Auch wenn die „Wicklow Mountains“ südlich von Dublin so aussehen – Irland ist weder politisch, noch wirtschaftlich oder gesellschaftlich besonders grün. Doch seit Kurzem hat der irische Ableger der globalen Bewerbung „Fridays for Future“ zumindest in der Hauptstadt starken Rückhalt: Mit Hazel Chu ist die erste „grüne“ Oberbürgermeisterin der Hauptstadt ins Rathaus eingezogen.
Von Mareike Graepel, Dublin
Jessie Sheehan, Brooke Dwyer, Beth Doherty und Jessica Dunne sind vier junge Frauen, die zur „Fridays-for-Future“-Bewegung in Dublin gehören. Sie sind 16 und 17 Jahre alt und gehen zur Schule – derzeit meist nur „digital“. Für typischen Teenie-Kram haben sie trotz der Schulschließungen keine Zeit: Sie nutzen ihre Freizeit, um auf den Klimawandel aufmerksam zu machen. Im vergangenen Jahr gab es – unter Einhaltung aller Abstandsregeln – Plakat-Aktionen und Sitzstreiks statt Märsche oder Kundgebungen.
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Doch wegen der Covid-19-Einschränkungen sind Treffen und Demonstrationen gerade unmöglich, Interviews nur über Video machbar. Dabei fing alles so vielversprechend an. „Im Frühjahr 2019 waren wir erst eine kleine Gruppe, aber schnell hatten wir über 70 Leute“, so Beth Doherty. Die meisten sind junge Frauen und Mädchen. „Wir sehen alle, wie wunderschön unser Land ist und wie sehr wir als Nation den Schutz dessen, was wir haben, vergeigen“, erklärt Jessie Sheehan. „Wir wollen die Menschen wachrütteln.“
In den vergangenen 30 Jahren schien Irland aufholen zu wollen, was das Nachkriegseuropa viel langsamer durchlebt hatte. Als der Wirtschaftsboom, der „Celtic Tiger“, nach langer Armut und Arbeitslosigkeit Mitte der 90er Jahre den Aufschwung brachte, musste alles so sein wie „auf dem Kontinent“, dem europäischen Festland. Plötzlich konnten sich die Menschen auf der sogenannten „Grünen Insel“ mehrere Autos, große Häuser und den Luxus des Recyclings statt des echten Wiederverwendens leisten.
Einkaufen in Irland bedeutet: Übergroße Einkaufswagen voller Milch in Plastikflaschen, kein Pfandsystem bei Bier, Softdrinks oder Dosen, dafür viele kleine Chipstüten in größeren Tüten, meistens Einwegtaschen. Kurzum: jede Menge Müll. Die Statistik besagt es sind mehr als 13 Millionen Tonnen pro Jahr, 260 Kilo pro Kopf. Zum Vergleich: In Deutschland sind es zwar fast doppelt so viel pro Kopf, aber Irland ist ein kleines Land mit deutlich weniger Großindustrie.
Wie in Deutschland sind wegen der Pandemie erste Trends zum Unverpackt-Einkaufen wieder zurückgegangen. Der Abfall, der in Parks und in den Fußgängerzonen weggeworfen wird, hat sich seit März 2020 verdreifacht. Und Fortbewegung in Irland bedeutet (mit oder ohne Pandemie) Autofahren, denn viele der Städte sind nicht an das schwach ausgebaute Bahnstreckennetz angeschlossen. In der Rushhour in Dublin sitzen fast alle Fahrer*innen allein im Wagen, vorzugsweise im SUV. Über 36.000 von den spritfressenden Geländelimousinen wurden in Irland allein 2020 verkauft.
Der Ehemann ist „Lady Mayoress“
Aber Dublin ist nicht riesig. Und so kommen ein paar wenige Menschen in Irland zu ihren Außenterminen mit dem Fahrrad oder zu Fuß – so wie Hazel Chu. Sie ist die erste Oberbürgermeisterin in der Geschichte Dublins aus den Reihen der Green Party (vergleichbar mit Die Grünen). Mit ihr haben die jungen Aktivist*innen von „Fridays for Future“ seit Mitte 2020 eine Befürworterin auf höchster Stadtebene. Hazel Chu trägt offiziell den Titel „Lord Mayor“, weil es in den Statuten nie vorgesehen war, dass jemals eine Frau dieses Amt bekleiden würde. Chu ist seit 1665 erst die neunte Frau, die vom Nationalrat zur Oberbürgermeisterin gewählt wurde.
Vor Beginn des Interviews spaziert ihr Partner mit der kleinen Tochter am riesigen Tisch im historischen Sitzungssaal des Mansion House vorbei und stellt sich vor, ohne mit der Wimper zu zucken: „Ich bin Lady Mayoress, Patrick Costello.“ Dann erklärt er, dass die Familie im ersten Stock wohne und er jetzt die Kleine in den Kindergarten bringe. Hazel Chu winkt den beiden kurz zu und nimmt unter den Ölgemälden ihrer Vorgänger Platz. Oberbürgermeisterin in Dublin zu sein ist ein äußerst befristeter Job: Das Amt wird traditionell nur für ein Jahr übernommen, die Juristin Hazel Chu hat viel zu tun.
„Wir müssen mit den jüngeren Generationen zusammenarbeiten. Jede Politikerin, jeder Politiker, die oder der nur im Jetzt denkt, macht ihren oder seinen Job nicht richtig“, sagt Hazel Chu. „Gesetze und Regelungen werden nicht von jetzt auf gleich geändert. Und wir – meine Generation – wir arbeiten für die nachkommenden Generationen.“ Die 40-jährige Politikerin ist als sehr pragmatisch bekannt und nahm schon häufiger aktiv an Kundgebungen teil, kennt die Anführerinnen bei „Fridays for Future“ Dublin persönlich.
„Ich war bei den Protestmärschen von „Fridays for Future“ dabei, auch als Mitbegründerin der Gruppe „Mothers for Climate“.“ Als Mutter denke sie noch einen Schritt weiter: „Die Mädchen, die jetzt für die Klimarettung auf die Straße gehen, tun das für ihre eigene, aber auch für die Generation meiner kleinen Tochter.“ Als Oberbürgermeisterin und Vorsitzende der Grünen ist ihr bewusst, dass sie ein Rollenvorbild ist, aber trotzdem eine gewisse Grenze ziehen muss. Schließlich müsse sie in ihrer Position grundsätzlich neutral bleiben.
Die „glücklichen Kühe“ sind eins der Probleme
Der größte Wunsch der Aktivistinnen: ein klimaneutrales Irland. „Es ist Irland in den letzten Jahren mit seinen unterschiedlichen Regierungen nicht gelungen, die Kohlenstoffemissionen zu senken“, so Beth Doherty. Die „Grüne Insel“ liegt auf Platz vier in der Pro-Kopf-Statistik der EU. Die größten Probleme sind demnach der Verkehr und die Landwirtschaft, konkret sind die irischen Milchviehherden in den vergangenen fünf Jahren um mehr als ein Viertel gewachsen.
Allein nach Deutschland exportiert die Buttermarke, die mit glücklichen irischen Kühen wirbt, 260 Millionen Butterstücke – unangefochtener Marktführer bei Markenprodukten. „Dass seit der letzten Wahl die Green Party deutlich an Stimmen zulegen konnte und mit zwölf Sitzen zu einem wichtigen Partner in den Koalitionsgesprächen mit den großen Parteien geworden ist, freut uns sehr“, sagt Jessie Sheehan.
„Unsere ersten Versuche, als „Fridays-for-Future“-Organisation mit Politikern ins Gespräch zu kommen, waren in unserer Anfangsphase oft frustrierend.“ Das ändere sich gerade langsam. Wurden vor anderthalb Jahren ihre Emails, Anrufe oder Gesprächsanfragen von vielen lokalen Parlamentsabgeordneten noch ignoriert oder mit Allgemeinplätzen beantwortet, kommt nun Bewegung in das Thema. „Die Wähler haben gezeigt, dass sie sich oft die gleichen Sorgen machen wie wir.“
Durch die Covid-19-Krise verzögert, erarbeiteten die Unterhändler im Oktober 2020 ein neues Regierungsprogramm, das festlegt, dass Irland seine Treibhausgasemissionen in den nächsten zehn Jahren um durchschnittlich mindestens sieben Prozent pro Jahr reduzieren wird. Brooke Dwyer: „Das ist nur ein Punkt auf unserer langen Liste, aber es ist ein Anfang.“ Andere Pläne der Bewegung beinhalten: weniger Müllproduktion in Privathaushalten und im Einzelhandel sowie das Thema Verkehr. Die Pandemie spielt der Natur, genauso wie in anderen Ländern, auch in Irland ungeplant in die Hände: Die Fahrrad-Verkaufszahlen sind um 32 Prozent gestiegen – und dabei handelt es sich nur um Räder, die mit Kredit- und Bankkarten bezahlt wurden.
Radwege sollen umweltfreundlich und sicher sein
„Da neben mir als Oberbürgermeisterin mit David Healy und Una Power zwei weitere Bürgermeister der verschiedenen Stadtbezirke von den Grünen sind, können wir schon viel bewegen in Sachen Verkehr und Transport“, so Hazel Chu und meint das buchstäblich. „Ob es um einen autofreien Stadtteil wie Blackrock geht oder um Straßenzüge in der Innenstadt, die nun Fußgängerzonen sind – das sind wichtige Schritte in die richtige Richtung.“ Sie berichtet von einem neuen Konzept für einige der Hauptverkehrsstraßen, bei denen es beispielsweise nur noch zwei Spuren gibt.
Die dritte Spur ist ein großzügig angelegter Radweg, gesäumt von gut sichtbaren, orange-leuchtenden, fest installierten Gummi-Begrenzungen. Denn das Konzept soll am Ende nicht nur umweltfreundlich sein, sondern auch sicher. Hinzu komme ein neues 25 Kilometer langes Radwegenetz im Süden der Stadt. Drei Hauptrouten sollen dort das sichere Radfahren zu mindestens 65 Schulen in der gesamten Gegend erleichtern und zum ersten Mal bisher getrennte Radwege miteinander verbinden. „Wir wollen die Autos von den Straßen holen, Staus vermeiden, Stress reduzieren und die Luftverschmutzung eindämmen.“
Mit Kampagnen wie diesen sollen im Übrigen auch deutlich mehr Frauen und Mädchen auf die Fahrräder geholt werden. Nur ein Viertel der Fahrradfahrer*innen in Irland sind weiblich. Bei den Teenagern ist es nur jede Zehnte. Die irische „Fridays-for-Future“-Bewegung ist dagegen vorwiegend weiblich. Beth Doherty sagt: „Wir wissen, dass weltweit Frauen und People of Colour (PoC) am meisten vom Klimawandel betroffen sind und sein werden.“
Die Zukunft muss in Irland neu gedacht werden
Den Einsatz für die Umwelt im eigenen Land dennoch als Teil einer globalen Entwicklung zu sehen beweise Solidarität und den vorausschauenden Einsatz ihres Wissens. „Natürlich betreffen Naturkatastrophen alle Geschlechter, aber die Folgen einer schleichenden Bedrohung wie des Klimawandels sind für Frauen viel umfangreicher. Zuerst werden die Frauen in den Entwicklungsländern betroffen sein – und schließlich auch wir.“
Die Aktivistinnen wollen das Pfandsystem für Getränke wieder einführen, denken aber gleichzeitig auch in großen Dimensionen und wollen beispielsweise eine eigene Organisation gründen, um ihre eigene Agenda voranzutreiben. Zwar sind die Gründen in Irland – noch – klein, aber Hazel Chu spricht auch im Amt der Oberbürgermeisterin für ihre Partei, wenn sie sagt, dass die Zukunft von allen neu gedacht werden müsse. Schließlich könne jeder Mensch bei sich anfangen, im eigenen Haushalt und in Frage stellen, ob er*sie das Auto benutzt oder beispielsweise in den Urlaub fliegt.
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