Bestickte Kopfkissen, Handtücher und Decken aus Penduka sind für viele deutsche Tourist*innen in Namibia ein nettes Souvenir an ihre Auslandsreise, bedeuten aber für die Frauen, die diese herstellen, so viel mehr: ein eigenes Einkommen und finanzielle Unabhängigkeit.
Von Lisa Ossenbrink, Windhuk
Wer auf den staubigen Straßen Katuturas in Richtung des Goreangab Damms fährt, begegnet einer bunten Mischung aus Wellblechhütten, Bars, kleinen bis mittelgroßen Häusern am Straßenrand sowie Tankstellen, Supermärkten und Fast-Food-Ketten. Der Unterschied zum Zentrum Windhuks ist deutlich: Alles ist dichter und enger gebaut als in der Stadt und je nach Tageszeit sind die Straßen mit lebendiger Energie und vielen Menschen gefüllt.
Das Township Katutura wurde während des südafrikanischen Apartheidregimes in den 1950er Jahren gegründet. In Otjiherero, der Sprache der Herero, bedeutet Katutura sprichwörtlich ‘Der Ort, an den wir nicht gehören’. Große Teile der Schwarzen Bevölkerung Windhuks wurden damals mit Zwang in das Township umgesiedelt. Heute leben hier schätzungsweise zwischen 90.000 und 140.000 Menschen. Die genaue Zahl ist umstritten. Datenerhebungen gibt es nur selten, und nicht alle Bewohner*innen haben die notwendigen Dokumente, um von den Behörden erfasst zu werden.
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Unweit der Eveline Street, die als berühmtestes Barviertel im Township bekannt ist, befindet sich der Weg zum Goreangab Damm – einer der größten Wasserquellen der Hauptstadt. Wer aber in diese Richtung und damit nach Penduka will, muss zunächst viele Kilometer einer gewundenen, verlassenen Schotterpiste folgen.
Am großen Eingangstor werden die Gäste dann freudig von Kauna Mudhengi, der 42-jährigen Geschäftsführerin, begrüßt. Ein breites Lächeln, kluge Augen und geschäftige Anspannung charakterisieren die namibische Frau.
Eine Oase inmitten des Townships
Penduka bedeutet zu Deutsch „Aufwachen“. Und genau das sollen Frauen, die hier arbeiten – im übertragenen Sinn – tun. Die 58-jährige Niederländerin Christien Roos, eine der beiden Gründerinnen Pendukas, bezeichnet die Initiative als soziales Unternehmen mit einem Ausbildungszentrum, in dem weniger privilegierte namibische Frauen verschiedene Fertigkeiten wie Nähen und Sticken lernen können. Nach der Ausbildung werden die hergestellten Produkte vor Ort an Besucher*innen als Souvenir oder international per Onlineversand verkauft.
Kauna Mudhengi, die schon seit mehr als zehn Jahren hier arbeitet, fasst die Mission der Organisation so zusammen: „Es geht darum, Frauen zu empowern. Hier in Namibia ist es aufgrund der hohen Armutsquote umso wichtiger, dass Frauen sich selbstbewusst fühlen und an sich und ihre Fähigkeiten glauben können.“ Dabei bewertet Mudhengi die Schneiderei als zentralen Bestandteils des Empowerments: Dass die Frauen etwas mit ihren eigenen Händen erschaffen, sei besonders hilfreich. So können sie nach ihrer Ausbildung langfristig Geld verdienen.
In den Werkstätten ist ein Raum komplett mit Nähmaschinen ausgestattet. Unterschiedliche Textilien werden von den Frauen hier in Kopfkissen, Bettbezüge, Decken und Taschen verwandelt. Was die Produkte von Penduka einzigartig macht, sind insbesondere die handgestickten Muster. Afrikanische Tiere und Menschen, dargestellt in einem ähnlichen Stil wie dem der Wandmalerei der Khoisan, schmücken die Stoffe. Manchmal sind es wilde Tiere, mal Elefanten oder jagende Dorfbewohner*innen. Es wird auch getöpfert und aus recyceltem Glas entsteht Schmuck.
Die 38-jährige Vistorina Nepembe, arbeitet in Penduka und erklärt, welche Bedeutung der Ort für sie hat: „Penduka ermutigt uns als Frauen dazu, Selbstbewusstsein zu entwickeln. Penduka hat mein Leben verändert, weil es mein erster Job ist. Seitdem konnte ich viele verschiedene Menschen treffen und durfte sogar einmal beruflich nach Europa fliegen. Da ich die Mutter von vier Kindern bin, ist es mit meinem Einkommen trotzdem schwierig, mich über Wasser zu halten.“
Dabei ist die wirtschaftliche Situation in Namibia durchaus dramatisch. Die Arbeitslosenquote lag 2020 bei über 36 Prozent, bei den unter 30-Jährigen sogar bei über 46 Prozent. Darüber hinaus gibt es große Unterschiede – nicht nur bei den Geschlechtern – sondern auch hinsichtlich der Wohnsituation. Aus Daten von 2013 geht hervor, dass knapp 53 Prozent der Frauen aus ländlichen und knapp 36 Prozent aus städtischen Gebieten keine Arbeit hatten, während „nur“ 41 Prozent der Männer auf dem Land und 26 Prozent in der Stadt ohne Job waren.
Corona-Krise hat dramatische Auswirkungen
Eine Studie aus dem Jahr 2018 mit dem Titel „Financial Inclusion Survey“ zeigt darüber hinaus, dass über die Hälfte der namibischen Bevölkerung unter 2.000 Namibia-Dollar im Monat verdient, also umgerechnet 125 Euro. Selbst in Namibia ist das sehr wenig Geld. Namibische Frauen arbeiten häufiger im informellen Sektor als Männer. Dazu gehören Tätigkeiten wie das Verkaufen von Lebensmitteln am Straßenrand, Haushaltshilfe, Kinderbetreuung, Kosmetikbehandlungen etc.
2020 lag der Anteil der Frauen hier bei 50,7 Prozent. Das ist die Hälfte aller arbeitenden Frauen. Der informelle Sektor ist vor allem dadurch gekennzeichnet, dass es keine soziale Absicherung und zumeist geringe Entlohnung gibt. Oft ist es in den Familien aber nur eine Person, die mit ihrem Verdienst für alle aufkommen muss.
In Penduka arbeitet eine Belegschaft von etwa 40 Personen, während weitere 150 Frauen als freie Mitarbeiterinnen Produkte für Bestellungen und den hauseigenen Laden anfertigen. Sowohl Gründerin Roos als auch Geschäftsführerin Mudhengi erwähnen jedoch, dass sie die Zahl ihrer Mitarbeiter*innen aufgrund der Corona-Pandemie von zuvor fast 500 drastisch kürzen mussten.
„Seit der Gründung gab es oft Zeiten, in denen wir dachten, wir könnten nicht weitermachen. Corona war eine davon. Die wirtschaftliche Krise in Namibia war groß, Touristen durften für sechs Monate nicht ins Land einreisen“, erklärt Roos. Momentan halten sie sich größtenteils durch Vorbestellungen übers Internet und Spenden über Wasser. Außerdem reisen inzwischen wieder mehr Tourist*innen ins Land.
Penduka wurde 1992, kurz nach der Unabhängigkeit Namibias, nach einem zufälligen Treffen von Christien Roos und Martha Muulyau bei „Ehafo“, einer Initiative für Kinder mit Behinderungen, ins Leben gerufen. Martha Muulyau stammt aus dem Norden Namibias. Mit vier Jahren erkrankte sie an Kinderlähmung und kann seitdem nur mit Krücken laufen.
Eine richtungsweisende Begegnung
Davon hat sie sich jedoch nie aufhalten lassen – sie machte ihren Schulabschluss und fand Arbeit bei „Ehafo“, wo Christien Roos nach ihrem Studium ebenfalls angestellt war. Trotz mehrerer Operationen an Rücken, Hüften und Rippen und dem Einsetzen eines Herzschrittmachers fand Martha Muulyau die Kraft, gemeinsam mit Roos Penduka als Ausbildungsort wachsen zu lassen.
„Penduka gehört seit mehr als 30 Jahren zu meinem Leben, Namibia ist meine zweite Heimat“, sagt Roos, die regelmäßig hierher reist. „So kurz nach der Unabhängigkeit war es nicht einfach, Frauen diese Art von Training ans Herz zu legen. Erst wenn sie Martha sahen, die auf Krücken lief, einen Herzschrittmacher hatte und sich kaum alleine bewegen konnte, bekamen wir Zugang zu ihnen. Es war von Anfang an wichtig, unsere Werte zu teilen und zu vermitteln. In Penduka wird geteilt. Wir bringen einander bei, wie man bestimmte Produkte anfertigt.“
Die Frauen, die ihre Ausbildung abgeschlossen haben, erzählen anderen in ihren Gemeinschaften davon. Informationen werden per Mundpropaganda weitergegeben. So entsteht ein stetiger Fluss an Neuankömmlingen für die Ausbildung und Mitarbeit. Mittlerweile sind viele Frauen zur Schule gegangen, können lesen und schreiben. Insbesondere unter den Jüngeren ist Penduka zum Sprungbrett geworden und keine Rettungsleine mehr, beschreibt es Christien Roos.
Geschäftsführerin Kauna Mudhengi, Marthas Nichte, erzählt mit Stolz, dass Penduka dieses Jahr seinen 30. Geburtstag feiern wird, obwohl viele andere Nichtregierungsorganisationen und gemeinnützige Initiativen nicht so lange bestehen könnten. „Ich glaube, der Unterschied ist einfach, dass Penduka immer weitergemacht und so überlebt hat“, resümiert Mudhengi, die als Kellnerin hier anfing bis sie die Geschäftsführung von ihrer Tante übernehmen durfte.
Sowohl Kauna Mudhengi als auch Christien Roos glauben, dass sich 2022 viel verändern wird. Nach jahrelangem Bemühen ist es der Hilfsorganisation gelungen, das Land, auf dem seine Gebäude stehen, zu erwerben. „Jetzt können wir anfangen, großflächig zu renovieren“, lacht Roos. An den Werkstätten und den kleinen Hütten, in denen Tourist*innen übernachten können, blättert teilweise die Farbe ab. „Wir wollten vorher kein Geld investieren, nur um dann vielleicht nach ein oder zwei Monaten unser Mietverhältnis gekündigt zu bekommen“, begründet die Niederländerin die Entscheidung.
Der Großteil von Pendukas Kund*innen seien ausländische Tourist*innen – vor allem Europäer*innen. Die Deutschen seien aufgrund ihrer historischen Verknüpfung mit Namibia besonders stark vertreten. Roos hofft, in Zukunft mit den Eine-Welt-Läden in ganz Deutschland zusammenarbeiten zu können. Dadurch könnten Produkte aus Penduka bald überall zu kaufen sein – ein wichtiger Schritt, nicht nur für die Gründerinnen, sondern vor allem für die Frauen in Katutura.
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