In einem Land, in dem Frauen noch oft benachteiligt werden, haben es Chiaki Mukai und Naoko Yamazaki weit gebracht: Sie sind Japans einzige Astronautinnen. Eine Geschichte über zwei Frauen und ihren Weg gegen alle Widerstände.
Von Eva Casper, Kyoto
Ganz nach oben zu kommen ist für Frauen in Japan nicht leicht. In einem Land, in dem Macht und Geld immer noch hauptsächlich in Männerhand liegen, sind Frauen, die Karriere machen, die Ausnahme. Und noch seltener ist es, dass sie dabei Geschichte schreiben. Chiaki Mukai und Naoko Yamazaki haben genau das geschafft. Von den zwölf Astronaut*innen, die Japan bisher ausgebildet hat, sind sie die einzigen Frauen. Sie sind aufgewachsen in einer Zeit, in der die Ungleichheit in Japan noch größer war als heute und haben gegen alle Widerstände ihren Traum verfolgt.
Chiaki Mukai kommt 1952 in Gunma zur Welt, einer Präfektur nördlich von Tokio, bekannt für heiße Quellen und Skigebiete. Ihre Eltern hätten ihr immer gesagt, wie wichtig es sei, eine gute Bildung zu haben, um Geld zu verdienen: „Ich sollte von niemandem abhängig sein.“ Im Japan der 50er Jahre ist das – ähnlich wie damals in Deutschland – eine ungewöhnliche Einstellung.
Für Frauen war es üblich, zu heiraten und Kinder zu bekommen statt für ihren Lebensunterhalt zu arbeiten. Schon als Mädchen begeistert sich Mukai für Naturwissenschaften. Sie liebt es, Tiere zu beobachten, fängt kleine Fische und Langusten und zieht sie bei sich zu Hause auf. Sie lernt Ski fahren und nimmt als Studentin an Wettkämpfen teil. Da merkt sie, dass sie schneller ist als so manche Männer.
Die einzige Frau im Team
Mukai ist oft eine Frau unter vielen Männern. Sie studiert Medizin an der Keio Universität in Tokio und arbeitet anschließend als Ärztin. 1983 erfährt sie, dass Japan erstmals eigene Astronaut*innen ausbilden will und bewirbt sich. Sie erklärt: „Ich wollte meinen Horizont erweitern und die Erde vom All aus sehen.“ Es folgt ein langes, aufwendiges Auswahlverfahren. Einer der bekanntesten Tests ist wohl die Humanzentrifuge. Dabei dreht sich die Apparatur immer schneller um die eigene Achse, das Blut schießt in die Füße. „Wenn dir da nicht schlecht wird, stimmt mit dir etwas nicht“, scherzt Mukai.
Im Sommer 1985, im Alter von 33 Jahren, wird Mukai schließlich als eine von drei Kandidat*innen ausgewählt. Bis sie tatsächlich ins All fliegt, sollen aber noch neun Jahre vergehen. Knapp ein halbes Jahr später, am 28. Januar 1986, zerbricht der Spaceshuttle „Challenger“ kurz nach dem Start vom Kennedy Space Center in Florida – alle sieben Crew-Mitglieder kommen ums Leben. Es ist bis dato das schlimmste Unglück in der Geschichte der US-Raumfahrt. „Ich war schockiert“, erzählt Mukai. Trotzdem habe sie nicht daran gedacht, aufzuhören. Denn: Eine 100-prozentige Sicherheit könne es niemals geben.
1994 bricht Mukai schließlich zu ihrem ersten Flug ins All auf: mit der internationalen Mission STS-65 – als erste Japanerin überhaupt und als einzige Frau unter sechs Männern. Auf Pressekonferenzen fragen viele, wie das sei, als einzige Frau im Team? „Wundervoll, ich bin die Schönste an Bord“, scherzt sie. Als Sally Ride 1983 als erste US-Amerikanerin ins All flog, sollte sie beantworten, ob der Aufenthalt im Weltall ihre Fähigkeit, Kinder zu kriegen, negativ beeinflussen werde oder ob sie auf der Mission weinen werde, wenn etwas schief ginge. Mukai sagt, ihr seien solche Fragen nie gestellt worden. Allerdings sei sie auch schon 42 gewesen, als sie ihre Reise antrat.
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Forschungen im All
Tatsächlich war Reproduktion Teil ihrer Forschungen. Anhand von Fischen untersucht sie, welche Auswirkungen die Schwerelosigkeit auf den Körper hat. Bei ihrer zweiten Mission im Jahr 1998 ist sie erneut die einzige Frau. Bei dem neuntägigen Aufenthalt im All geht es auch darum, herauszufinden, welche Auswirkungen die Schwerelosigkeit auf Menschen im hohen Alter hat. Dafür ist der Astronaut John Glenn an Bord. Der damals 77-Jährige stellt damit den Rekord als ältester Mensch im All auf.
Erst 2021 wird dieser Rekord durch Wally Funk und schließlich durch den 90-jährigen William Shatner, bekannt als Captain Kirk aus Raumschiff Enterprise, gebrochen. Heute verbringen Astronaut*innen oft mehrere Monate im All. Ihre Körper gewöhnen sich an die Schwerkraft, ihre Muskeln bilden sich zurück. Sie vermissen ihre Familien und Freund*innen. Und sie richten sich einen Alltag ein, haben Freizeit, die es zu füllen gilt.
Bei Mukai war das anders. Ihr längster Aufenthalt dauerte zwei Wochen und in dieser Zeit hätten sie und ihr Team Hunderte Experimente durchgeführt. Meist sei sie so erschöpft gewesen, dass auch das ungewohnte Schlafen in der Schwerelosigkeit sie nicht gestört habe. Doch sooft sie Zeit hatte, habe sie die Erde betrachtet. Sie sagt rückblickend: „Egal, wie lange man schaut, man will immer noch mehr und mehr sehen.“ Am Meisten hat Mukai aber die Rückkehr zum Planeten beeindruckt.
Als sie im Spaceshuttle saß, habe sie gespürt, wie die Schwerkraft wieder einsetzte. Es war, als stehe jemand auf ihren Schultern und drücke sie nach unten, erzählt sie. Zurück auf der Erde kann sie zunächst nicht gerade gehen. Alles fühlt sich schwer an, selbst eine Visitenkarte. Dieses Gefühl hält drei Tage an. In der letzten Nacht möchte sie am Liebsten nicht ins Bett gehen. Sie fühlt, sie würde dieses Gefühl am nächsten Tag verlieren. „Es war wie bei der kleinen Meerjungfrau, die aus den Tiefen des Meeres kommt und zum ersten Mal die Sonne sieht“, erzählt Mukai, „alles war sehr neu für mich.“
Nach ihren Reisen ins All arbeitet die heute 69-Jährige in der Forschung und Lehre, unter anderem an der International Space University in Frankreich und für die japanische Raumfahrtbehörde JAXA. Seit 2015 ist sie Vizepräsidentin der Tokyo University of Science. Dort leitet sie außerdem das sogenannte „Space Colony Research Center“ – eine vor fünf Jahren gegründete Organisation, deren Ziel es ist, Technologien zu entwickeln, die im All, aber auch auf der Erde nützlich sind, etwa um den Anbau von Gemüse zu ermöglichen, Wasser zu sparen oder Elektrizität zu gewinnen.
Astronautin und Mutter
Während Deutschland bis heute noch keine Astronautin ins All geschickt hat, fliegt 2010 Naoko Yamazaki als zweite Japanerin für 15 Tage mit der Mission STS-131 als Teil eines US-Teams zur ISS. Als Ingenieurin bedient die damals 39-Jährige einen Roboterarm. Anders als Mukai ist Yamazaki Mutter, weshalb ihr von der Presse der Spitzname „Mama-san“* aufgedrückt wird. „San“ entspricht der deutschen Anrde für Herr und Frau. Doch Yamazaki mag den Namen nicht. Die Männer seien nicht so auf ihr Vater sein reduziert worden. Dabei sei das Weltall ein ziemlich gleichberechtigter Ort, findet Yamazaki. Auch Mukai berichtet, sie habe sich bei ihrer Arbeit im Team nie diskriminiert gefühlt.
Dass Yamazaki Astronautin geworden ist, liegt auch an den vielen Vorbildern, die sie ermutigt haben, diesen Schritt zu gehen. Schon als Kind habe sie gerne Science-Fiction-Filme gesehen und Comics gelesen. Dass sie selbst einmal Astronautin werden könnte, kam ihr damals nicht in den Sinn. Das änderte sich, als die Challenger verunglückt. Yamazaki war damals 15 Jahre alt. Dabei starb auch Christa McAuliffe, die über das Teacher-in-Space-Programm der NASA teilgenommen hatte.
Der Gedanke, dass sogar eine Lehrerin Astronautin werden konnte, ermutigt Yamazaki. Sie entschließt sich, Raumfahrttechnik an der Tokyo University zu studieren. Wenn sie damals jemandem von ihrem Berufswunsch erzählte, hätten die Leute gedacht, dass sie einen Scherz machte. „Selbst meine Eltern dachten das“, erinnert sie sich. Doch 1999 wird Yamazaki als Astronautin ausgewählt. Es dauert noch elf Jahre, bis sie tatsächlich ins All fliegt.
Irdische Herausforderungen
Auch diesmal kommt ein tragischer Unfall dazwischen: der Absturz des Spaceshuttles „Columbia“. Ihre Tochter ist damals noch kein Jahr alt und Yamazaki befürchtet, dass es zu gefährlich ist. „Ich wollte ins All, aber ich wollte nicht meine Familie opfern.“ Irgendwann stellt sich heraus: Ihr Wunsch ist größer als ihre Sorge. Und: Wer als Elternteil ins All fliegen will, muss mit den gleichen irdischen Herausforderungen leben wie andere: der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Das führt meistens dazu, dass die Frauen am Boden bleiben.
Was viele nicht bedenken: Astronaut*innen sind nicht nur im Weltraum unterwegs, sondern müssen auch lange Trainingseinheiten – oft im Ausland – absolvieren. Beides zu vereinbaren sei nur möglich gewesen, weil ihr damaliger Ehemann seinen Job gekündigt und die Kinderbetreuung übernommen habe, erzählt Yamazaki. Ein Modell, das nicht nur in Japan sehr ungewöhnlich ist. Sie wurde dafür in den Medien kritisiert. Es hieß, sie würde ihr Kind im Stich lassen. Wenn sie umgekehrt sagte, sie wolle eine Trainingspause einlegen, um sich um ihre Tochter zu kümmern, wurde ihr vorgeworfen, dass ihre Ausbildung von Steuergeldern finanziert werde. Kurzum: Was immer sie sagt, gab es Kritik.
Um es für Frauen einfacher zu machen, müssten vor allem Geschlechterklischees überwunden werden, meint Yamazaki. Viele Mädchen würde sich für das Weltall begeistern, doch es gäbe den Druck aus der Gesellschaft, dass Naturwissenschaften nichts für Mädchen seien. Yamazaki selbst besuchte eine reine Mädchenschule. Dort sei es normal gewesen, sich für Naturwissenschaften zu interessieren. Und die Lehrerinnen seien ein Vorbild für sie gewesen.
Heute ist Yamazaki Präsidentin des „Young Astronauts Club“, der auch Mädchen dazu ermutigen soll, eine Karriere als Astronautin anzustreben. Außerdem hat sie 2018 die „Space Port Japan Association“ mitgegründet, die Japans erste Startrampe bauen will, mit der Tourist*innen ins All reisen können. Als sie auf der Erde war, habe sie gedacht, dass das Weltall sehr besonders sei, erzählt Yamazaki. Doch als sie dort ankam, erschien ihr die Erde „in den unendlichen Weiten dieser Dunkelheit als ein sehr bewundernswerter Ort“.
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