unternehmen ziehen sich immer weiter zurück, sodass bei den Verlagshäusern seit Herbst 2015 eine erhebliche Lücke im Anzeigengeschäft klafft.
Gleichzeitig liefert die aufkommende Medien-Startup-Szene neue Impulse. Neben „NewsMavens“ wurde in den vergangenen Jahren eine ganze Reihe von weiteren spannenden Projekten gegründet, die sich zum Beispiel Faktenchecks, investigativer Recherche oder Auslandsberichterstattung widmen. „Startups haben den Vorteil, dass die Hierarchien flach sind, dadurch bekommen die Mitarbeiter mehr Verantwortung und sind motivierter“, stellt Zuzanna Ziomecka fest.
Grundsätzlich ist ihr das durchaus vertraut, weil sie lange Zeit in den USA gelebt hat. Als sie sechs Jahre alt war, bekamen ihre Eltern – ebenfalls Journalisten – ein One-Way-Ticket in die Vereinigten Staaten. Ihr Vater arbeitete zunächst mit einem Stipendium an der Stanford Universität und später für die „Detroit Free Press“ in Michigan. Die kommunistische Partei war froh, die beiden Querdenker los zu sein. Nach zwölf Jahren, Polen war inzwischen eine Demokratie, gingen sie zurück in ihr Heimatland.
Begriff Feminismus ist negativ besetzt
Dass Zuzanna Ziomecka Feministin ist, hat sie lange Zeit gar nicht gemerkt. Für sie war es – gerade auch aufgrund ihrer US-amerikanischen Bildung – selbstverständlich, dass sie alles erreichen kann, was sie will. Doch in Polen ist der Begriff Feminismus durch die Kommunisten negativ konnotiert: Nach dem Zweiten Weltkrieg waren Frauen willkommene Arbeitskräfte, aber als der Eiserne Vorhang fiel, galt deren Ideologie als gescheitert. Deshalb haben Feministinnen in Polen bis heute den Ruf von erfolglosen Männerhassern. „Die Bewegung hatte lange damit zu kämpfen, dass man sie nicht beim Namen nennen konnte. Erst langsam ändert sich das.“
Dabei steht Polen bei der Gleichberechtigung gar nicht so schlecht da. Allein die aktuelle Regierung sorgt derzeit für den einen oder anderen Rückschlag aufgrund ihres Schulterschlusses mit der katholischen Kirche. So wird seit einem Jahr im Parlament und auch in der Gesellschaft heftig um ein neues Abtreibungsgesetz gerungen, das besagt, dass eine Frau in jedem Fall einen Fötus austragen muss – egal ob sie vergewaltigt worden ist oder ob es sich um ein behindertes Kind handelt.
Beim Thema Gleichberechtigung wünscht sich Ziomecka deshalb „endlich eine Trennung zwischen Kirche und Staat“. Dann würde die klassische Rollenverteilung nicht mehr so massiv propagiert werden und die Menschen könnten selber entscheiden, wie sie ihr Leben gestalten wollen. „Vor Ostern ist der Schulunterricht meines Sohnes für drei Tage unterbrochen worden, um sich religiös auf dieses Fest vorzubereiten“, erzählt die zweifache Mutter. Dabei vertrete die katholische Kirche in Polen viel konservativere Ansichten als Papst Franziskus. Ziomecka meint: „Das hemmt uns in unserer Entwicklung – gäbe es eine klare Trennung, wären wir mit Sicherheit schon sehr viel weiter.“
Das persönliche Fazit von Zuzanna Ziomecka zu 1 Jahr „NewsMavens“: https://newsmavens.com/special-review/818/so-what-does-happen-when-women-choose-the-news.
Disclaimer: Die Autorin des Textes ist Chefredakteurin und Geschäftsführerin des digitalen Magazins „Deine Korrespondentin“, das als einziges deutsches Medium in den ersten Monaten mit „NewsMavens“ kooperiert hat. Inzwischen ist die Zusammenarbeit auf Eis gelegt.