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Chancen und Grenzen der Inselfrauen
Gleichberechtigung in Malta

20. Januar 2021 | Von Christine Memminger
Transgender-Model Karly May bezeichnet ihren eigenen Lebensweg als „glücklich“ und „privilegiert“. Foto: Matthew Spiteri

Malta hat einige der progressivsten LGBTQI-Gesetze der Welt und damit Vorbildcharakter. Trotzdem sind die Einwohner*innen des Inselstaates nicht überall gleichberechtigt. Das merken vor allem Frauen, die Karriere machen wollen.

Von Christine Memminger, Barcelona / Valletta

Der kleinste und südlichste Mitgliedsstaat stellt die EU-Kommissarin für Gleichberechtigung. Überrascht? Denn eigentlich sind doch die großen nordischen Länder wie Schweden und Finnland für ihre erfolgreiche Gender-Politik bekannt. Es hat aber einen guten Grund, dass mit Helena Dalli seit 2019 eine Malteserin auf EU-Ebene dafür verantwortlich ist: Kaum ein*e Politiker*in hat in den vergangenen Jahren so viel in diesem Bereich erreicht wie sie.

Während ihrer Zeit als Ministerin für Bürgerrechte wurde in Malta die Ehe für alle legalisiert, Konversionstherapie verboten und das Recht auf eine selbstbestimmte Geschlechtsbezeichnung eingeführt – gegen den Widerstand der katholischen Kirche, die dort großen Einfluss hat. Das kleinste Land der EU hat seit 2015 einige der progressivsten LGBTQI-Gesetze der Welt.

„Dafür bin ich sehr dankbar“, sagt Transgender-Model Karly May. „Vor allem, weil man jetzt das Geschlecht in den offiziellen Papieren ändern kann, ohne sich operieren oder psychologisch begutachten lassen zu müssen.“ Seit 2015 reicht das einfache Ausfüllen eines Formulars bei der zuständigen Behörde, um die offizielle Geschlechtsbezeichnung sowie Vor- und Nachnamen zu ändern. Männlich, weiblich oder divers – das können Volljährige selbst entscheiden.

Karly May hat im Alltag ein „sichereres Gefühl“ seit in ihrem Ausweis „weiblich“ steht: „Wenn du zum Beispiel beim Autofahren gestoppt wirst und deinen Führerschein zeigen musst. Da denkst du sonst immer: Oh nein, wie wird diese Person es auffassen? Werde ich vielleicht diskriminiert, weil ich anders bin, weil das Geschlecht auf dem Ausweis nicht mit dem zusammenpasst, wie ich aussehe?“ Ihren eigenen Lebensweg bezeichnet May als „glücklich“ und „privilegiert“. Beleidigung oder gewalttätige Übergriffe hat sie noch nicht erlebt.

Porträt Karly May (Foto: privat).

Mit der Unterstützung ihres privaten Umfeldes wagte sie 2018 den Schritt in die Öffentlichkeit und lief als erste Transfrau auf der maltesischen Fashionweek. Verschiedene Cover, Bildstrecken und Fernsehauftritte folgten. Seitdem wird die hochgewachsene Brünette mit den blondierten Haarspitzen, markanten Augenbrauen und dem stets perfekten Make-up auch auf der Straße von Passant*innen erkannt. Auf Social-Media-Kanälen wie Instagram hat sie jetzt mit Ende 20 den Status einer nationalen Influencerin. Sie ist Aktivistin, Organisatorin der zentralen Pride-Veranstaltungen und sitzt seit Kurzem im externen LGBTQI-Beirat der Regierung.

Der Beirat trifft sich seit 2013 monatlich, hat 17 Mitglieder und ist damit genauso stark vertreten wie beispielsweise der Landwirtschaftsbeirat. May fühlt sich mit den Anliegen ihrer Community dort gut aufgehoben und lobt die schnelle Umsetzung von entsprechenden Vorschlägen. „Wir müssen uns jetzt um Bildung und Forschung kümmern“, sagt sie. „Die Gesetze haben sich geändert, aber die Mentalität der Bevölkerung noch nicht.“ Sie selbst will ihre Abschlussarbeit an der Universität über Diskriminierung von Transfrauen am Arbeitsmarkt schreiben.

Einer der vielen Bereiche, die in Malta bisher nicht wissenschaftlich erfasst, wenn überhaupt offen angesprochen werden. „Als Transfrau gibt es da diese feine Linie“, erklärt May: „Wirst du als Frau diskriminiert oder als Transsexuelle? Oder bist du tatsächlich nicht qualifiziert für den Job?“ Gewalt und öffentliche Angriffe sind extrem selten, das eigentliche Problem sind konservative Verhaltensmuster im Alltag.

Erzkatholisches Land mit Reformwillen

Denn die meisten Malteser*innen leben nach einem erzkatholisch geprägten Familienmodell. Es herrscht beispielsweise ein striktes Abtreibungsverbot. Der Katholizismus ist als Staatsreligion festgeschrieben und viele Traditionen passen so gar nicht zu den progressiven Gesetzen. Dazu kommt, dass auf den Inseln mit nur knapp 500.000 Einwohner*innen so gut wie jede*r jede*n kennt. „Ich bin katholisch erzogen, hatte Kommunion und Firmung – so wie die meisten hier“, erzählt Karly May. „Aber zum Glück haben viele Malteser*innen verstanden, dass man nichts dafür kann, wenn man mit dem falschen Geschlecht geboren wurde.“

Auf dem Banner rechts ist EU-Kommissarin Helena Dalli zu sehen (Foto: Christine Memminger).

Am Weltfrauentag 2020 wurde auf großen Bannern vor den Toren der Hauptstadt Valletta den Vorkämpferinnen der Frauen- und LGBTQI-Rechte gehuldigt. Selbstverständlich war darauf auch ganz zentral EU-Kommissarin Helena Dalli zu sehen. Der Reformwille der Regierung und das politische Vermächtnis Dallis schlagen sich inzwischen auch in Zahlen nieder. Laut EU-Gleichberechtigungs-Index 2020 belegt Malta Rang 15 und liegt damit europaweit nur knapp hinter Deutschland im Mittelfeld.

Schneller als alle anderen Staaten verbessert Malta seine Performance und bietet vor allem gleiche Bildungschancen und einen Zugang zum Gesundheitssystem für alle. Auch Gleichberechtigung am Arbeitsmarkt und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie haben sich in den letzten Jahren deutlich verbessert. Trotzdem verdienen Frauen im Durchschnitt 15 Prozent weniger als Männer und kümmern sich doppelt so oft um Care-Arbeit oder bleiben für die Erziehung ganz zu Hause.

Kaum Frauen in Führungspositionen

Im europaweiten Vergleich fällt vor allem ein Bereich auf, in dem Frauen noch immer deutlich unterrepräsentiert sind: Führungspositionen. Zwischen 80 und 90 Prozent aller maltesischen Politiker*innen und Vorsitzenden der größten Unternehmen sind Männer. Die Entwicklung hin zu mehr Gleichberechtigung auf diesem Gebiet sind minimal und so schlecht wie in kaum einem anderen europäischen Land. „Das hat vor allem kulturelle Gründe“, meint Nadia Pace.

Nadia Pace (links) bei einer Podiumsdiskussion.

Sie ist eine der wenigen Ausnahmen, die es in ihrer Karriere bis ganz nach oben geschafft hat. „Maltesische Frauen legen eher Priorität darauf, eine Familie zu gründen, als sich auf die Karriere zu konzentrieren. Viele vertrauen nicht darauf, dass sie auch höhere Positionen besetzen können.“ Nadia Pace war jahrelang Geschäftsführerin der maltesischen „World Aviation Group“ und hat inzwischen ihre eigene Firma namens „Pace Company“ gegründet. Mit dieser berät sie kleine und mittelständische Unternehmen unter anderem darin, wie sie ihre Führungsetagen neu strukturieren können.

„Viele wissen einfach nicht, dass auch Frauen in Vorständen sitzen können. Was dort ihre Aufgaben wären und wie sie sich verhalten sollen“, sagt die 40-Jährige. Sie selbst habe bereits von ihrer Mutter, einer Krankenschwester, vorgelebt bekommen, dass auch Frauen die Hauptverdiener*innen der Familie sein können.

„Um ehrlich zu sein, habe ich meine Inspiration aber vor allem im Ausland bekommen“, erzählt Pace und weist darauf hin, dass sie natürlich trotzdem stolze Malteserin sei. Während ihres Masterstudiums lebte sie in Griechenland, später arbeitete sie für internationale Unternehmen und fand ihre beruflichen Mentorinnen in der Schweiz und Australien. Jungen Frauen rät sie, ebenfalls den Blick ins Ausland zu öffnen, um ihre Träume zu verwirklichen.

Wer kocht Kaffee?

Ihre eigenen maltesischen Freundinnen hätten in den vergangenen Jahren alle Kinder bekommen und Pace oft gedrängt, sesshaft zu werden und eine Familie zu gründen. Der „kulturelle Druck“ sei sehr stark gewesen, erzählt sie. Trotzdem entschied sich Pace dagegen und ist heute kinderlos glücklich – ein Fehler in den Augen ihrer Freundinnen. „Die haben ihre Meinung bis heute nicht geändert“, sagt sie. „Aber wir erleben auf Malta eine Bewegung hin zu mehr ausländischen Menschen, die hier arbeiten und leben. Das ist eine schöne Mischung, auch bezüglich der Einstellung.“

Nadia Pace hat es in ihrer Karriere ganz nach oben geschafft (Foto: Christine Memminger).

Mit ihnen tauscht sie sich auf Netzwerkveranstaltungen oft und gerne aus. Allerdings hält Nadia Pace nichts von einer gesetzlich vorgegebenen Frauenquote für Führungspositionen, die immer mehr fordern. Ihr eigener Erfolg sei Ergebnis ihrer Arbeit. Deshalb sollten ihrer Meinung nach auch Unternehmen ausschließlich auf Leistung achten. Dabei könnte die maltesische Regierung ein Beispiel setzen und gezielt Frauen für öffentliche Führungsgremien nominieren. „Besser, als die Posten wegen politischer Ausrichtung zu vergeben oder weil jemand bestimmte Beziehungen hat“, so Pace. Genügend talentierte Beamtinnen gäbe es, jedoch bisher nur selten an der Spitze der Behörden.

Das heißt, es fehlt an Vorbildern und Routine. Sie beschreibt das Gefühl, als einzige Frau unter Männern in einem Führungsgremium zu sitzen: „Du betrittst den Raum und bist ,Die Frau’“, sagt Pace. „Und wenn in der Pause Kaffee gekocht werden muss, gehen sie ganz automatisch davon aus, dass ich den mache.“ Sie versuche in solchen Situationen einen Witz zu machen, aber Kaffee gekocht habe sie doch oft. Je älter sie werde, desto mehr rücke ihre Kompetenz jetzt in den Mittelpunkt. Pace beobachtet einen langsamen Wandel, sagt aber: „Es muss noch viel getan werden.“

Screenshot EU-Gleichberechtigungs-Index Malta.

Transparenzhinweis: Spanien-Korrespondentin Christine Memminger begann die Recherche zu diesem Artikel Anfang 2020 in Malta. Das Interview mit Nadia Pace führte sie im März 2020, kurz bevor sie wegen der Corona-Pandemie die Insel verließ. Das Interview mit Karly May folgte dann per Videochat einige Monate später.

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Von Christine Memminger, Barcelona

Christine Memminger bezeichnet sich selbst als Münchner Kindl mit spanischen Gewohnheiten. Derzeit lebt sie in Barcelona und arbeitet dort als freie Journalistin für Radio, Online und Print. Sie hat in Eichstätt Journalistik und in Barcelona Europäische Integration studiert, beim Bayerischen Rundfunk volontiert und stets großes Interesse an gesellschaftspolitischen Themen. Mehr unter: www.fraubarcelona.wordpress.com.

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