Als Juma Ekic in Deutschland zum ersten Mal einen Döner probiert, ahnt sie nicht, wie sehr dieser Bissen ihr Leben prägen wird. Jahre später, als Einwanderin in den USA, bringt sie den deutschen Döner auf die Speisekarte ihres Restaurants und wird fast über Nacht zur Berühmtheit.
Von Marinela Potor, Detroit
Juma Ekic kann sich noch ganz genau daran erinnern, als sie zum ersten Mal einen typisch deutschen Döner aß: „Das war 1992. Ich war auf dem Nachhauseweg von der Schule und holte mir mit meinen Freundinnen einen Döner als Mittagessen. Ich hatte so etwas noch nie gegessen und weiß noch, dass es unglaublich lecker geschmeckt hat.“ Damals war ihr noch nicht klar, dass dieses Gericht sie ihr Leben lang begleiten würde.
Juma Ekic ist damals zwölf Jahre alt und lebt erst seit wenigen Monaten in Deutschland. Ihre Familie ist während des Balkankriegs aus Bosnien nach Landstuhl bei Kaiserslautern geflüchtet. Das Konzept des „deutschen Döners“ ist neu für sie. Sie kennt zwar das türkische Gericht mit Fleischscheiben, die schichtweise auf einen senkrecht stehenden Drehspieß gesteckt und gedreht werden.
Doch die deutsche Variante mit Brot, Salat, Tomaten, Zwiebeln, Kraut und Sauce, die 1972 von einem türkischen Einwanderer in Berlin erfunden wurde, probiert Ekic zum ersten Mal – und ist begeistert. Inmitten der Unsicherheit und Fremdheit ihrer neuen Heimat wird der Döner zu ihrem Trostessen. Es ist eine der wenigen schönen Erinnerungen, die Ekic die sieben Jahre in Deutschland hat.
„Ich habe mich in Deutschland nie heimisch gefühlt“, sagt sie heute. Das lag zum einen an ihrem Flüchtlingsstatus. „Unsere Aufenthaltsgenehmingung wurde immer nur um wenige Monate verlängert. Wir wussten nie, wie lange wir noch bleiben konnten.“ Zum anderen fühlte sich Ekic nie wirklich akzeptiert. „Ich war immer nur die Ausländerin. In der Schule wurde ich gehänselt, weil ich nicht perfekt Deutsch sprach. Meine einzigen Freundinnen waren ein paar Mädchen aus meiner Klasse mit russischer Herkunft.“
Die neue Heimat
1999 entscheidet sich die Familie, mit einer Green Card dauerhaft in die USA auszuwandern. Sie landen in der kleinen Gemeinde Hamtramck in Michigan, wo bereits einige Verwandte leben. Ohne es zu wissen siedeln sie sich damit im „diversesten Ort in den USA“ an, wie es die Stadt von sich behauptet. Denn auf nur zwei Quadratmeilen (etwa fünf Quadratkilometer) leben rund 28.000 Menschen aus vier Kontinenten und sprechen etwa 20 Sprachen.
Etwa die Hälfte ist im Ausland geboren. Burkas sind hier genauso häufig zu sehen wie Pride-Fahnen oder Graffitis der örtlichen Künstler*innen-Community. Kirchenglocken und Muezzinrufe wechseln sich ab, genauso wie Schilder auf Englisch, Polnisch, Arabisch oder Bengalisch. Es ist also eine ganz andere Atmosphäre, als Juma Ekic sie aus Landstuhl kennt. „In den USA war nicht die Herkunft wichtig, sondern deine Leistung. In Deutschland wäre ich immer die Ausländerin geblieben, aber in den USA konnte ich sein, wer ich wollte“, sagt Ekic.
Sie blüht auf, lernt Englisch, findet Freund*innen und beginnt in einer bosnischen Bäckerei zu jobben. Sie liebt die Begegnungen mit den Gästen und den Gemeinschaftsgeist der Angestellten, besonders aber, wie in der Bäckerei die ganze Nachbarschaft aufeinandertrifft. Und schon bald träumt sie davon, eines Tages ihr eigenes Lokal zu eröffnen, in dem ihr Essen die unterschiedlichsten Menschen zusammenbringen kann. „Ich wollte einen Raum schaffen, in dem Menschen aus aller Welt vorurteilsfrei Gerichte aus vielen unterschiedlichen Ländern probieren können… bosnisches, amerikanisches Essen und auf jeden Fall auch deutschen Döner.“
Das Balkanhaus
Sie arbeitet 16 Jahre in verschiedenen Bars und Restaurants in Hamtramck. In dieser Zeit heiratet sie und bekommt Kinder. Doch auf den Gedanken, mit der Gastronomie aufzuhören, kommt sie nie. Dann bekommt Juma Ekic die Möglichkeit, selbst die Pacht eines Restaurants zu übernehmen. Im März 2019 eröffnet sie „The Balkanhouse“, zu Deutsch „Das Balkanhaus“. Ihre Speisekarte ein Mix aus amerikanischen, bosnischen und deutschen Gerichten. Es gibt Chicken Wings und Cevapcici, aber vor allem ein „German-style Döner sandwich“.
An diesem „deutschen Döner-Brötchen“ hat sie besonders lange gefeilt. „Das Brot und Fleisch haben wir gut hinbekommen“, erklärt Ekic. „Doch die Sauce war irgendwie nie so gut, wie ich sie aus Landstuhl in Erinnerung hatte.“ Das lässt ihr keine Ruhe und so macht sie schließlich Deutschlands ältesten Dönerladen in Berlin ausfindig. Sie kontaktiert den Besitzer und bittet um Hilfe.
„Wir wollten natürlich nicht das Rezept, aber wir hatten gehofft, dass er uns Tipps geben kann, damit wir den Döner so authentisch wie möglich zubereiten können.“ Sie hört tagelang nichts und vermutet, dass sie den Besitzer mit ihrer direkten Anfrage beleidigt hat. Doch eine Woche später bekommt sie eine E-Mail von ihm. Die Nachricht enthält das Originalrezept des Berliner Döners und die Worte „viel Glück.“ Das lässt nicht lange auf sich warten.
Der mysteriöse Gast
In den ersten Wochen nach der Eröffnung bemerkt Juma Ekic einen Gast, der wieder und immer wieder kommt und nicht nur den Döner, sondern ihre gesamte Speisekarte rauf und runter bestellt. „Nach ein paar Wochen gab er mir seine Visitenkarte mit dem Namen Mark Kurlyandchik und sagte, dass er ein Restaurantkritiker sei. Ich hatte ehrlich gesagt noch nie etwas von ihm gehört“, gesteht Ekic. Tatsächlich ist Mark Kurlyandchik einer der renommiertesten Restaurantkritiker der Region.
Als seine Lobeshymne auf den deutschen Döner in Hamtramck in der Regionalzeitung „Detroit Free Press“ erscheint, stehen Gäste plötzlich Schlange vor dem Balkanhaus, um Michigans ersten und einzigen „German Döner“ zu probieren. Ihr Döner wird zum Hit. Im Februar 2020 wird „The Balkanhaus“ zu einem der zehn besten Restaurants von Detroit gekürt.
Reporter*innen von großen US-Medienhäusern wie „Fox“, „Daily Mail“ und „New York Times“ kommen eigens nach Hamtramck, um über den deutschen Döner zu berichten. Sie stellt weitere Mitarbeiter*innen ein und eröffnet einen zweiten Standort im Nachbarort Ferndale, um die große Nachfrage bedienen zu können. Doch ausgerechnet jetzt kommt die Corona-Pandemie. „Meine größte Sorge war mein Personal“, sagt Ekic. Und dann passiert wieder ein kleines Wunder.
Die Überraschung
Am ersten Tag, als das Balkanhaus wieder öffnet, kommt ein Stammgast, vorbei, um sich einen der ersten Döner abzuholen. Das Team kennt ihn nur unter seinem Vornamen Joey. „Er war so glücklich, dass er wieder Döner essen konnte, dass wir ihn ihm geschenkt haben. Wir haben uns nichts dabei gedacht, bis wir plötzlich ein paar Tage später ganz viele Nachrichten bekamen.“
Freund*innen, Familienmitglieder und andere Gäste schickten Fotos von zwei riesigen Werbebannern. Darauf waren ein Döner, die Aufschrift „The Balkanhouse“ und das Restaurant-Logo zu sehen. Nur: Juma Ekic und ihr Team hatten diese Plakate nie in Auftrag gegeben, geschweigedenn dafür bezahlt. Wie sich herausstellt ist es Joey, der dahintersteckt. Denn ihm gehört ein Plakatunternehmen und aus Dankbarkeit wollte er Juma Ekic und dem Balkanhaus in der schwierigen Corona-Zeit mit dieser Werbung etwas Gutes tun.
Die Geschichte landet in landesweiten Medien. „Seit dem Zeitpunkt konnten wir uns vor Aufträgen nicht mehr retten. Wir hatten während der Pandemie so viel zu tun wie nie zuvor.“ Heute betreibt die Unternehmerin neben den zwei Standorten des Balkanhauses auch noch zwei Food Trucks. Damit ist sie auf großen Events wie Fußballspielen, Food-Festivals und und Feiern von deutschen Autoherstellern wie Audi rund um Detroit präsent.
Die Rückkehr
Ihr Erfolg hat in der Zwischenzeit auch andere Gastronom*innen inspiriert und so hat Detroit jetzt zahlreiche Restaurants, die die deutsche Döner-Variante servieren. Juma Ekic sieht das nicht als Konkurrenz, sondern freut sich darüber, dass eines ihrer Lieblingsgerichte so gut ankommt. „Ich finde das toll, dass der Döner jetzt hier so bekannt ist und ihn viele Menschen zubereiten und essen.“ 2022 reist Ekic zum ersten Mal seit ihrer Ausreise in die USA wieder nach Deutschland.
Sie besuchte alte Schulfreund*innen und natürlich auch den Laden, der ihr Leben so nachhaltig geprägt hat. Der Döner schmeckt für sie noch genauso gut wie vor 30 Jahren. Doch mit ihr hat dieses Gericht eine große Reise unternommen und viele Veränderungen mitgemacht: vom Wohlfühlessen in der Fremde, zur Inspiration in der neuen Heimat bis hin zum großen Durchbruch und Erfolg. Sie selbst sieht es eher pragmatisch: „Für mich ist der Döner ein super leckeres Gericht, das ich einfach so vielen Menschen wie möglich nahebringen möchte.“