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Die Kunst des Neinsagens
Die Künstlerin Bahia Shehab protestiert mit Spraydosen

11. Februar 2016 | Von Sabine Rossi
„Nein“ wurde zu ihrem Markenzeichen: Mit Schablonen sprühte Bahia Shehab ihre Graffitis. Fotos: Bahia Shehab

„Nein“ ist das Markenzeichen von Bahia Shehab. Während der Umbrüche in Ägypten ging die Künstlerin auf Straßen und Plätze in Kairo und sprühte ihr „Nein“: Nein zum Töten. Nein zu Tränengas. Nein zur Militärherrschaft. Inzwischen ist das Sprayen in der Öffentlichkeit viel zu gefährlich geworden.

Von Sabine Rossi, Kairo 

Bahia Shehab: „Die ist Stimmung ziemlich aggressiv geworden. Ein Streetart-Künstler, 17 Jahre alt, wurde im Juli 2014 tot im Nil gefunden. Ich denke, dass diese Botschaft ziemlich eindeutig ist.“

Bahia Shehab sprühte 2011 ihren Protest an die Wände Kairos (Foto: Ryan Lash).

In Ägypten sei es für Straßenkünstler nie leicht gewesen, fügt Bahia Shehab hinzu. Doch zwischen den beiden Volksaufständen Anfang 2011 und Mitte 2013 habe es eine kurze Zeit gegeben, in der es zumindest möglich war. Bahia Shehab wirkt jugendlich. Mit ihrem Lächeln und den warmen braunen Augen nimmt sie jeden sofort für sich ein. Die britische BBC hat sie zweimal zu einer der 100 bedeutendsten Frauen des Jahres gewählt.

Denn Bahia Shehab hat eine Botschaft: Nein. Ihre Graffitis hat sie im November 2011 zum ersten Mal in den Straßen der ägyptischen Hauptstadt Kairo gesprayt. Gut neun Monate zuvor hatten Massenproteste auf dem Tahrir-Platz und an vielen weiteren Orten in ganz Ägypten Langzeitmachthaber, Hosni Mubarak, zum Rücktritt gezwungen. Die Regierungsgeschäfte hatte der hohe Militärrat übernommen und versprochen, einen demokratischen Prozess einzuleiten.

Doch zahlreiche Ägypter zweifelten daran, dass die Militärs ihr Versprechen einhalten würden. Bei einer Demonstration in unmittelbarer Nähe zum Tahrir-Platz setzten die Sicherheitskräfte Tränengas und Gummigeschosse ein. Mehr als 40 Menschen starben. Als Bahia Shehab die Bilder der Getöteten sah, packte sie ihre Sprühflaschen, Farben und Schablonen ein – und zog los.

Bahia Shehab: „Ich habe ‚Nein‘ gesprüht – unzählige Neins: Nein zur Militärherrschaft. Nein zum Töten. Nein zu Tränengas.“

Für eine internationale Ausstellung 2010 hat Bahia Shehab tausend Kaligraphien des Worts „Nein“ gesammelt.

Die Neins hatte sie bereits ein Jahr zuvor für eine internationale Ausstellung gesammelt. Und da die Araber, wenn sie es ernst meinen „Nein und tausendmal Nein“ sagen, suchte die Künstlerin nach tausend unterschiedlichen Kaligraphien in der arabischen Geschichte. Ihre Sammlung präsentierte sie 2010 bei einer Ausstellung in München und in einem Buch mit dem Titel „A Thousand Times No“. Bahia Shehab fertigte von ihren Neins schließlich Schablonen an. Die Kairoer konnten die Neins nun überall an den Wänden lesen. Aber nicht allen gefiel das.

Bahia Shehab: „Manchmal waren die Leute gefährlicher als die Polizei. Denn einige waren richtig aggressiv – insbesondere 2011, als sie noch nicht verstanden haben, was wir dort auf der Straße machten. Sie haben uns angeschrien, uns die Farbe geklaut oder die Schablonen beschädigt. Zweimal wurde ich verfolgt und musste davonrennen. Ich kann diese Menschen verstehen: Sie hatten Furcht, und sie dachten wir zerstören mutwillig. Sie haben einfach nicht begriffen, dass wir versuchten, die Dinge besser zu machen.“

Doch Bahia Shehab ließ sich nicht einschüchtern, denn inzwischen waren auch zahlreiche andere Künstler auf den Straßen Kairos aktiv. Auf den Mauern der Stadt lieferten sie sich eine Farb- und Meinungsschlacht mit den Mächtigen im Land und deren Anhängern. Quasi über Nacht verschwanden Graffitis von den Wänden, wurden weiß übergetüncht oder umgedeutet. Bahia Shehab hatte ihre Schablonen um eine neue erweitert: einen blauen BH.

Nein, dass jemandem die Kleider vom Leib gerissen werden! Der blaue BH wurde zum Symbol dafür.

Von Protesten Mitte Dezember 2011 gingen Fotos und Videos um die Welt: Eine junge Frau liegt bewusstlos auf dem Rücken am Boden. Soldaten zerren an ihr und schlagen mit Holzstöcken auf sie ein. Die schwarze Abaya, das lange Gewand, ist ihr vom Leib gerissen, einzig ein blauer BH verdeckt ihre Brüste. Einer der Soldaten holt zum Tritt auf ihren freien Oberkörper aus. In den Tagen danach demonstrieren tausende Frauen auf dem Tahrir-Platz für ihre Rechte, unterstützt von unzähligen Männern. Es sind die größten Frauen-Proteste in der jüngeren Geschichte Ägyptens. Der blaue BH war zum Symbol geworden. Bahia Shehab sprühte ihn nun neben eines ihr Neins. Nein, dass jemandem die Kleider vom Leib gerissen werden.

Bahia Shehab: „Ich glaube viele Regierungen verstehen die grundlegenden Dinge nicht: Nein zum Töten. Nein zu Blut. Nein zu Spaltung. Nein zu Grenzen. Ich denke nicht, dass die Neins ausschließlich für Ägypten gelten. Sie treffen auf viele Länder der Welt zu.“

Im Laufe der Zeit erntete Bahia Shehab Zuspruch für ihre Graffitis.

Bahia Shehab: „Es war faszinierend wie die Menschen immer vertrauter mit den Künstlern auf der Straße wurden. Die Reaktionen waren nun unterschiedlich. Manche klopften uns auf die Schulter und sagten: ‚Danke. Möge Gott mit euch sein. Wir unterstützen euch und verstehen, was ihr hier tut.’ Und es gab weiterhin die, die alles übermalten, kaum dass wir gegangen waren.”

Im Sommer 2012 wählten die Ägypter zum ersten Mal nach dem Sturz Mubaraks einen Präsidenten. Mohammed Mursi, der Kandidat der Muslimbruderschaft, siegte. Auch er verstand die Botschaft der Neins nicht. Während seiner Amtszeit spaltete er die ägyptische Gesellschaft zunehmend. Mit Massenprotesten machten im Sommer 2013 erneut Hunderttausende ihrem Ärger Luft. Anfang Juli schritt die Armee ein und enthob Mursi des Amtes.

Mit Präsident Abdel Fattah al-Sisi hat der frühere Oberbefehlshaber der Streitkräfte nun das Sagen. Nur noch wenige Kritiker trauen sich, ihre Meinung offen auszusprechen. Zehntausende Menschen sitzen in den Gefängnissen: Islamisten und Muslimbrüder ebenso wie Liberale und Aktivisten, die 2011 auf dem Tahrir-Platz demonstrierten. Für Bahia Shehab fühlt es sich seitdem so an, als ob Ägypten in die Zeit von Mubarak zurückgefallen sei. Ihre Werke stellt sie nun vor allem im Ausland aus. An die Wand einer Unterführung in der Nähe des Freiburger Bahnhofs hat sie ihre Neins gesprüht.

In Freiburg hat sie ihre Neins in der Nähe des Bahnhofs gesprüht.

In Kairo unterrichtet Bahia Shehab Graphikdesign an der American University. Ihre Hoffnung setzt sie in die junge Generation, darin, dass ihre Studenten etwas ändern werden. Bis die Mehrheit der Ägypter ihre Botschaft versteht, werde es noch lange dauern, meint sie. Zu groß sei die Armut, völlig unzureichend die Schulbildung und zu viele im Land könnten nicht richtig lesen und schreiben.

Bahia Shehab: „Ich kann nicht erwarten, dass diese Menschen begreifen, was Freiheit bedeutet. Sie sorgen sich darum, dass sie überhaupt eine Scheibe Brot zum Essen haben. Vielleicht werden sie es eines Tages verstehen. In naher Zukunft sind die meisten jedoch gezwungen sich mit dem täglichen Überleben zu beschäftigen und haben keine Zeit, das große Ganze zu sehen.“

Gleichzeitig kommt es für Bahia Shehab nicht in Frage, Ägypten zu verlassen.

Bahia Shehab: „Entweder wir verändern hier etwas oder nicht. Warum sollte ich ins Ausland gehen? Meine Töchter sind Ägypterinnen. Das ist ihr Land – entweder wir verbessern es oder wir sterben, während wir es versuchen.“

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Von Sabine Rossi, Köln

Sabine Rossi ist Redakteurin bei dem Radiosender COSMO (WDR). Spezialisiert ist sie auf den Nahen Osten, vor allem auf Syrien, wo sie nach ihrem Studium ein Jahr gelebt hat. Regelmäßig verstärkt sie das Hörfunkteam im ARD-Studio Kairo. Für „Deine Korrespondentin“ sucht sie nach starken Frauen im Nahen Osten – und die sind gar nicht so selten.

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Mareike GraepelHaltern
Die US-Amerikanerin Cindy O’Brien lebt seit den 90er Jahren in Connemara, ganz im Westen von Irland und züchtet seltene Seeschnecken. Die sogenannten japanischen Abalone gedeihen an der irischen Küste gut. Sie gelten als Delikatesse und Aphrodisiakum, kosten bis zu 44 Euro pro Kilo – und sehen aus wie Vulven.

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