Sie war Friseurin, dann Sozialarbeiterin. Aufgewachsen ist Dalal Mahra nicht religiös, für das Kopftuch hat sich die 30-jährige Berlinerin bewusst entschieden. Nun hat sie mit „Kopftuchmädchen“ ein Medienprojekt gegründet, das Stereotype aufbrechen und Facetten zeigen will.
Von Anne Klesse, Hamburg
Wer bei „Kopftuchmädchen“ an unterdrückte Frauen denkt, kennt Dalal Mahra nicht. Die Berlinerin trägt ihr Kopftuch selbstbewusst und in bunten Farben, mal zur Adidas-Jacke, dann zur wild gemusterten Bluse. Dabei spielt es keine Rolle, ob ihr Haar zu sehen ist oder nicht – würde ihr Job nicht genau das thematisieren: Mit „Kopftuchmädchen“ hat sie im Mai 2020, gemeinsam mit Fatima El Sayed und Dilara lker, ein Medienprojekt geschaffen, das mit seinem Namen zwar gängige Ressentiments aufgreift, diese aber inhaltlich widerlegen will.
Das Ziel: authentische Einblicke in die Lebenswelten muslimischer Frauen in Deutschland bieten. Ihre Vision sei es, „die Medienlandschaft nachhaltig mitzugestalten, dem stereotypischen Bild muslimischer Frauen in den Mainstream-Medien entgegenzuwirken und ein ernstzunehmender Player in den digitalen Medien zu werden“, sagt Mahra. Mit dem Begriff „Mainstream-Medien“ übernimmt sie wie mit „Kopftuchmädchen“ – diesmal jedoch unbewusst – den Sprachduktus, der sonst eher im rechten politischen Spektrum zu finden ist.
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„Laut, vielfältig, ungebremst“ wollen die drei Macherinnen sein. Auf Instagram posten sie „Powerfrauen“-Kurzporträts, Videos und Beiträge zu ganz unterschiedlichen Themen wie Feminismus im Islam, muslimischen Feiertagen, Buchtipps, dem Anschlag in Hanau oder der Istanbul-Konvention zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt an Frauen.
Mit „Küss Mich Kismet“ gibt es einen Podcast über „muslimisches Dating“ und außerdem neuerdings einen eigenen YouTube-Kanal. Zielgruppe sind „alle, die ihren Horizont erweitern wollen und interessiert an der muslimischen Community in Deutschland sind“. Mittlerweile mehr als 5.200 Instagram-Abonnent*innen und eine wachsende Zahl an Zuschauer*innen und Zuhörer*innen zeigen: Sie treffen einen Nerv.
Provokanter Name, der Aufmerksamkeit bringt
Berührungsängste gibt es nicht, das zeigt schon der Name: 2009 hatte der damalige SPD-Politiker Thilo Sarrazin in einem Interview mit dem Kulturmagazin „Lettre International“ gesagt: „Ich muss niemanden anerkennen, der vom Staat lebt, diesen Staat ablehnt, für die Ausbildung seiner Kinder nicht vernünftig sorgt und ständig neue kleine Kopftuchmädchen produziert.“ Die Aussage sorgte für viel Wirbel und schlussendlich für den Parteiausschluss des Politikers.
Knapp zehn Jahre später sprach die AfD-Bundestagsfraktionsvorsitzende Alice Weidel im Bundestag über „Burkas, Kopftuchmädchen und alimentierte Messermänner und sonstige Taugenichtse“. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble rief sie daraufhin zur Ordnung, da die Äußerung eine Herabwürdigung aller Frauen sei, die ein Kopftuch trügen.
Dalal Mahra hat mit Absicht genau diese Bezeichnung gewählt: „Ich dachte: Wir werden ohnehin so genannt; wäre es nicht cool, wenn wir den Begriff umframen, ihm einen anderen Inhalt geben und den negativen Assoziationen etwas entgegenstellen?“ Wer den Begriff in Suchmaschinen eingebe, solle künftig statt auf die verachtenden Äußerungen von Populist*innen auf ihr Projekt stoßen. Das ist ihr gelungen: Das Instagram-Profil von „Kopftuchmädchen“ taucht bei Google aktuell als zweiter Treffer auf.
Das Projekt ist eines von acht Startups, die im Frühjahr 2021 für das „Media Startup Fellowship“ des Media Lab Bayern ausgewählt wurden und neun Monate lang professionelle Begleitung erhalten. „Diversität, Inklusion und die Repräsentanz aller gesellschaftlichen Gruppen“ habe für die Auswahl eine große Rolle gespielt, sagt Programm-Managerin Lena Jakat.
„Das Content-Startup Kopftuchmädchen berichtet mit emanzipiertem, authentischem Blick über Musliminnen in Deutschland und sorgt so dafür, dass das öffentliche Bild unserer Gesellschaft akkurater wird. Ganz nebenbei will das Team den Kampfbegriff ‚Kopftuchmädchen’ von den Rechten zurückerobern und zum Slogan für Empowerment machen. Ich finde das sehr mutig und richtig cool“, so Jakat.
Interreligös, aber nicht unpolitisch
Unpolitisch ist der Kanal nicht: Im Israel-Gaza-Konflikt, der sich im April 2021 im vor allem von Araber*innen bewohnten Jerusalemer Stadtteil „Scheich Dscharrah“ entzündete, zeigten mehrere Postings Solidarität mit den Palästinenser*innen und muslimischen Einwohner*innen Jerusalems. Zu dem Foto einer festgenommenen Demonstrantin heißt es auf Instagram: „Palästinas Powerfrauen, die auf die Straße gehen, um für ihre Rechte zu kämpfen. Wir sind stolz auf unsere Schwestern. Möge Allah unsere palästinensischen Geschwister beschützen und ihnen weiterhin Geduld und Kraft geben.“ Dafür gab es neben Zustimmung in den Kommentaren auch Kritik.
Andererseits wird immer wieder auch der interreligiöse Dialog gesucht. Auf YouTube gibt es ein Videointerview von Mahra mit der Jüdin Elina Krass zum Thema Kopfbedeckungen im Islam und Judentum. Die beiden Frauen sprechen unter anderem über das „Gesetz zur Regelung des Erscheinungsbildes von Beamtinnen und Beamten“, das im Frühjahr 2021 vom Bundestag beschlossen wurde. „Wir haben einfach jüdische Menschen, muslimische Menschen, Menschen, die Sikh sind in Deutschland und auch noch ganz viele andere Vielfältigkeiten“, sagt Mahra da. Diese Vielfältigkeit – auch optisch – zu unterdrücken, mache keinen Sinn.
Arbeitgeber erlaubte ihr nicht, Kopftuch zu tragen
Rückblick: Dalal Mahra ist in Berlin aufgewachsen. In der Schulzeit spielte sie viel Theater, sie interessiert sich für Poesie, ist sportlich, trainiert die israelische Kampfsportart Krav Maga und tanzt. Sie ist eine selbstbewusste Frau – auch im wörtlichen Sinn – sie macht sich viele Gedanken darüber, wer sie ist, wo ihr Platz in dieser Gesellschaft ist, wie sie leben möchte. „Kopftuchmädchen“ habe viel mit ihrer eigenen Biografie zu tun, sagt sie.
Während ihrer Ausbildung zur Friseurin sei der Wunsch in ihr gewachsen, Kopftuch zu tragen. „Das Kopftuch“, betont sie. Denn das Stück Stoff sei mehr als irgendein Tuch. „Für mich war es ein feministischer Akt, ich wollte selbst entscheiden, was ich von mir zeige und was nicht.“ Sie sei nicht religiös aufgewachsen, weder ihre Mutter noch ihre beiden Schwestern tragen Kopftuch. „Mich für das Kopftuch zu entscheiden war ein starker Akt von Selbstbestimmung.“
Ihr damaliger Arbeitgeber habe jedoch nicht erlaubt, dass sie es im Frisiersalon trug mit der Begründung, er wolle keine politischen oder religiösen Symbole. „Das war für mich wie ein Schlag ins Gesicht“, erinnert sich Mahra. „Es heißt ja immer, dies sei ein freies Land, jeder Mensch könne sein und sich anziehen, wie er möchte. Aber genau da ist die Grenze.“ Die Ausbildung schloss sie noch ab. Am Tag nach der Gesell*innenprüfung zog sie das Kopftuch an und legte es nicht wieder ab. Da war sie 21.
Nun ist sie 30 Jahre alt und hat mit ihrem Medien-Startup einen zweiten Befreiungsschlag zu diesem Thema hingelegt. Vorausgegangen war eine Art Kopftuch-Krise. „Vor etwa zwei Jahren habe ich darüber nachgedacht, ob ich es doch wieder ablege.“ Nach einem Auslandspraktikum in Großbritannien war sie nach Deutschland zurückgekehrt und erschrocken darüber, wie wenig präsent hier Frauen mit Kopftuch im öffentlichen Leben sind. „Auf einmal wurde ich ständig angeglotzt, daran war ich nicht mehr gewöhnt.“ Jemand habe ihr auf der Straße „Kopftuchschlampe“ hinterhergerufen. Das fand Mahra zwar feige, aber es verletzte sie trotzdem.
Auch in der muslimischen Community selbst wird getuschelt
Sie habe es dann eine Zeit lang auf eine Art gewickelt getragen, sodass es nicht mehr eindeutig nach muslimischem Kopftuch ausgesehen habe. „Das war überhaupt nicht selbstbestimmt, sondern passierte nur aufgrund des gesellschaftlichen Drucks, den ich gespürt habe“, erinnert sie sich. Auch in der muslimischen Community selbst, sagt Mahra, werde viel geredet: Darüber, wie Frauen sich anziehen, ob und wie sie ihr Kopftuch tragen oder wenn sie keines tragen. Mahra findet: „Besser als übereinander zu reden ist es immer, einfach mal zu fragen.“
Fragen stellt sie nun selbst – in ihren Interviews, im Podcast. Das Thema muslimisches Dating habe sie aufgegriffen, weil sie selbst „Single mit viel Datingerfahrung“ sei. Rund 200 Zuhörer*innen hat der Podcast pro Folge, darunter offenbar viele Nicht-Muslim*innen, das erkenne sie am Feedback. Die Kenntnisse für ihre Social-Media-Arbeit hat sie sich selbst beigebracht. Nach der Friseur*innenlehre studierte sie Soziale Arbeit, 2018 machte sie ihren Bachelor und arbeitete anschließend in der Migrationsberatung und in der Familienhilfe. Sie hatte immer viel mit Menschen zu tun; das kommt ihr nun beim Vernetzen zugute.
In den USA gibt es den Blog „Muslim Girl“, den habe sie cool gefunden und als Vorbild für ihre Idee genommen, die ihr während einer längeren Krankschreibung kam. Für die Gründung kündigte sie ihren Job. Mittlerweile arbeitet sie wieder 20 Stunden die Woche in der Familienhilfe. Denn wie bei den meisten Medien-Startups dauert es einige Zeit, bis man*frau damit Geld verdienen kann. Für die Zukunft hofft Mahra aber, über Mitgliedschaften, Kooperationen, Merchandising und andere Möglichkeiten ihr Projekt monetarisieren zu können.
Die Motivation weiterzumachen ist nach wie vor hoch, Gründe gibt es genug. „Ich habe das Gefühl, der antimuslimische Rassismus wird immer stärker“, sagt Mahra. „Kopftuchmädchen“ sei für sie auch eine feministische Bewegung. „Frauen sind ohnehin schon benachteiligt. Muslimische Frauen mit Kopftuch haben es noch schwerer – sie werden auf dem Arbeitsmarkt und auch bei der Wohnungssuche oft diskriminiert. Wir erleben viel Ablehnung, manche sogar Übergriffe. Dabei gibt es so viele coole Frauen, die etwas zu sagen haben.“ Dabei geht es auch um Frauen, die kein Kopftuch tragen. Sie finden bei „Kopftuchmädchen“ immer eine offene Tür.
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