Mit 23 Jahren ist Mabely Largacha alias Mabiland eine der vielversprechendsten Künstlerinnen Kolumbiens. Sie verbindet Soul, Rock, Blues, Jazz und Hip-Hop zu Neo-Soul. Außerdem ist sie schwarz und offen lesbisch – eine Revolution in ihrem Land.
Von Katharina Wojczenko, Medellín
In ihren Liedern rappt und singt Mabiland von Liebe, Sex, Freiheit und Träumen. Bei ihren Auftritten liegt sie schon mal am Boden, weil sie so in der Musik aufgeht. Das Online-Musikmagazin „Noisey“ aus dem Hause „Vice“ nennt sie die „Rebellin des kolumbianischen Soul“. Mabiland klingt wie die Straßen von Medellín: urban, roh, hart, herzlich – und aus jeder Ecke dröhnt eine andere Musik. Ihre Stimme ist rau und samtig zugleich.
Auf Instagram posiert sie gern mit ernster Miene, Riesenbrille, bemalter Leder- oder Kunstpelzjacke. In natura ist Mabiland, von Freunden Mabi genannt, zierlich, ungeschminkt und hat die drahtige Statur einer Ausdauerläuferin. Sie sitzt in schwarzer Jogginghose und Sport-BH auf der Terrasse ihrer Wohnung in Medellín. Die kurzgeschorenen Haare sind zurzeit rosa. Ihr Wortfluss kennt keine Pause und sie lacht so, dass die neongelben Kreolen an den Ohren wackeln. Sie strahlt eine Energie aus, als ob sie jeden Moment aufspringen und die Welt erobern würde.
2015 veröffentlichte sie fünf Lieder unter dem Namen „Ciclos“ auf YouTube. Nach fünf Monaten lud sie ein Redakteur vom größten unabhängigen Musikradiosender Kolumbiens, „Radiónica“, in die Sendung ein. Von da an ging es rasant aufwärts. Die Zeitung „El Colombiano“ kürte das Lied zu einem der besten 20 Veröffentlichungen des Jahres.
Ihr Debütalbum „1995“, benannt nach ihrem Geburtsjahr, erschien im März 2018. Zur Arbeit am Album und für die Entwicklung ihrer Band nahm sie sich ein Jahr Auszeit vom Studium. „Das ist das Riskanteste, was ich bis heute gemacht habe“, sagt die Musikerin rückblickend und erinnert an eine Zeile aus ihrem Lied „El Club de la Pelea“: „Ich werde alles erreichen, weil ich auf alles oder nichts setze.“
Ihr gesamtes Erspartes und ein Produktionsstipendium der Stadt Medellín hat sie in das Projekt Mabiland gesteckt: „Ich weiß, das Geld bekomme ich zurück. Ich habe immer an mich und das Projekt geglaubt.“ Genau diese Mischung aus Herz und Strategie wendet sie auch bei Kooperationen an. So nahm sie als Gast-Sängerin das Lied „La mitad de la mitad“ mit dem bekannten Medellíner Rapper Crudo Means Raw auf. Das Video wurde über eine Million Mal auf YouTube angeschaut – was dazu führte, dass sie einem noch größeren Publikum bekannt wurde.
Vor allem aber entwickelte sich eine Freundschaft zwischen den beiden, die sie künstlerisch weiterbrachte. „Crudo respektiert Frauen“, sagt die Musikerin. Sie ist eine Frau, schwarz und lesbisch. In Kolumbien sind die meisten Rapper weiß, männlich und betont heterosexuell. Rassismus und Vorurteile gibt es – wenn auch in geringerem Maße – ebenfalls unter Künstlern, musste Mabiland erfahren. Da wird oft gesagt, dass das gute Arbeit sei, obwohl es von einer Frau komme. Gleichzeitig kritisiert sie, dass die kolumbianischen Musikerinnen zu wenig zusammenhalten – gerade angesichts der Macho-Kultur.
Sie sagt: „Die Musikerinnen sehen sich als Konkurrentinnen statt als Kolleginnen. Das ist der schlimmste Fehler. Wir Frauen aus Kolumbien müssen mehr daran denken, Musik für die Welt zu machen. Und wenn wir keine Angebote bekommen, müssen wir sagen: Dann gehen wir halt selbst auf Tour!“
Direkt aus dem Armenhaus Kolumbiens
Als Mabely Largacha wuchs sie in einem rauen Viertel in Quibdó auf, der Hauptstadt der Pazifik-Region Chocó. Diese ist mit ihren Regenwäldern und einsamen Stränden malerisch schön. Gleichzeitig ist sie die ärmste Kolumbiens. Die meisten Orte sind nur per Flugzeug oder Boot zu erreichen. Illegaler Bergbau und Abholzungen gefährden die Umwelt, kriminelle Drogenbanden und Guerillas sind hier immer noch aktiv.
Ihr Vater war Politikberater, die Mutter Sozialarbeiterin. Sie trennten sich als Mabely sechs Jahre alt war. Dank ihrer Arbeit konnte die Mutter ihr regelmäßig ausgemusterte Bücher mitbringen und so wurde die Literatur zu ihrer ersten großen Liebe. Mit zwölf Jahren fing sie an, Gedichte zu schreiben. Jahre später wurden daraus Liedtexte.
Ihre zweite große Liebe war die Musik. Ihre Eltern hörten ungewöhnlicherweise viel Soul und Jazz: Louis Armstrong, Ella Fitzgerald, Aretha Franklin, Destiny’s Child, Tupac. In dem folkloristisch geprägten Quibdó hört man eher Salsa, aber auch Rap und Reggae. Die härtesten Hip-Hop-Battles fanden im Haus ihrer Großmutter statt, weil dort ihr Cousin wohnte. Doch an die Hip-Hop-Kultur fand sie keinen Anschluss: „Das waren nur Männer. Ich habe viele Texte geschrieben, aber sie nahmen mich nicht ernst, weil sie nicht von irgendwelchen Schießereien handelten.“
Stattdessen begeisterte sie sich für Whitney Houston, Amy Winehouse, Rihanna und Jean-Michel Basquiat, dessen Krönchen mit den drei Punkten sie sich auf den Arm tätowieren ließ und die bis heute ihr Markenzeichen ist. Alle sind Künstler*innen, die es nicht einfach in ihrem Leben hatten und mit denen sie sich identifiziert: Weil sie in ihrer Jugend Gewalt und Armut gesehen hat; vor allem aber, weil sie das Gefühl kennt, am falschen Ort zu sein. „Ich war immer seltsam. Ich habe nie hingepasst“, sagt Mabiland. Zumal sie gemerkt hatte, dass sie Frauen anziehender findet als Männer und sich deshalb nicht verstecken wollte. Deshalb wusste sie bald, sie muss weg von dort.
Als sie mit 17 Jahren zum Studieren in die Millionenstadt Medellín kam, bedeutete das für sie in jeder Hinsicht Freiheit. Ihre Eltern unterstützten sie finanziell, aber nur unter einer Bedingung: „Wenn du ein Semester nicht bestehst, holen wir dich zurück.“ Als sie im zweiten Semester durch einen Kurs zu fallen drohte, bot ihr die Dozentin an, mit Extraarbeit ihre Note zu retten. Sie schrieb ein Lied für einen Uniwettbewerb. Dass sie das am Ende vor 1.000 Leuten im Auditorium selbst würde vortragen müsse, hatte ihr niemand gesagt. Doch am Ende war da dieses einzigartige Gefühl: „Das will ich machen, solange es geht. Dafür bin ich hergekommen.“
Trotzdem waren die Anfänge hart. Sie trat in Bars auf, um Geld zu verdienen – nicht selten waren es drei an einem Abend. Später fand sie Musiker*innen, die ihre Band und Freunde wurden. Ihr Stil nennt sich Neo-Soul, weil sie Elemente des traditionellen Soul wie selbstgeschriebene Texte und echte Instrumente mit Neuem verbindet.
Dabei entpuppte sich das Studium der audiovisuellen Kommunikation als das Beste, das ihr passieren konnte. Denn sie setze das, was sie an der Uni lernte, direkt mit 19 Jahren um und produzierte Musikvideos, plante Veranstaltungen und berechnete ihr Budget: „Ich kam mit einer eher revolutionären Mentalität an die Uni, aber mir wurde klar: Das funktioniert nicht, wenn ich nicht weiß, wie ich meine Ideen einsetze, um Dinge zu verändern.“
Als sie mit Mabiland anfing, wollte sie endlich frei ausleben, wer sie ist. Doch als sie sich als schwarze, lesbische Frau und als Künstlerin zeigte, sei das für Kolumbien ziemlich ungewöhnlich gewesen. Sie merkte, dass ihr Auftreten Unbehagen auslöste. Das war der Moment, in dem sie das in ihrer Musik aufgreifen wollte. „Wenn ich schonungslos offen erzähle, wer ich bin, dann löse ich beim weiblichen wie männlichen Publikum, das sich damit identifiziert, eine kleine Revolution aus“, sagt Mabiland. „Ich glaube, Musik ist eine immense Macht, um etwas zu verändern.“
Mittlerweile lebt sie von ihrer Musik. Das umfasst Konzert, aber auch Werbeauftritte und Videoproduktionen. Ihre Band hat immer mehr Fans, die sogar CDs kaufen, wie sie fast ungläubig erzählt. Gleichzeitig ist sie bei den einschlägigen Streamingportalen zu hören. Bei „Spotify“ beispielsweise hat sie jeden Monat mehr als registrierte 37.000 Hörer*innen.
Mabiland ist nicht nur Musikerin, sondern trägt auch die künstlerische und finanzielle Verantwortung für die Band. Wenn das Geld knapp ist, zahlt sie sich selbst erst ein Gehalt aus, bis ein größeres Projekt kommt. 2019 wird sie zum ersten Mal im Ausland touren: in Mexiko, Texas, Peru, Ecuador, Spanien und Großbritannien. Doch das ist kein Grund abzuheben. Ihren Uni-Abschluss will sie auf jeden Fall noch machen, um ihren Eltern zu zeigen, dass sich ihre Mühe gelohnt hat.
Gleichzeitig ist klar, dass ihre Band gerade die höchste Priorität genießt: „Wenn du als Musiker*in nicht den Moment nutzt, ist es schwierig. Ich habe das bei anderen Projekten mitbekommen. Da sagte einer: Es läuft gerade richtig gut, aber ich muss erst noch was anderes machen – und als sie anknüpfen wollten, hatte sich die Energie in der Band verändert.“ Deshalb will sie in nächster Zeit vor allem eins: auf ihrer persönlichen Erfolgswelle reiten.