Immer mehr junge Frauen drängen in Jordaniens Street-Art-Szene. In einer konservativen Gesellschaft testen sie die Grenzen des Darstellbaren aus und malen gegen das Vorurteil an, das sei nichts für Mädchen.
Von Mareike Enghusen, Amman
Amman, der Hauptstadt Jordaniens, fehlt es an Charme – das ist ein Urteil, auf das sich alle zu einigen scheinen, die die Stadt kennen. Für nichts ist Amman berühmt, mit Ausnahme seiner Langweiligkeit. Den einzigen Spitznamen, den es trägt, lautet „die weiße Stadt“ aufgrund seiner einheitlich hellen Fassaden. Seit einigen Jahren jedoch brechen hier und da bunte Flecken das monotone Stadtbild auf. Malereien in wilden Farben, die sich über ganze Fassaden ziehen: die Werke Jordaniens junger Street-Art-Szene.
Manche davon hat Yara Hindawi gemalt. An einem Freitagmittag sitzt sie in einem Café auf der Rainbow-Street, einer liberalen Oase in der konservativen Hauptstadt. Hier stehen Bier und vegane Smoothies auf der Getränkekarte, an der Eingangstür kündet ein Schild eine „hassfreie Zone“ an.
Yara Hindawi, 30 Jahre alt, trägt ein T-Shirt mit Bananendruck und die langen Haare offen. Ihr Englisch ist nordamerikanisch gefärbt: Sie wurde in Jordanien geboren, hat in den USA gelebt und in Kanada studiert, später in Dubai gearbeitet. Dort kam sie erstmals mit Street Art in Berührung. Sie arbeitete als Illustratorin, als ein Bekannter sie für ein Street-Art-Festival empfahl. Zum ersten Mal probierte sie sich auf großer Fläche aus und „war nervös“, erinnert sie sich. Doch rasch fand sie Gefallen daran. Nach ihrem Umzug nach Amman suchte sie Anschluss an die lokale Szene.
Street Art ist eine noch junge Kunstform in Jordanien: Erst seit einigen Jahren gebe es eine organisierte Szene von rund 20 aktiven Künstlern, sagt Mu’ath Isaeid. Er arbeitet als Kurator des „Baladk“, eines Street-Art-Festivals, das seit 2013 jährlich in Amman stattfindet und in vergangenen Jahren unter anderem von der deutschen Rosa-Luxemburg-Stiftung gefördert wurde. Yara Hindawi nimmt jedes Jahr teil. Alle paar Monate verabredet sie sich darüber hinaus mit befreundeten Künstlern, um eine Fassade zu bemalen – nicht ohne vorher die Erlaubnis der privaten Besitzer oder lokalen Behörden einzuholen. Anders als Graffiti-Sprayer bewegen sich Jordaniens Street-Art-Künstler im Rahmen der Gesetze.
Immer eine Gratwanderung
Hindawis Werke, meist in Bonbon- oder Pastellfarben gehalten, zeigen zumeist fiktive Figuren, engel- oder geistähnliche Wesen mit kindlichen Gesichtern. Andere jordanische Street-Art-Künstler malen stilisierte Tiere, Frauen, Soldaten, Beduinenscheichs oder gänzlich Abstraktes – eben alles, was nicht die einschlägigen Tabus berührt. Dazu zählen politische Botschaften, Darstellungen von Sexualität oder allzu freizügiger Körperlichkeit sowie alles, was in der konservativ-religiösen Gesellschaft als provokant, unmoralisch oder gar islamfeindlich aufgefasst werden könnte. Zwar gebe es kein Gesetz, das derartige Motive verbieten würde, sagt Isaeid – „aber wer solche Dinge malt, muss mit starken Anfeindungen rechnen.“ Auf einem Festival vor drei Jahren etwa habe ein Künstler eine fast nackte Frau gemalt, Isaeid hat daraufhin Hass-Anrufe bekommen.
Gleichzeitig beobachtet er seit einigen Jahren, dass die lokalen Behörden Vorschriften erlassen, die die Nutzung öffentlicher Räume für Street Art einschränken – ein Versuch, die Kontrolle zu behalten, vermutet er. Zwar unterdrückt der jordanische Staat Dissidenten und Kritiker längst nicht so harsch wie beispielsweise die ägyptische Regierung. Doch absolute Meinungsfreiheit genießen auch Jordanier nicht; Kritik an der Monarchie ist tabu, wer sich als Journalist zu weit vorwagt, riskiert Verhaftung.
Auch Yara Hindawi ist mit ihrer Kunst schon an die Grenzen des Akzeptablen gestoßen – ohne es zu beabsichtigen. Sie arbeitete an einem Gemälde im wohlhabenden Westen der Stadt. Das Motiv: zwei Geister, die Händchen halten. „Dann kam ein Mann vorbei und warf mir vor, ich würde Lesben malen. Er begann zu brüllen und hörte nicht mehr auf.“ Um Ärger zu vermeiden, übermalte sie das Bild.
Ein anderes Mal, als sie zusammen mit anderen Künstlern arbeitete, brüllte eine Frau aus einem Fenster herunter: „Wäre es nicht besser, wenn ihr etwas aus dem Koran an die Wand schreiben würdet?“ Hindawi nimmt solche Vorkommnisse nicht allzu ernst. Schließlich, fügt sie hinzu, reagierten die meisten Menschen positiv – auf die Kunst und auf sie selbst, die Künstlerin. „Sexuelle Belästigung ist ein Problem in Jordanien,“ sagt Hindawi, „aber ich habe festgestellt, dass ich nicht mehr als Frau wahrgenommen werde, sobald ich male. Stattdessen achten die Leute auf mein Gemälde, stellen Fragen, kommentieren es.“
Als Frau gehört Yara Hindawi in der hiesigen Street-Art-Szene zu einer Minderheit. „Die jordanische Gesellschaft ist konservativ und Street Art gilt nicht als etwas typisch Weibliches“, sagt sie. Dennoch habe sie keine Schwierigkeiten gehabt, unter männlichen Künstlern Akzeptanz zu finden. Und sie beobachtet, dass sich mehr und mehr junge Frauen der Szene anschließen. Festivals hätten an diesem Wandel einen großen Anteil, glaubt sie, weil diese Veranstaltungen kostenlos Materialien, Wände und Unterstützung anbieten, was vielen erst den Weg bahnt.
Zudem haben mehrere regionale Festivals zuletzt einen Fokus auf Frauen gelegt. Ein Netzwerk namens „Women on Walls“, 2013 gegründet in Kairo, richtet jährlich ein feministisches Street-Art-Festival für arabische Künstlerinnen aus; auch Yara Hindawi hat daran schon teilgenommen. Eine Initiative namens aptART veranstaltet Street-Art-Projekte in jordanischen Flüchtlingscamps und gibt Mädchen und Frauen dabei besonderen Raum. Und die Baladk-Organisatoren machten weibliche Street Art 2014 zum Motto ihres jährlichen Festivals.
Derart ermutigt, bewerben sich jedes Jahr mehr Künstlerinnen für die Teilnahme am Baladk-Festival, berichtet der Kurator Isaeid. „Früher haben sich überwiegend Männer gemeldet“, sagt er. „Dieses Jahr war das Verhältnis unter den Bewerbern fast ausgeglichen, und die Frauen haben die besseren Bewerbungen eingereicht. Deshalb hatten wir zum ersten Mal mehr weibliche Teilnehmer als männliche.“
Für Street-Art-Künstler ist kein Geld da
Während die gesellschaftliche Akzeptanz für die Künstlerinnen wächst, haben jordanische Street Artists – männliche wie weibliche – mit Schwierigkeiten zu kämpfen, die ihren Kollegen im Westen fremd sein dürften. Das beginnt bei der Beschaffung der Materialien: „Einfuhrzölle sind hoch und nicht viele Läden importieren Sprühdosen“, erzählt Hindawi. „Oft finde ich nicht die Farben, die ich brauche, und kann nicht so experimentieren, wie ich will.“
Die meiste Zeit malt sie unbezahlt, ihre Miete verdient sie als Kommunikationsmanagerin. Einige Male seien sie und ihre Künstlerfreunde von Unternehmen gebeten worden, deren Wände zu bemalen – und hätten absagen müssen, weil das angesetzte Honorar empörend niedrig gewesen sei. „Kreative Jobs sind extrem unterbezahlt“, seufzt sie.
Mit ihrem Vollzeitjob zählt sie immerhin zu den Glücklichen: Die Arbeitslosenquote ist hoch, fast 40 Prozent aller jungen Jordanier finden keine Stelle. Dass sich mit Street Art nichts verdienen lasse, liege jedoch nicht nur am fehlenden Geld, meint Hindawi, sondern auch an verbreiteten Vorurteilen. „Es gibt durchaus Galerien hier und Menschen, die Kunst kaufen“, sagt sie. „Das Problem ist, dass Street Art nicht als Kunst gilt – sobald man auf einer Mauer statt einer Leinwand malt, nehmen die Leute einen nicht mehr ernst.“
Mehr noch ärgert es sie, dass Stiftungen und Unternehmen sehr wohl bereit sind, in prestigeträchtige Street-Art-Projekte zu investieren – vorausgesetzt, die Künstler stammen aus dem Westen. „Es gibt diese Vorstellung, Europäer und Amerikaner seien für solche Projekte besser qualifiziert als Araber“, sagt Hindawi. Sie beginnt, schneller zu sprechen, das Thema treibt sie sichtbar um.
„Eine Art umgekehrter Rassismus – ich weiß nicht, woher das kommt. Es hilft unserem Land nicht, wenn die Reichen ihr Geld im Ausland ausgeben anstatt ihren Mitbürgern faire Löhne zu zahlen. Manche behaupten, die hiesigen Künstler seien schlecht. Dabei fehlen ihnen bloß die Möglichkeiten. Street Art ist ein teures Hobby. Würde man ihnen eine Chance geben, dann könnten sie ihren Stil weiterentwickeln, ein hohes Niveau erreichen, und wir könnten irgendwann sagen: Wir haben exzellente Street Artists in Amman.“
Sie selbst wurde dieses Jahr zum ersten Mal auf ein Festival ins englische Bristol eingeladen. Sie freut sich darauf, auch wenn sie die Reisekosten tragen muss. Ihr Traum ist, ihren Lebensunterhalt mit ihrer Kunst zu bestreiten – „aber so lange ich hier leben, wird das wohl nie passieren.“