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Die Frau mit dem langen Atem
Sofía Gómez Uribe will immer tiefer tauchen

2. September 2020 | Von Katharina Wojczenko
Sofía Gómez Uribe schwimmt mit Haien auf den Bahamas. Foto: Jonathan Sunnex

Die 28-jährige Apnoetaucherin Sofía Gómez Uribe hat ihrem Heimatland Kolumbien drei Weltrekorde und mehrere pan- und südamerikanische Rekorde beschert. Sie will mehr Menschen für diesen Sport begeistern – und mit ihrer Liebe für die Ozeane anstecken.

Von Katharina Wojczenko, Bogotá

Am 5. Juli 2017 glitt Sofía Gómez Uribe in ihrem blauen Neoprenanzug und ihren Flossen in einer Bucht der kleinen Karibikinsel Dominica ins Wasser. 2 Minuten und 43Sekunden später kam sie wieder an die Oberfläche. Sie war 83 Meter tief getaucht – nur mit ihrer Atemluft. Weltrekord. Zwei Tage später überbot sie diesen noch um einen Meter. Gut ein Jahr später schaffte sie im türkischen Kaş 86 Meter Tiefe. Erneut Weltrekord.

Seitdem ist Sofía Gómez Uribe in Kolumbien ein Star – soweit das bei einer Nischensportart wie Apnoetauchen möglich ist. Im Schnitt nur etwa 200 Menschen treten bei weltweiten Freitauch-Wettbewerben an. Die strahlende Sofía tauchte anschließend in Medien auf und erklärte dem Publikum erst einmal, was das ist: Apnoetauchen.

 

Stichwort Apnoetauchen:

Beim Apnoetauchen, auch „Freediving“ genannt, gibt es diverse Kategorien: mit Flossen, mit Monoflosse, ohne Flossen, mit und ohne Gewichte, im horizontalen Schwimmbecken oder in die Vertikale. Es geht um drei Faktoren: Wie lange? Wie weit? Wie tief? Tieftauchen mit konstantem Gewicht mit Flossen heißt die Wettkampfkategorie, in der Sofía Gómez die Weltrekorde holte.

Konstantes Gewicht, weil die Taucher*innen kein zusätzliches Gewicht am Körper tragen, das sie nach unten zieht und das sie vor dem Hochtauchen abwerfen. Apnoetauchen ist nicht nur ein moderner Sport, sondern auch eine uralte Kulturtechnik. Schon in der Steinzeit sammelten Apnoetaucher*innen in der Tiefe Muscheln, Schwämme und Perlen. Die Unterwasserjagd mit Speeren auf Fische ist bis heute weltweit verbreitet.

 

„Ich sage immer, das ist wie Freiheit auf Bewährung. Im Wasser fühle ich mich glücklich und frei. Aber ich genieße auch jeden Moment des Tauchgangs, weil ich weiß, dass er bald endet. Er muss enden, weil ich wieder atmen muss“, sagt Gómez. Ihr Mantra beim Tauchen: Frieden, Liebe, Ruhe und Blau. „Apnoe ist eine Begegnung mit mir selbst. Wenn ich zum Training oder zum Spaß tauche, gibt mir das Wasser Euphorie, Frieden, Ruhe – und viel Zeit zum Nachdenken über alles Mögliche… über mein Leben.“

Im Wettkampf sei das anders. Aber auch hier darf die Anspannung nicht Überhand nehmen. Denn das Adrenalin, das andere Leistungssportler*innen zu Höchstleistungen treibt, ist Gift für Apnoetaucher*innen. Die Herzfrequenz steigt, die Gefäße erweitern sich, mehr Sauerstoff wird verbraucht. Deshalb sind Atemübungen, Zwerchfelltraining und Meditation mindestens so wichtig wie Kraft und Ausdauer.

Sofía Gómez hat weder ein größeres Herz noch eine größere Lunge als andere. Das haben Forscher des Parque Explora in Medellín bestätigt, die sie im Wasser vermessen haben. Ein Durchschnittsmensch kann zwischen 30 und 60 Sekunden im Wasser die Luft anhalten. Denn Gehirn und Herz sind verbunden. Das Gehirn löst beim Luftanhalten eine Beschleunigung des Herzschlags aus, die Arterien weiten sich. Das führt dazu, dass mehr Sauerstoff transportiert und schneller verbraucht wird.

Anders bei Sofía Gómez: Dank ihres Trainings schafft sie es, ihr Herz vom Hirn abzukoppeln. Nach 60 Sekunden sinkt ihr Herzschlag auf 30 Schläge pro Minute und der Blutdruck bleibt konstant. „Sie gerät in eine Art Winterschlaf und so kann sie weitermachen“, diagnostizierte das Forscherteam. 5 Minuten und 8 Sekunden kann Sofía Gómez derzeit die Luft anhalten. Die Zeit ist also das geringste Problem.

Apnoetaucherin Sofía Gómez schafft es, ihr Herz vom Hirn abzukoppeln (Foto: Andrés Vallejo).

Schwieriger zu bewältigen ist der Druck auf ihren Körper, den sie ausgleichen muss. Damit sie so tief tauchen kann, wird ihre Lunge auf die Größe einer Orange zusammengepresst. Dafür muss sie ihn vor einem Wettkampf wochenlang an die Tiefe gewöhnen. Sonst drohen die beiden typischen Verletzungen bei Taucher*innen: gerissene Trommelfelle und das sogenannte Barotrauma, Risse in der Lunge aufgrund von Fehlern beim Druckausgleich.

Sofía Gómez Uribe wuchs mit ihrer Familie in einer Mittelschicht-Wohnsiedlung in der Kleinstadt Pereira in der kolumbianischen Kaffee-Achse auf, umgeben von Bergen, hunderte Kilometer vom Meer entfernt. Wenn sie von ihrer Kindheit erzählt, klingt das idyllisch – umso mehr, weil zur selben Zeit der bewaffnete Konflikt zwischen Regierung, Guerillas und Paramilitärs im Land tobte.

Ihr Vater stammt aus der Kaffee-Gegend, ist Bauer und betreibt heute einen Großhandel für Gemüse und Obst. Die Mutter kommt aus Santa Marta an der Karibikküste, studierte technisches Zeichnen und ist Hausfrau. Beiden war es immer wichtig, dass ihre beiden Töchter eine gute Ausbildung bekommen, studieren – Sofía Gómez ist Bauingenieurin – und Sport treiben. Mit zehn Jahren fing Sofía Gómez mit Synchronschwimmen an, wechselte aber schnell zum Schwimmen mit Flossen.

Als ihr Trainer sie zur Übung tauchen ließ, schaffte sie aus dem Stand 100 Meter. Da fiel zum ersten Mal auf, dass sie fürs Luftanhalten Talent hat. Apnoe habe ihr sofort gefallen, sagt Sofía Gómez. Als sie es mit 21 Jahren unter Anleitung im Meer in die Tiefe probierte, entpuppte sie sich wieder als Naturtalent. Als sich ihr Schwimm-Trainer aber weigerte, mit ihr Apnoe zu trainieren, bereitete sie sich in Eigenregie auf ihren ersten Wettbewerb vor.

Sofía und das Meer – lauscht man ihren Schilderungen ist das fast wie eine Liebesbeziehung: „Es gab sofort eine besondere Verbindung. Ich hatte nie Angst vor der Tiefe, der Dunkelheit. Viele Menschen haben etwas gegen die Dunkelheit, aber mich beruhigt sie.“ Apnoe sei sehr persönlich, auf gewisse Weise sogar egoistisch, meint sie – „ aber was mir am meisten gefällt ist, diese Erfahrung mit anderen zu teilen.“ Sie hält Vorträge, macht Instagram-Livestreams mit Wal-Expert*innen, Meereskundler*innen und spricht über das Plastik in den Ozeanen. Und vor allem veröffentlicht sie Fotos und Videos von sich im Meer.

„Ich kann den Blick der Menschen verändern, die nicht diesen Zugang zum Meer haben wie ich“, erklärt Gómez. „Ich liebe zum Beispiel Haie, aber viele Menschen haben große Angst vor ihnen. Deshalb teile ich Fotos und Videos mit Haien. Ich zeige ihnen, dass Haie keine menschenfressenden Maschinen sind. Mit dem, was ich tue, kann ich den Menschen ein wenig beibringen, die Ozeane zu lieben und zu verstehen, dass sie für alle sehr wichtig sind.“

Wichtigste Einnahmequellen: Sponsoren und Werbeverträge

Die Bilder und die Öffentlichkeit sind auch aus einem anderen Grund wichtig. „Ich bin Sportlerin, aber damit verdiene ich kein Geld – jedenfalls nicht in Kolumbien“, sagt Sofía Gómez. Denn die kolumbianische Unterwassersport-Föderation „Fedecas“ hat keines für ihre Sportler*innen. Beim Welt-Tauchsportverband CMAS sieht es ähnlich aus. Qualifikationen für Weltmeisterschaften, Goldmedaillen, Weltrekorde: Das alles bringt den Taucher*innen keine Prämien ein. Sofía Gómez lebt von Sponsoren und Werbeverträgen. Künftig, so hofft sie, kommt ihre Apnoe-Schule als Einnahmequelle dazu. „Zum Glück gibt es soziale Medien,“ sagt Gómez, „nur dadurch konnte ich mir einen Lebensunterhalt schaffen, den es früher nicht gab.“

Wegen ihrer Sponsoren ist sie wieder nach Kolumbien gezogen. Zuvor lebte sie zwei Jahre auf der kleinen Karibikinsel Dominica, nur fünf Minuten von einer 150 Meter tiefen Bucht entfernt. Perfekt zum Trainieren, aber extrem umständlich zu erreichen. Zudem zahlen die Sponsoren in Pesos, auf der Insel wird jedoch in Dollars gerechnet, weshalb alles drei Mal so teuer wie in Kolumbien sei. Und als Hurrikan María über die Insel fegte,  hatte sie 15 Monate lang kein Internet.

Bei den Sponsoren herrsche einigermaßen Gleichberechtigung in ihrem Sport. Sportlich sei es eine andere Sache. Egal, wie sehr sich die Frauen anstrengen: Sie werden nie so tief tauchen können wie die besten Männer. Allein schon, weil deren Lungen größer sind. Das nimmt Gómez mit Fassung. Was sie allerdings hörbar nervt: „In jedem Sport werden die Leistungen der Männer mehr glorifiziert als die der Frauen.“ Paradebeispiel sei Fußball.

Sofía Gómez im Juli 2017 nach ihrem Weltrekord von 83 Metern Tiefe mit Flossen und konstantem Gewicht auf der Karibikinsel Dominica (Foto: Kalindi Wijsmuller).

Sie hofft, Mädchen und Frauen ein Vorbild zu sein. „Ich würde mich freuen, wenn ich einen Einfluss hätte. Ich inspiriere gerne andere Menschen, ihre Ängste zu überwinden. Ich sage immer: Ich kann 97 Meter tief tauchen ohne zu atmen und wieder hochkommen. Egal, was ihr versucht: So schwierig wie das kann es nicht sein! Ihr glaubt, was ich mache, ist unmöglich. Aber ich schaffe es. Also schafft ihr mit Arbeit und Disziplin auch, was ihr schaffen wollt.“

Die Ruhe nach dem Shitstorm

Sie gilt in Kolumbien als Spitzensportlerin zum Anfassen. Das hat auch mit ihrer Präsenz in den sozialen Medien zu tun. Ihre Popularität ist so groß, dass ein App-Anbieter extra Meme-Sticker für WhatsApp mit ihrem Konterfei entwickelte. Doch Gómez hat auch die Schattenseiten der Öffentlichkeit kennengelernt. Im Februar veröffentlichten Twitter-Nutzer*innen zehn Jahre alte Tweets, in denen sich Gómez über Afrokolumbianer*innen beschwert hatte, die offenbar in ihrer Nachbarschaft Krach machten. Ein Shitstorm mit Rassismus-Vorwürfen brach über sie herein.

Gómez veröffentlichte ein Video, in dem sie unter Tränen sagt: Das Leben hat mich gelehrt, mich in die Lage anderer zu versetzen. Ich habe verstanden, dass ich viele meiner Kommentare aus einer privilegierten Position heraus gemacht habe. Die, die (…) enttäuscht von mir sind, bitte ich um Entschuldigung. Wir alle machen Fehler, aber wir haben auch das Recht und die Pflicht, uns zu ändern.“ Die einen bezweifelten ihren Sinneswandel und vermuteten, sie wolle nur ihr Image retten. Die anderen sahen darin menschliche Größe und den Willen zu lernen. Schließlich war sie bei der Veröffentlichung der kritisierten Äußerungen erst 17 Jahre alt.

In jedem Fall hat diese Erfahrung Sofía Gómez’ Umgang mit den sozialen Medien verändert. Ein Jahr zuvor hatte sie sich noch als „totale Twitterin“ bezeichnete und gesagt, sie lese jeden Kommentar und antworte auf die meisten. Unangenehme Kommentare löschte sie und blockierte das Profil. Das kostete sie jeden Tag Stunden. „Das war eine Obsession“, sagt sie. Heute denke ich, dass immer jemand etwas gegen mich sagen wird. Warum muss es mir so wichtig sein, was andere über mich denken? Man vergisst, wer man ist, weil man denkt, dass man ist, was die anderen über einen denken.“

Auf dem Meeresgrund (Foto: Jonathan Sunnex).

Auf Twitter hat sie das Entschuldigungs-Video und alles nach dem 11. Februar 2020 gelöscht und postet nichts mehr. Sie konzentriert sich auf Instagram, wo sie inzwischen mehr als 330.000 Follower*innen hat. Sie zeigt schöne Bilder von sich, unter Wasser, macht Werbung, erzählt selbstironisch im Insta-Live, wie sie ihren Damenbart entfernt, backt Kekse, nimmt an Diskussionen zu Meerestieren und Schutz der Ozeanen teil. Bei alledem strahlt sie heitere Gelassenheit und positive Energie aus.

Und die braucht sie auch: Wegen der Covid-19-Quarantäne hat sie seit Monaten nicht mehr im Wasser trainiert, weil alle Schwimmbäder und Flughäfen geschlossen sind; ihr Hauptsponsor – eine Bank – hat ihr wegen der Krise gekündigt. Alle Wettkämpfe sind auf unbestimmte Zeit verschoben. Ihre Weltrekorde sind längst nicht mehr gültig. Hart sei es gewesen, als sie 2019 wegen einer Verletzung beim Wettkampf nicht antreten konnte und als Kommentatorin miterlebte, wie eine andere Taucherin ihren Weltrekord übertraf.

„Es ist demotivierend, dass man an diesem Punkt war und es nicht mehr ist. Aber es motiviert auch, weiter zu trainieren und sich zu verbessern“, sagt Sofía Gómez. „Es kann sein, dass ich wieder einen Weltrekord hole und wieder die Beste werde.“ Früher tat sie alles, um die Beste zu sein und zu gewinnen. Heute hat ihre Gesundheit Priorität. Sie will Verletzungen richtig ausheilen und im eigenen Tempo vorankommen, damit sie ihren Sport bis ins hohe Alter treiben kann. Doch auch wenn sie vernünftiger als früher geworden ist – ihr Ehrgeiz bleibt. Das nächste Ziel: 100 Meter Tiefe, ohne Luft zu holen.

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Von Katharina Wojczenko, Bogota

Katharina Wojczenko hat in Köln, Madrid und Paris studiert und anschließend als Reporterin bei den bayerischen Regionalzeitungen „Passauer Neue Presse“, „Main-Echo“ und „Nordbayerischer Kurier“ gearbeitet. Ihre Schwerpunkte sind soziale und gesellschaftspolitische Themen. Seit Herbst 2017 ist sie als freie Journalistin und Übersetzerin in Kolumbien unterwegs, weil sie dieses verrückte Land einfach nicht loslässt.

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