Die Autobranche ist immer noch männlich dominiert. Zwei Schwestern in den Niederlanden gründeten deshalb das erste Autohaus des Landes mit einer Werkstatt von Frauen für Frauen. Und sie sind nicht allein, denn es gibt noch weitere Wegbereiterinnen, die mehr Frauen in Technikberufen sehen wollen.
Von Sarah Tekath, Amsterdam
Eine Frau liegt unter einem Auto. Nur ihre Beine ragen hervor. Auf dem Parkplatz eines Einkaufszentrums in ‘s-Hertogenbosch verrenken sich die Einkaufenden im Vorbeigehen die Hälse, bleiben stehen oder machen Fotos. Braucht die Frau Hilfe? Gab es einen Unfall? Auf der hellblauen Skinny-Jeans und den korallfarbenen Pumps ist kein Blut zu erkennen. Beim genaueren Hinschauen fällt etwas auf. Neben der Frau steht ein pinker Werkzeugkasten auf dem Boden: Sie repariert ihr Auto.
Es handelt sich um eine Guerilla-Marketing-Aktion von „De Dames van Hurkmans“, der ersten Frauen-Autowerkstatt der Niederlande. Eröffnet wurde sie 2016 von den Schwestern Janita und Mariëlle Hurkmans. Die beiden sind mit Autos aufgewachsen, schon ihre Eltern haben zusammen ein Autohaus gegründet. Darum haben auch sie sich für eine Laufbahn in diesem Bereich entschieden: Mariëlle Hurkmans im handwerklichen Bereich und Janita Hurkmans im Verkauf.
In ihrer Werkstatt mit angeschlossenem Autohaus, die bis heute noch die einzige unter weiblicher Leitung in den Niederlanden ist, übernehmen vornehmlich Frauen das Reparieren, Verwalten und Verkaufen. Insgesamt arbeiten hier elf Personen, davon sieben Frauen. Es sind arbeiten aber auch vier Männer in der Werkstatt und bei der Sachbearbeitung von Schäden, da den Gründerinnen Diversität wichtig ist. Der erste kam schon im Gründungsjahr 2016 ins Team.
Weibliche und männliche Kundschaft
Die Schwestern Hurkmans haben mehr als 15 Jahre Erfahrung in der Branche und wissen: Das durchschnittliche Autohaus ist von Männern für Männer gemacht. Darum orientieren sich die Gründerinnen in ihrem Unternehmen an weiblichen Kunden. „68 Prozent unserer Kundschaft sind Frauen. Wir haben aber auch festgestellt, dass Männer gerne zu uns kommen“, sagt Janita Hurkmans. „Sie sind froh, wenn sie nicht so tun zu müssen, als ob sie sich mit Autos auskennen, obwohl sie gar keine Ahnung haben.“
Auch von Kundinnen habe sie in Gesprächen erfahren, dass diese sich in dem Frauen-Autohaus sicherer fühlten und keine Scheu hätten, Fragen zu stellen. „Bei Männern haben sie die Sorge, dass sie als dumm angesehen werden.“ Auch die Beratung von Frau zu Frau sei anders, erklärt Hurkmans. „Bei Verkäufern ist es oft so, dass sie sofort loslegen mit langen Monologen zu den Besonderheiten des Autos. Da bekommt man Dinge angedreht, die man ursprünglich gar nicht haben wollte. Wir machen das hier anders. Wir lassen die Kundschaft reden und hören gut zu, was die Wünsche sind.“
Außerdem bieten die Schwestern Hurkmans Workshops an, etwa mit dem Titel „Pannen ohne Männer“. Hier lernen die Teilnehmerinnen, was es bedeutet, wenn eine Kontrollleuchte angeht, wie man einen Reifen wechselt und den Ölstand prüft oder wie bei einem Unfall das Schadenformular für die Versicherung ausgefüllt werden muss.
Auch die Räumlichkeiten der Werkstatt und des Showrooms sind auf die Zielgruppe abgestimmt: Dekoriert mit bunten Kissen, auf Tischen liegen Frauen-Magazine und sogar verschiedene Nagellacke stehen bereit, falls die Kundinnen die Wartezeit mit einer Maniküre überbrücken wollen. Natürlich wissen die Damen von Hurkmans, dass sie hier mit Klischees spielen und dass nicht jede Frau gerne Nagellack trägt.
Deswegen nervt es Janita Hurkmans auch, dass im Rahmen der großen Medienaufmerksamkeit, die sie in den Niederlanden bekommen, auch ein Artikel erschienen ist, der sich nur auf das Detail der Nagellacke fokussiert hat. „Das ist nur ein Mini-Teil von unserem Konzept. Da habe ich mich schon gefragt, ob der Journalist nicht etwas anderes hätte schreiben können. Wir haben unser Autohaus von Null aufgebaut, schließen große Deals ab und sind so weit gekommen. Das haben wir ja nicht nur wegen dem Nagellack geschafft, sondern weil wir wissen, was wir tun.“
Nur drei Mädchen in der Berufsschulklasse
Dass gestylte Fingernägel und Autoreparaturen sich nicht gegenseitig ausschließen, weiß auch Lisa Versteeg. Die 22-Jährige trägt lange, spitz gefeilte Acryl-Nägel und arbeitet seit drei Jahren als Automechanikerin bei „De Dames van Hurkmans“. Ihr Vater hat einen Betrieb für große landwirtschaftliche Maschinen und eigentlich dachte sie, dass sie auch diesen Weg einschlagen würde. In der Berufsschule seien ihr aber Autos interessanter vorgekommen.
Schon dort habe sich der Unterschied in Geschlechtern gezeigt. „In meiner Klasse waren drei Mädchen. Das war schon wirklich viel. Natürlich gab es auch einige Jungs, die gefragt haben: ‚Was will die denn hier?‘ Aber das waren nicht alle. Andere fanden es gut und waren neugierig, warum wir das machen.“
Trotzdem musste sie in der Berufsschule auch sexuelle Belästigung erleben. „Die Jungs wollten sich scheinbar ein bisschen aufspielen. Ich war dabei, meinen Overall für die Arbeit anzuziehen und habe mich dabei mit dem Oberkörper nach vorne gebeugt. Da kam ein Mitschüler von hinten ganz nah an mich heran. Das war mir sehr unangenehm“, erinnert sie sich. Bei einem anderen Jungen hätte er das sicher nicht gemacht, glaubt sie.
15 Prozent Frauen in Technikberufen
Auch wenn die Frauen bei „De Dames van Hurkmans“ in der Überzahl sind, sieht es landesweit deutlich anders aus: Nach den Erhebungen des niederländischen Amtes für Statistik machten Frauen 2021 (3. Quartal) in technischen Berufen einen verschwindend geringen Teil aus. Umgerechnet etwa acht von zehn Beschäftigten sind männlich. In konkreten Zahlen waren das 1.021 Männer und 181 Frauen, was rund 15 Prozent entspricht. Im Bereich Montage und Reparatur im Allgemeinen waren die Zahlen noch niedriger. Im vierten Quartal 2021 arbeiteten 155 Personen in der Kategorie Metallarbeiter*innen und Maschinenmontage, fünf davon weiblich. Im Bereich Elektromonteur*innen werden 93 Personen, aber nur vier Frauen aufgeführt.
Die Branchenorganisation „Techniek Nederland“ hat sogar festgestellt, dass nur drei Prozent des technischen Fachpersonals weiblich sind. Die meisten Frauen, die in diesem Sektor arbeiten, täten dies nämlich im Bereich Kommunikation und Administration. Dies bestätigen auch Zahlen des Instituts für Arbeitnehmerversicherung. Nach deren Erhebungen lag die Anzahl von Automonteurinnen im Land von 2010 bis 2020 bei maximal zwei Prozent.
Wie wenig Frauen auch im Verkauf von Autos vertreten sind und welche Vorurteile es deswegen gibt, hat Janita Hurkmans erlebt. „Ich habe lange in Autohäusern im Verkauf gearbeitet. Wenn ich auf die Kunden zugegangen bin, war mir meist direkt klar: Die denken jetzt, dass ich frage, ob sie Kaffee möchten. In ihren Augen war ich immer die Kaffee-Dame.“ Sie habe das jedoch zu ihrem Vorteil genutzt: „Ich habe dann einfach mein Verkaufsgespräch angefangen und die Stimmung hat sich schnell geändert. Sobald die Kunden nämlich gemerkt haben, dass ich weiß, wovon ich rede, war der Respekt fast größer als für meine männlichen Kollegen.“
Sie weiß aber auch, dass es jungen Frauen in der Autobranche oft schwergemacht wird, überhaupt weit zu kommen. „Sie sitzen in der technischen Schule meist nur mit Jungen in der Klasse und dann gibt es auch noch Lehrer, die sie nicht ernst nehmen“, erklärt sie. Lisa Versteeg hat ähnliche Erfahrungen gemacht. „Am meisten hat es mich gestört, dass der gesamte Unterricht sprachlich auf die männliche Form ausgerichtet war. Auch in der Klassen-WhatsApp-Gruppe wurde alles immer mit ‚er‘ geschrieben. Selbst die Lehrer haben das so gemacht.“
Bei Praktikumsverträgen und Arbeitsverträgen sei es nicht besser geworden. Auch da seien einzig männliche Formulierungen verwendet worden. „Dabei macht es doch wirklich keine Mühe, da ein ‚sie‘ zu ergänzen“, so Versteeg. Bei „De Dames van Hurkmans“ wird deshalb in den Verträgen auf inklusive Formulierungen geachtet.
25 Prozent Frauen bis 2025
Damit das in Zukunft noch mehr Menschen und Unternehmen so sehen, muss an einigen Stellschrauben gedreht werden, weiß Marjorie Woudenberg. Sie kommt aus einer Techniker*innen-Familie, weshalb Technik schon immer eine große Rolle in ihrem Leben gespielt hat. Als ihr bewusst wurde, wie groß der Mangel an Frauen in dieser Branche ist, begann sie zu überlegen, wie sie positivem Einfluss darauf nehmen kann – und gründete die Plattform „Techniekvrouwen“.
Die umfasst derzeit mehr als 1.000 Frauen in technischen Berufen, von denen einige als Botschafterinnen auf der Webseite auftauchen, um als Rollenbilder und Inspirationen für Mädchen zu wirken. Sie werden in Podcasts und Online-Kurzprofilen vorgestellt. Doch das allein reiche nicht, erklärt Woudenberg, denn auch die Unternehmen selbst müssten sich verändern und zugänglicher für Frauen werden. „Wir helfen Technologieunternehmen bei ihrem Arbeitgeber*innen-Image, damit sie effektiver Frauen rekrutieren können“, erklärt sie.
Darum sei es wichtig, beim Design der eigenen Webseite Frauen nicht auszuschließen – etwa mit Fotos, auf denen nur Männer zu sehen sind. Es müsse gezeigt werden, dass die Unternehmenskultur offen sei für Diversität und Inklusion. Aber auch konkrete Bedingungen von Stellenausschreibungen seien wichtig, so Woudenberg. „Es geht um kleine Dinge, die aber konsequent gezeigt werden müssen. Beispielsweise Arbeitszeiten wie Teilzeit oder Vollzeit. Trainings und Aufstiegschancen, aber auch die Atmosphäre vor Ort sind wichtig.“
Mit diesen kleinen, aber entscheidenden Veränderungen hofft Techniekvrouwen, es bis 2025 geschafft zu haben, dass 25 Prozent aller Arbeitnehmenden in der Technikbranche weiblich sind. Ein ambitioniertes Ziel, aber nicht unmöglich. Das zeigt „De Dames van Hurkmans“: Dort sind fast 65 Prozent Frauen.