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Die Busenfreundin
Vom Umgang mit der eigenen Brust

17. Februar 2021 | Von Katharina Wojczenko
Aktivistin Karen Rodríguez trägt ein T-Shirt mit zwei Avocados, die ihre Brüste symbolisieren sollen. Foto: Andrés López

Eines Morgens stand Karen Rodríguez Real vorm Spiegel, schaute auf ihre Brüste und sagte sich: „Was schauen meine gut aus!“ Dann dachte sie an all die Frauen, die an ihren Brüsten zweifeln – und beschloss, das zu ändern.

Von Katharina Wojczenko, Bogotá

So wurde das Projekt „Qué buenas las tengo“ geboren. Auf Deutsch übersetzt heißt das etwa: „Was schauen meine gut aus!“ Gemeint sind – das ist wegen des spanischen Pronomens unmissverständlich – las tetas. Ein Wort, das in Kolumbien sehr umstritten ist, genau wie die Körperteile, die es bezeichnet. Übersetzen lässt es sich am ehesten mit „Möpsen“ – was aber im Deutschen deutlich weniger verbreitet ist als die kolumbianischen „tetas“.

Während das Wort teta im Singular in festen Wendungen wie dar la teta (zu Deutsch „die Brust geben“ oder „stillen“) neutral aufgefasst wird, ist es der Plural – ähnlich wie das deutsche Wort Titten – im Spanischen auf keinen Fall. Tetas gilt im besten Fall als umgangsprachlich. In Kolumbien gilt das Wort in den meisten öffentlichen Kontexten als vulgär. Viele Frauen verbinden es mit Formulierungen, die Männer für verbale Übergriffe verwenden.

Privat oder unter Frauen ist es flapsig, aber nicht unbedingt abwertend, kann sogar liebevoll sein – anders als das deutsche Wort „Titten“ (weshalb wir es in diesem Text mit „Brüste“ übersetzen). Im Gegenteil verwenden oft gerade Frauen es, die sich dagegen wehren wollen, dass dieses Wort von den Übergriffigen vereinnahmt wird – und die sich überhaupt beim weiblichen Körper mehr Klartext wünschen.

So sieht das auch Karen Rodríguez Real. Die 37-Jährige ist Werbefachfrau und hat unter anderem als kreative Leiterin für die Schuhmarke „Doc Martens“ in Kolumbien gearbeitet. Sie hatte sich schon jahrelang Gedanken über Frauen, Körpergefühl und Feminismus gemacht, als sie 2015 das Projekt „Qué buenas las tengo“ gründete.

Aus persönlicher Notwendigkeit, wie sie sagt: „Ich wollte etwas Kreatives machen, das den Menschen hilft. Wir kolumbianischen Frauen und viele auf der ganzen Welt sind aufgewachsenen mit einer Angst um unsere Brüste – dass sie nicht perfekt sind, nicht rund, dass sie nicht wie in den Zeitschriften aussehen und – wenn du Kolumbianerin bist, dass du nicht wie Shakira aussiehst.“

Karen Rodríguez (Foto: Sebastián Real).

Deshalb startete sie eine digitale Kampagne. „Mir war wichtig: Ich wollte es in das wirkliche Leben bringen“, sagt Rodríguez. So entstanden die „camitetas“ – ein Wortspiel aus camiseta (T-Shirt) und teta – eine Reihe von bedruckten T-Shirts, die mit Obst auf die Formenvielfalt anspielt. „In Kolumbien und anderen Teilen der Welt werden Brüste mit Früchten verglichen“, erklärt Rodríguez. „Manche Frauen sagen: Ich habe Limönchen, weil sie kleine Brüste haben, andere sagen: Ich habe gigantische Papayas, weil sie größere haben. Andere sagen Melonen, Avocados…“

Diese Vielfalt spiegelt sich auf den T-Shirts wider, auf denen in Brusthöhe zwei tropische Früchte prangen. Die Idee dahinter ist: lachen, nachdenken und über Brüste ins Gespräch kommen. Für Karen Rodríguez ist es ein wichtiger Schritt, um „die Tabus, die Scham zu überwinden, mit der wir Frauen unseren Körper beladen haben und die uns nicht von unseren Brüsten sprechen lassen“ – und zwar auch mit den Männern.

Das bezieht sich nicht nur auf Partner, betont Karen Rodríguez. „Wir alle haben einen Papa,“ sagt sie, „damit fängt es an.“ Viele haben dazu einen Bruder, einen Cousin. „Die sagen dann: Setz dich ordentlich hin, zeig das nicht, zieh dich so an – und in vielen Fällen versuchen wir Frauen, es dem anderen recht zu machen. Das sind Dinge, mit denen wir Schluss machen müssen – und die Männer müssen einsehen, dass es normal ist, dass Frauen Brüste haben.“

Deshalb sei ein Ziel von „Qué buenas las tengo“, dass beide Seiten ins Gespräch kommen. Dazu könnten die T-Shirts beitragen. Überhaupt verschenkten oft Männer die Shirts an Frauen, weil sie diese witzig finden und die Idee dahinter wichtig. Zu kaufen gibt es die T-Shirts im Internet für umgerechnet rund 15 Euro. Die Botschaft dahinter ist klar: „Es gibt keine idealen Brüste. Wir alle sind komplett unterschiedlich“, sagt Karen Rodríguez.

Jede Frau ist schön wie sie ist

„Jede Frau sollte sagen: Alles was ich habe ist gut. Es gibt keine Haare, die schöner als andere sind. Das sind die Haare, die ich habe, das sind die Augen, die ich habe, das sind die Hände, die ich habe. Es geht darum, damit zu brechen, anderen ähneln zu müssen. Wenn wir jemandem ähneln wollen, hören wir auf, uns selbst zu gehören.“ Auch wenn Karen Rodríguez betont, dass Schönheitsideale dank Hollywood und Internet mittlerweile global sind und alle Frauen betreffen: Auf kolumbianischen Frauen herrscht wohl gerade beim Busen ein besonderer Druck.

Wenn es nach Karen Rodríguez geht, sollten Frauen stolz auf ihre Brüste sein (Foto: Katharina Wojczenko).

Kolumbien belegt laut der Internationalen Gesellschaft für Plastische Chirurgie (ISAPS) bei ästhetischer Chirurgie weltweit den siebten Platz. Nach der Fettabsaugung ist die Brustvergrößerung der zweithäufigste Eingriff. Der kolumbianische Staat schaffte Ende 2019 sogar die Mehrwertsteuer auf ästhetische Eingriffe ab, damit die Zahl der Schönheits-OPs steigt und der dazugehörige Tourismus nicht in Gefahr gerät.

Nicht nur reden, sondern auch anfassen

Ein weiteres Ziel der Kampagne ist, dass Frauen sich bewusst mit ihren Brüsten auseinandersetzen und diese vor allem anfassen, um Krankheiten früh zu erkennen. Dafür arbeitet „Qué buenas las tengo“ unter anderem mit Stiftungen zusammen und veranstaltet Workshops. So veröffentlichten die Aktivistinnen im Oktober 2017 das Musikvideo „Berühr deine Brüste“, bei dem es darum geht, dafür zu sensibilisieren, dass Frauen einmal im Monat ihre Brüste abtasten sollten – egal, welche Form sie haben.

Laut der Panamerikanischen Gesundheitsorganisation wird bei etwa 460.000 Frauen auf dem gesamtamerikanischen Kontinent jedes Jahr Brustkrebsdiagnostiziert – und etwa 100.000 Frauen sterben daran. Das macht Brustkrebs zur zweittödlichsten Krebsart der Region nach Lungenkrebs. In Kolumbien sterben nach Angaben des Gesundheitsministeriums immer mehr Frauen an Brustkrebs: Zwischen 2009 und 2019 stieg die Zahl der Toten um 36,5 Prozent auf mehr als 3.500 Tote.

2020 brachte „Qué buenas las tengo“ zum Brustkrebs-Monat Oktober zugunsten einer Stiftung, die Frauen mit Brusterkrankungen unterstützt, eine neue T-Shirt-Linie heraus. Die Batik-Muster stellen dabei auf abstrakte Weise die fünf häufigsten Veränderungen dar, die auf Brustkrebs hindeuten können: markanter Größenunterschied zwischen den Brüsten, blaue Flecken, ohne sich gestoßen zu haben, orangene Farbe, Brustwarzen mit rosa oder gelbem Sekret, Venen, die sich sehr abheben.

„Von Brustkrebs reden macht den meisten Angst“, erklärt Karen Rodríguez. „Wir möchten mit diesem Ansatz Menschen sensibilisieren und bilden.“ Das klappt auch mit den Obst-T-Shirts schon. Von all den Geschichten, die Menschen mit ihr geteilt haben, hat Rodríguez besonders die einer Frau beeindruckt. Sie hatte Brustkrebs – worauf sich all ihre Freundinnen aus Solidarität ein T-Shirt mit verschieden großen Früchten kauften, sozusagen als Zeichen nach dem Motto: Meine Freundin hat nur eine Brust – aber was schaut sie gut aus! Denn: „Wir Frauen müssen zusammenhalten.“

Mädchen besonders stärken

Der Erlös des Verkaufs fließt, wie bei allen Aktionen, komplett in die Marke. Davon werden die Grafikerinnen, Druck, Material und neue Projekte bezahlt. Das feste Team ist klein: Sie selbst ist für die strategische Ausrichtung verantwortlich, ihr Partner Andrés López kümmert sich von Australien aus um die künstlerische Leitung, zwei weitere Mitarbeiter*innen um das Community Management im Internet und die Grafik.

Auf Brusthöhe prangen Spiegelei und Ananas auf diesen T-Shirts. Die “Camitetas” sind das bekannteste Produkt von Qué Buenas Las Tengo (Foto: Katharina Wojczenko).

Gedruckt werden T-Shirts nur, wenn sie bestellt werden – so sparen sie sich die Kosten für Lagerräume und können nachhaltiger arbeiten. In Zukunft will Karen Rodríguez vor allem mit Jugendlichen arbeiten und Workshops in Schulen abhalten. „Die Pubertät ist der entscheidende Moment“, ist sie überzeugt. Frauen würden in dieser Zeit anfangen, die Hoheit über ihren Körper zu verlieren. Genau deshalb brauchten sie hier besondere Unterstützung.

Doch das sei erst wieder möglich, wenn die Pandemie vorbei sei. „Man muss einander sehen“, sagt Karen Rodríguez. „Es bringt nichts, wenn man ein Gespräch anbietet, aber alle die Kamera ausgeschaltet haben. Wenn es eine echte Gesprächsrunde ist, kannst du die Hand heben und sagen: Ich glaube, meine sind zu klein – und fünf Mädchen spüren: Mir geht es genauso.“

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Von Katharina Wojczenko, Bogota

Katharina Wojczenko hat in Köln, Madrid und Paris studiert und anschließend als Reporterin bei den bayerischen Regionalzeitungen „Passauer Neue Presse“, „Main-Echo“ und „Nordbayerischer Kurier“ gearbeitet. Ihre Schwerpunkte sind soziale und gesellschaftspolitische Themen. Seit Herbst 2017 ist sie als freie Journalistin und Übersetzerin in Kolumbien unterwegs, weil sie dieses verrückte Land einfach nicht loslässt.

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Mareike GraepelHaltern
Die US-Amerikanerin Cindy O’Brien lebt seit den 90er Jahren in Connemara, ganz im Westen von Irland und züchtet seltene Seeschnecken. Die sogenannten japanischen Abalone gedeihen an der irischen Küste gut. Sie gelten als Delikatesse und Aphrodisiakum, kosten bis zu 44 Euro pro Kilo – und sehen aus wie Vulven.

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