Seit der Ukraine-Krise fürchtet Litauen, von Russland überfallen zu werden – und rüstet auf. Patrioten bejubeln das Militär und immer mehr junge Frauen entscheiden sich für eine Laufbahn als Soldatin.
Von Jasper Steinlein, Rukla
Kristina Klimienė ist auf die Sekunde pünktlich. Außer Atem kommt die junge Offizierin in der Kaserne, im Büro ihres Vorgesetzten, an und erlaubt sich keinen Augenblick zu verschnaufen. Mit schnellem Schritt führt sie ihren Gast aus Deutschland in einen Raum, der vor Mililtärabzeichen und Trophäen nur so strotzt.
Jeden Morgen fährt die 25-Jährige aus der litauischen Hauptstadt Vilnius zum Dienst in das 90 Kilometer entfernte Rukla. Dort befindet sich die Kaserne der Infanteriebrigade „Eiserner Wolf“, die für den NATO-Einsatz unter Führung der Bundeswehr in Litauen zuständig ist. Klimienė kümmert sich um die Kontakte zu den Soldaten aus Deutschland, Frankreich und Norwegen, die seit 2015 das baltische Land in verstärkte Einsatzbereitschaft bringen sollen. „Hauptsächlich löse ich den ganzen Tag Probleme“, sagt sie scherzend – da klingelt auch schon wieder ihr Handy und sie hebt ab: „Ist es eilig?“
Klimienė ist eine von 1800 Frauen, die derzeit als Soldatinnen für das litauische Militär im Einsatz sind. Innerhalb weniger Jahre sind die Streitkräfte viel weiblicher geworden: Seit Russland 2014 die ukrainische Halbinsel Krim annektierte und der Krieg in der Ostukraine begann, fürchten die Litauer, von ihrem Nachbarland überfallen zu werden.
In Windeseile hat das Land die Wehrpflicht für Männer unter 27 Jahren eingeführt. Und Frauen können sich freiwillig zum neunmonatigen Wehrdienst melden – was sie auch tun: 2014 kamen nach Angaben des litauischen Verteidigungsministeriums 600 Rekrutinnen zur Armee, im Jahr darauf waren es bereits 750. Seitdem hat ihr Zustrom nicht abgenommen. Inzwischen liegt der Frauenanteil mit zwölf Prozent im NATO-Durchschnitt.
Patriotisch zu sein und das Militär zu unterstützen ist seit den vergangenen Jahren in der litauischen Gesellschaft opportun – das gilt auch für Frauen. „Viele meiner Freunde hielten die Streitkräfte für nutzlos, aber nach der Invasion der Krim haben sie ihre Meinung geändert“, erzählt die Unteroffizierin Ieva Budzeikaitė, die selbst erst seit 2017 bei den Streitkräften ist. „Vielleicht wollen die Frauen, die sich freiwillig melden, auch mit gutem Beispiel für die Männer vorangehen – und zeigen: Der Wehrdienst ist nicht so schlimm, wie er scheint.“
Für Budzeikaitė bot das litauische Militär vor allem attraktive Karrierechancen. Die 27-Jährige hat nach ihrem Fotografiestudium bei der Pressefotoagentur „Fotodiena“ gearbeitet. „Aber nach einem Jahr war ich nicht mehr motiviert und mein Gehalt war gering“, erinnert sie sich. Durch eine Schwangerschaftsvertretung fasste sie als Fotografin im Verteidigungsministerium Fuß – und machte schließlich die Grundausbildung zur Soldatin. Nun sitzt sie in einem Konferenzraum des litauischen Verteidigungsministeriums in Vilnius und zeigt auf einem Laptop Bilder, die sie als Militärfotografin gemacht hat. Seit einem Jahr fotografiert sie bei Manövern und Zeremonien, wenn sie nicht gerade zur Weiterbildung selbst auf dem Truppenübungsplatz ist. „Mein Gewehr ist meine Kamera!“, sagt sie stolz.
Oft sprechen Zivilisten die Soldatinnen an
Kristina Klimienė ist schon ihre gesamte Berufslaufbahn beim Militär. „Seit meiner Kindheit wollte ich Soldatin werden“, sagt sie – und erinnert sich, wie beeindruckt sie war, als in der 11. Klasse eine Schützeneinheit an ihrer Schule zu Besuch kam und vom Soldatenleben erzählte. Nach dem Schulabschluss hat sie an der Litauischen Militärakademie studiert. Vor ihrer Arbeit bei den „Eisernen Wölfen“ hat sie eineinhalb Jahre einen Schützenzug als Leutnant angeführt. „Bevor ich Zugführerin wurde, dachte ich: Vielleicht werden die Männer mich als unzulänglich ansehen. Aber dem war nicht so“, erzählt sie. „Wenn du deine Arbeit gut machst, ist es egal, ob du Mann oder Frau bist.“
Dabei ist der Anblick einer Frau in Uniform für normale Litauer noch immer etwas Besonderes. „Sie kommen dann auf mich zu und wollen mir sagen, wie stolz sie sind“, so Klimienė. Ähnliches hat auch Ieva Budzeikaitė erlebt: „Wenn ich mit meinem Freund unterwegs bin, der einen zivilen Beruf hat, wundern sich die Leute: Warum trägt sie eine Uniform und nicht er?“, sagt sie schmunzelnd.
Obwohl Frauen in Litauen genauso häufig berufstätig sind wie Männer und der Einkommensunterschied geringer ist als in Deutschland, stellt die Gesellschaft klare traditionelle Erwartungen an ihr Geschlecht: Mutterschaft gilt als wichtiges Lebensziel. Das Wesen einer Frau soll zugewandt, vermittelnd und fürsorglich sein. Kein Wunder, dass Litauerinnen besonders häufig in sozialen Berufen arbeiten, etwa als Lehrerin und Dozentin, Ärztin oder Pflegerin. Bei anderen Soldaten seien ihr aber noch nie sexistische Einstellungen begegnet, meint Budzeikaitė – und sagt dann: „Vielleicht bin ich einfach nicht diese Art von Frau… also eine, die nicht mal ihr Gepäck selbst tragen kann.“
Die meisten Soldatinnen in der litauischen Armee gibt es bei den Landstreitkräften, einige von ihnen gehen inzwischen auch in Auslandseinsätze: Eine Soldatin ist etwa an der NATO-Ausbildungsmission in Afghanistan beteiligt, drei weitere am Einsatz der UN-Blauhelme in Mali. Auch Budzeikaitė träumt davon: „Vor ein paar Jahren dachte ich, ich würde gern im Ausland arbeiten und als Kriegsreporterin in Kriegsgebiete reisen. Aber jetzt sehe ich, dass ich dafür noch nicht bereit bin.“ Auch ob sie ihr ganzes Berufsleben beim Militär bleiben will, hat die 27-Jährige noch nicht entschieden.
Und Kristina Klimienė? „Man sagt: Ein schlechter Soldat ist einer, der kein General werden will!“, sagt sie lachend. „Also werde ich vielleicht Generälin!“ Damit wäre sie durchaus eine Pionierin: Denn noch hat keine Frau in der litauischen Armee einen höheren Rang als den des Oberstleutnants erreicht.