Güldane Altekrüger wuchs im Hamburger Stadtteil St. Pauli als Tochter türkischer Gastarbeiter*innen auf. Als Erste in ihrer Familie schaffte sie das Abitur, studierte, machte Karriere. Doch plötzlich kündigte sie ihren Job und schrieb ein Backbuch.
Von Anne Klesse, Hamburg
Im Haus duftet es nach frisch Gebackenem. Güldane Altekrüger probiert gerade ein neues Rezept aus. „Paprika-Kräuter-Brot mit Dinkel- und Hafermehl – kalorienarm, protein- und ballaststoffreich“, sagt sie stolz. Die 45-Jährige hat das Rezept selbst entwickelt. Es wird wohl in ihr drittes Kochbuch eingehen, das im Herbst erscheinen soll.
Ihr erstes Buch „Abnehmen mit Brot und Kuchen“ mauserte sich über Nacht zum Bestseller – und das, obwohl das Segment „Essen und Trinken“ neben „Lebensführung“ und „Persönliche Entwicklung“ zu den verkaufsstärksten gehört und die Konkurrenz dementsprechend stark ist. Und Altekrüger bis dato keinerlei Erfahrung hatte – sie wurde eher zufällig zur Bestsellerautorin.
Von Familie und Freunden nur „Dana“ genannt, wuchs sie mit vier Geschwistern im Hamburger Stadtteil St. Pauli auf. Ihre Eltern waren 1968 als sogenannte Gastarbeiter aus der Türkei nach Deutschland gekommen. Die Kinder gingen in der damals von Hausbesetzer*innen umkämpften Hafenstraße zur Schule. Güldane Altekrüger erinnert sich an Prostitution und Drogenhandel direkt vor der Haustür, aber auch an die „besondere Herzlichkeit der Paulianer untereinander“. Rückblickend sei das eine „aufregende, bunte Kindheit“ gewesen.
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Nachmittags schickten sie die Eltern zur Koranschule. „Ihnen war wichtig, dass wir ihre Religion und das ethische Verständnis dahinter kennenlernen“, erinnert sie sich. Ein paar Ecken weiter zog es sie und ihre Geschwister zu den Freizeitangeboten der evangelischen Heilsarmee. „Da gab es immer etwas zu essen und wir haben gespielt – unsere Eltern durften davon aber nichts wissen, das hätten sie nicht verstanden.“
Hier der strenge Religionsunterricht, dort die christlichen Liedernachmittage, drumherum Sexarbeiter*innen, Drogensüchtige und Häuserkampf: Güldane Altekrüger musste sich früh behaupten. Heute sitzt sie im sonnigen Garten ihres Reihenhauses am Hamburger Stadtrand und sagt: „Mich bringt so schnell nichts aus der Ruhe.“
Da die Eltern vorhatten, irgendwann in die Türkei zurückzukehren, schickten sie ihre Kinder in den 1980er-Jahren nach Denizli im Südwesten des Landes, wo ein Teil der Familie lebte. Hier besuchten sie die Schule. Für die 7. Klasse kam Güldane Altekrüger nach Hamburg zurück und wurde auf Hauptschulniveau eingestuft. „Dabei fehlten mir im Grunde nur die Sprachkenntnisse“, sagt sie. Noch immer ist die Enttäuschung herauszuhören. Doch sie holte schnell auf, erhielt die Mittlere Reife.
Entgegen der Empfehlung wollte sie unbedingt Abitur machen. „Für meine Eltern war klar: Mit einer Ausbildung kannst du dein eigenes Geld verdienen und bestenfalls schnell heiraten. Sie kannten es einfach nicht anders.“ Mit einer Notlüge – sie behauptete, sich beworben und nur Absagen erhalten zu haben – konnte sie ihre Eltern überzeugen, weiter zur Schule gehen zu dürfen. „Später war mein Papa richtig stolz, dass ich als Erste in der Familie in Deutschland Abitur gemacht und dann sogar noch BWL studiert habe.“
Mit wenig Geld viel erreichen
Beruflich probierte sich Güldane Altekrüger danach in unterschiedlichen Branchen aus; arbeitete in der Gastronomie, am Theater und an der Oper. Sie hatte Spaß daran, nebenbei selbständig Projekte auf die Beine zu stellen, führte eine Künstleragentur, bot Stadtführungen an, betrieb einen Second-Hand-Laden mit Café. Sie sagt: „In Deutschland kann man Geschäftsideen entwickeln, ohne sich dafür gleich hoch zu verschulden. Man braucht nur ein bisschen Mut.“ Mit wenig Geld viel erreichen – das habe sie schon in ihrer Kindheit gelernt.
Mutig ging sie auch privat ihren eigenen Weg. Heiratete ihren Mann Markus, wurde, wie sie selbst sagt, erst später Mutter. Für ihre Eltern sei manches sehr gewöhnungsbedürftig gewesen. „Ich habe mich selbst oft gefragt: Warum kann ich nicht einfach zufrieden sein mit einem Mann, der mir vorgeschlagen wird, mit der Rolle als Hausfrau und Mutter, wie andere Frauen in meiner Familie?“ Ihre Zweifel und Kämpfe sind beispielhaft für Töchter der sogenannten Gastarbeiter-Generation, die oft in mehreren Lebenswelten – Zuhause, wo die Herkunftskultur bewahrt werden soll, und außerhalb der Familie in Schule, Berufsalltag oder Freundeskreis – aufwachsen.
Essen sei immer ein wichtiges, nicht zuletzt verbindendes Thema gewesen. In ihrem Elternhaus wurde deftige türkische Küche gekocht, frisches Brot gab es zu jeder Mahlzeit. „Wie die Türkei ist auch Deutschland ein brotliebendes Land. Deshalb gehört Brot für mich einfach zum Leben.“ Die Schwangerschaftspfunde waren der Auslöser für die Idee zum Buch. „Nach der Geburt meines zweiten Kindes mit 41 Jahren fiel es mir schwer, mein Ausgangsgewicht zu erreichen.“ Sie versuchte es mit wenig Kohlenhydraten und Kalorien zählen, verzichtete auf Kuchen und Brot.
Doch keine Diät half nachhaltig. Also experimentierte sie und probierte Rezepte aus. In einem Online-Forum für Abnehmtipps postete sie die Ergebnisse. So kam sie innerhalb eines halben Jahres auf eine fünfstellige Follower-Zahl. Mehrfach bat man sie, ihre einzelnen Beiträge doch als Buch zu veröffentlichen. Sie lachte und nahm das zunächst nicht ernst: „Ich war eine zweifache Mutter mit 25 Kilo Übergewicht – welcher Verlag hätte Interesse an mir haben sollen?“
Als ihre Elternzeit zu Ende ging, kündigte sie ihren Job beim Theater und entschied sich, ihre Zeit in ein selbst publiziertes Backbuch zu investieren. Sie hatte zwar weder ein Budget noch eine Idee von Grafik, Druck oder Vertrieb, aber was sie hatte, war eine Idee und den Mut, es zu versuchen. Nächtelang stand Altekrüger in ihrer Küche, rührte und backte, arrangierte und fotografierte, schrieb Texte. Durch eine Weiterbildung zum Thema Online-Marketing konnte sie eine eigene Website programmieren, die sich als erster Vertriebsweg entpuppte. Außerdem eröffnete sie ein Amazon-Verkäufer*innenkonto.
Ein Buch ganz ohne Verlag, in Eigenregie, herauszubringen, sei ihrem Naturell entgegen gekommen. „Ich bin lieber unabhängig und entscheide, ohne dass mir jemand reinquatscht.“ Auf 5.000 Euro vom gemeinsamen Ersparten als Startkapital hatte sie sich mit ihrem Mann geeinigt. Das Geld brauchte sie für die erste Druckauflage von 1.000 Exemplaren.
Als die Palette mit den Büchern an der Haustür abgeladen wurde, bekam sie zwar etwas Angst – Was, wenn niemand das Buch haben wollte? – bewarb es aber noch nachts über ihre Social Media-Kanäle und im Diät-Forum. Am nächsten Morgen, es war der 12. November 2018, war „Abnehmen mit Brot und Kuchen“ bei Amazon bereits als Bestseller gelistet. Sie hatte über Nacht bereits 400 Exemplare verkauft. Innerhalb von drei Tagen war die gesamte erste Auflage vergriffen. „Ich habe mich so gefreut und geriet gleichzeitig in Panik“, sagt sie rückblickend.
Denn nun mussten die Bücher verpackt und verschickt werden. Güldane und Markus Altekrüger schnitten Tag und Nacht Luftpolsterfolie zu, frankierten Umschläge, schliefen kaum noch. Ihre Eltern, mittlerweile Rentner, reisten aus der Türkei an, um zu helfen. „Täglich 300 Bücher verschicken war der Wahnsinn.“ Für die zweite Auflage bestellten sie 5.000 Bücher. Aber auch die war schnell vergriffen, unter anderem weil die BILD-Zeitung berichtete.
„Daraufhin riefen mich Verlage und Agenturen an, die Bestellungen schossen noch einmal in die Höhe, dabei gingen wir schon auf dem Zahnfleisch.“ Güldane Altekrüger erlitt einen Schwächeanfall. „Der Erfolg hat mich total überrannt“, sagt sie. „Ich wusste nicht, wie ich das alles schaffen soll.“ Doch die Altekrügers lehnten alle Angebote ab, weil sie frei bleiben wollten in ihren Entscheidungen.
Unterstützung vom Ehemann
Stattdessen gründete die frisch gebackene Bestsellerautorin ihren eigenen Verlag. Ihr Mann Markus kündigte nach fast 20 Jahren seinen Job als Fuhrparkmanager und arbeitet seither für sie. „Es ist mir schon schwer gefallen, war aber die richtige Entscheidung.“ Bis dahin sei er derjenige gewesen, der finanziell den Hauptteil für die Familie gestemmt habe – jetzt sei es eben andersherum.
Seine Frau sei „kreativ, zielstrebig, ausdauernd und durchsetzungsstark“. Anfangs habe er sie manches Mal versucht zu bremsen. Immerhin hatten sie gerade ein Reihenhaus am Stadtrand gekauft. „Doch letztendlich hatte sie immer das richtige Bauchgefühl.“ Ihr Mann wiederum habe ihren Ideen eine Struktur gegeben, sagt Güldane Altekrüger: „Ich habe viele Interessen und viel Energie, bin aber manchmal etwas chaotisch.“
Inzwischen hat sie mehr als 250.000 Bücher verkauft, ihr Verlag hat zwei Angestellte. Nachdem monatelang vom Wohnzimmer aus gearbeitet wurde, überall im Haus Verpackungsmaterial herumlag, kümmert sich nun ein externer Auslieferer um den Versand. Unternehmen wollen mit Güldane Altekrüger zusammenarbeiten, es gibt eine Anfrage für einen Kinofilm über ihr Leben. Vom Gastarbeiterkind zur Selfmade-Bestsellerautorin – nicht zuletzt ihre Eltern, derzeit zu Besuch in Hamburg, sind stolz auf ihre erfolgreiche Tochter.
Sie ist, wie immer, in Aktion und konzentriert sich nun auf ihr drittes Backbuch. In Zeiten der Kontaktbeschränkungen wird derzeit offenbar viel zu Hause gekocht und gebacken, weiß sie aus ihren Foren. Auch Abnehmen ist weiterhin ein Thema – für ihre Community und auch für sie selbst. „Durch den ganzen Stress habe ich leider wieder zugenommen.“ Zwar erhalte sie auch Feedback von diätwilligen Männern, Hauptzielgruppe seien jedoch Frauen.
Auf die Frage, ob sie den Schlankheitswahn, der sie selbst nervt, mit ihren Diät-Büchern nicht zusätzlich befeuere, antwortet sie: „Es wäre wünschenswert, dass unsere Gesellschaft Gesundheit wichtiger nimmt als das Schlanksein. Doch davon sind wir sehr weit entfernt.“ Mit ihrem Rezepten will sie für eine gesunde, ausgewogene Ernährung ohne Verzicht beitragen: „Ich finde, Essen ist Kultur und vor allem soll es Spaß machen.“