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Bin ich schön?
Schönheitsideale in den USA

10. November 2024 | Von Marinela Potor | 10 Minuten Lesezeit
Samantha Barash musste erst lernen, ein positives Verhältnis zum Essen ihrer Kultur und zu ihrem Körper zu entwickeln. Fotos: Marinela Potor

Mittelgroß, schmale Hüften, kleiner Po, leicht rundlicher Busen: Das ist nach wie vor das dominierende weibliche Schönheitsideal in den USA. Es klingt wie eine Klischee-Beschreibung einer westeuropäischen Frau. Viele Amerikanerinnen kämpfen damit – bis sie erkennen: Sie sind nicht das Problem. 

Von Marinela Potor, Detroit

 

Zusammenfassung:

Viele US-Amerikanerinnen kämpfen mit einem Schönheitsideal, das oft unrealistisch ist, besonders für Frauen mit nicht-weißer Herkunft. Frauen wie Samantha Barash und Alexa Piedra erlebten durch Medien und gesellschaftliche Normen eine Entfremdung vom eigenen Körper. Der Einfluss westlich-europäischer Ess- und Schönheitsstandards prägt früh, was als „gesund“ und „schön“ gilt, was wiederum zu negativen Körperbildern und Essstörungen führen kann. Barash gründete „Tap into Nutrition“, um Frauen zu einem gesünderen Selbstbild und einem liebevollen Verhältnis zum eigenen Körper zu verhelfen.

 

Schon als junges Mädchen war Samantha Barash bewusst, dass sie anders war. Sie ist im Detroiter Vorort Farmington Hills aufgewachsen, in dem mehrheitlich Weiße* Familien leben. Mit ihren dunklen Locken und ihrer braunen Haut stach sie optisch heraus. Doch für sie war es insbesondere das Essen, das sie von ihren Mitschüler*innen unterschied. Ihre Familie stammt aus dem Irak und Palästina. 

Entsprechend waren die Mahlzeiten im Elternhaus von diesen Kulturen geprägt. „Zuhause gab es Reis, viele Gewürze, Suppen. Das war sehr fremd im Vergleich zum amerikanischen Essen und das wollte ich darum nicht mit zur Schule nehmen. Ich wollte dazugehören und habe mir für die Pausen, typisch amerikanisch, Brote mit Erdnussbutter und Marmelade geschmiert.“ 

Obwohl es in und um Detroit viele Eingewanderte und eine entsprechend vielseitige Essenskultur gibt, werden Gerichte immer noch nach amerikanisch und nicht-amerikanisch kategorisiert. Für Samantha Barash wurde so schon früh die Ernährung ein Faktor, mit dem sie ihre Verbindung zur US-Kultur verknüpfte. „Das Gleiche zu essen wie andere erzeugt ein Gefühl der Zugehörigkeit.“ 

Moralische Überlegenheit durch Essen

Gleichzeitig merkte sie, dass die Gerichte, die ihre Familie aß, wie weißer Reis, rotes Fleisch, Weißbrot oder zuckersüße Nachspeisen, in den USA als ungesund galten. „Uns wird schon sehr früh beigebracht, durch Zeitschriften, Fernsehen, aber auch im Gesundheitsunterricht in der Schule, dass bestimmte Gerichte, wie Hähnchen, Brokkoli oder Vollkornreis, eine moralische Überlegenheit haben. Das ist eine sehr Weiße, europäische Perspektive, aber das reflektierst du natürlich nicht als Kind, sondern nimmst das als Wahrheit an.“

Oben: In Detroit leitet Samantha Barash ihre Gesundheitspraxis „Tap into Nutrition“.
Unten: Samantha Barash ermutigt Patient*innen sich im Hier und Jetzt zu akzeptieren.

So fing Samantha Barash als Jugendliche an, die Gerichte, die ihre Mutter und Großmutter zubereiten, abzulehnen. „Es war nicht so, als hätte ich zu Hause nicht mehr gegessen. Aber ich hatte immer ein schlechtes Gewissen. Ich dachte immer, ich sollte das alles nicht essen. Ich war ständig gestresst, weil ich dachte, dass ich mich sehr ungesund ernähre.“

Irgendwann übertrug sich das auch auf ihr Äußeres. Obwohl niemand ihr direkt etwas sagte, hatte sie das Gefühl, dass sie ihren Körper in eine bestimmte Form bringen musste: am besten schlank mit schmalen Hüften und nicht allzu viel Busen – so wie ihre Weißen Mitschülerinnen. 

Unrealistisches Schönheitsideal 

Dieses Schönheitsideal ist schon für viele Weiße Frauen unrealistisch. Doch für Braune und Schwarze Frauen, deren Körper meistens ganz anders gebaut sind, ist das eine enorme Belastung. Denn letztlich können weder Diät noch Sport sie so aussehen lassen, wie die Gesellschaft es als „perfekt“ bezeichnet. Das führt häufig zu einem negativen Körperbild, einem ungesunden Verhältnis zu Ernährung und im Extremfall zu Krankheiten wie Sportsucht oder Essstörungen. 

 

Mehr Informationen: 

Obwohl das Konzept von „Rassen“ problematisch ist und als gesellschaftliches und soziales Konstrukt zu Machtmissbrauch und Diskriminierung führt, ist „race“ in den USA eine gängige demografische Kategorie. Auch wenn „Rasse“ in den USA durchaus als künstliches Konstrukt verstanden wird, beeinflusst sie die Lebensrealität der Menschen.

Der US-Zensus sowie viele Institutionen und Unternehmen erheben darum entsprechende Statistiken, um so systematische Diskriminierung und Benachteiligungen bestimmter Bevölkerungsgruppen nachweisen zu können. US-Amerikaner*innen nutzen diese Kategorien auch im Alltag. Nicht-Weiße Personen oder People of Color bezeichnen sich in der Regel als „Schwarz“ (Afroamerikaner*innen) oder „Braun“ (Menschen mit indigener oder südasiatischer Herkunft).

 

Lange galten diese Probleme in den USA als „Golden-Girl-Issue“ – also eine Schwierigkeit, die nur blonde, reiche, Weiße Frauen haben. Wer etwa „Magersucht“ oder „Bulimie“ googelt, sieht Bilder von dünnen Weißen und häufig prominenten Frauen. Neuere Studien zeigen aber, dass dieses Streben nach dem dominanten Schönheitsideal auch nicht-Weiße Frauen betrifft – auch wenn es hier Unterschiede gibt.

Wie eine gemeinsame Untersuchung der University of California und der University of Wisconsin-Madisonzeigt: Asiatische Frauen und Latinas vergleichen sich häufiger mit dem Weißen Schönheitsideal und haben öfter Body-Image-Störungen als Afroamerikanerinnen, die sich tendenziell seltener am Weißen Schönheitsstandard messen und innerhalb der afroamerikanischen Community größere Akzeptanz für verschiedene Arten von Frauenkörpern erfahren.  

Doch wer sich ständig mit dem Weißen Schönheitsideal konfrontiert sieht und nicht so aussieht, hat es schwerer, ein positives Körpergefühl zu behalten. Diese Erfahrung hat auch Alexa Piedra gemacht. Die Forscherin am Boston College ist eine Chicana aus Texas, also eine Frau mit mexikanisch-indigenen Wurzeln. Bis sie nach Boston kam, sahen die meisten Frauen in ihrem Umfeld so aus wie sie. 

An der Universität mit überwiegend Weißen Studierenden und Lehrenden stach sie plötzlich heraus. Andere konnten ihren Nachnamen nicht richtig aussprechen, Piedras Arme wirkten haarig, ihre Nase groß. All diese Dinge hatte sie bis dahin als schön wahrgenommen. Im neuen Umfeld erschienen sie ihr dagegen wie ein Defekt. 

In einem Artikel für die Boston-College-Studentenzeitung „The Heights“ schreibt Piedra über ihre Erfahrung: „Wenn alle um dich herum schön und schlank sind, blonde Haare und blaue Augen haben und ständig Sport machen wollen, wie wirst du da selbstbewusster? Mir ist klar, dass ich gerade ein stereotypisches Weißes Mädchen beschrieben habe, aber das ist das Bild, das Mädchen aller Rassen in den Medien als Schönheit porträtiert sehen. Wenn du nicht in dieses Schema passt, fragst du dich vermutlich immer wieder, warum du nicht genug bist. Bis es keine Frage mehr ist, sondern ein Fakt. Du bist nicht genug.“

Erst im Austausch mit Patient*innen und mit vertiefter Recherche begann Samantha Barash (unten Mitte), Vorurteile zu Ernährung und Körperbild zu hinterfragen.

Ein liebevolles Verhältnis zum Körper entwickeln

Für Samantha Barash dauerte es Jahrzehnte, bis sie merkte, wie auch sie diese Schönheitsideale verinnerlicht und wie sehr sie dies belastet hatte. Selbst als sie Ernährungswissenschaften studierte, trieben sie die Fragen nach der perfekten Ernährung und der besten Diät für den idealen Körper an. Die Theorien selbst stellte sie erst in Frage, als sie anfing, mit Patient*innen zu arbeiten. 

„In den Gesprächen kamen Themen auf wie Vorurteile zu bestimmten Körperformen, Stigmen zu gewissen Gerichten, Normen zur Gesundheit. Das machte mich neugierig. Ich wollte erfahren, woher das alles kam.“ Sie vertiefte sich in verschiedene Theorien und stellte fest, dass viele vermeintliche Wahrheiten um Ernährung und Gewicht wissenschaftlich gar nicht so eindeutig sind, wie sie immer dargestellt werden. 

Der Body Mass Index (BMI) beispielsweise, der nach wie vor als Maß für gesundes Gewicht gilt, geht auf Berechnungen des belgischen Mathematikers Adolphe Quetelet aus dem Jahr 1832 zurück. Quetelet wollte mit seinen Berechnungen eine statistische Formel für den „idealen Mann“ finden. Dabei ging es weder um Frauen noch um Körperfett oder Gesundheit. 

Obwohl die Wissenschaft den BMI als Maß von gesundem Körpergewicht immer wieder in Frage stellt und der Missbrauch des BMI durch die Pharmaindustrie in den USA dokumentiert ist, ziehen Ärzt*innen nach wie vor häufig diese Formel heran, um das Körpergewicht von Patient*innen zu bewerten. Solche tief verwurzelten Ideen um Gewicht und Körperbild sind schwer aufzubrechen, sagt Samantha Barash. 

Darum hat sie sich 2023 selbstständig gemacht und arbeitet in ihrer Praxis „Tap into Nutrition“ mit Kund*innen daran, einen gesünderen und vor allem liebevolleren Umgang zum eigenen Körper zu entwickeln. „Wir schauen, woher diese Vorstellungen zum Aussehen und zur Ernährung kommen und konzentrieren uns dann darauf, wie wir ein anderes, positiveres Verhältnis zum Essen und zum eigenen Körper, so wie er aktuell ist, entwickeln können.“ 

Das ist nicht einfach. Samantha Barash glaubt, dass es ein kontinuierlicher, lebenslanger Prozess ist. Ihr eigenes Verhältnis zur Ernährung beschreibt sie mittlerweile als „freudvoll und wertvoll“. Sie gewinne es als wichtigen Teil ihrer kulturellen Identität zurück. 

*Um zu verdeutlichen, dass die Konzepte „Weiß“, „Braun“ und „Schwarz“ keine biologischen Eigenschaften oder reelle Hautfarben bezeichnen, sondern ein politisches, soziales und kulturelles Konstrukt, werden sie groß geschrieben.


 

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Von Marinela Potor, Detroit

Marinela Potor arbeitet als freie Redakteurin für Online, Print und Radio. Ihre Themenschwerpunkte sind Wissenschaft, Green Tech und der digitale Wandel. Von 2017 bis 2021 war sie Chefredakteurin von Mobility Mag. Aktuell lebt sie in Deutschland und den USA und berichtet von dort vor allem über gesellschaftliche und technologische Trends.

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Mareike GraepelHaltern
Die US-Amerikanerin Cindy O’Brien lebt seit den 90er Jahren in Connemara, ganz im Westen von Irland und züchtet seltene Seeschnecken. Die sogenannten japanischen Abalone gedeihen an der irischen Küste gut. Sie gelten als Delikatesse und Aphrodisiakum, kosten bis zu 44 Euro pro Kilo – und sehen aus wie Vulven.

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