Frauen benötigen in Japan die Einwilligung des Mannes, wenn sie eine Schwangerschaft beenden möchten. Die Organisation „Action for Safe Abortion Japan“ will dieses Gesetz abschaffen. Eine Japanerin erzählt, wie sie gegen ihren Willen ein Kind zur Welt gebracht hat.
Von Eva Casper, Kyoto
Kazane Kajiya wusste schon als Kind, dass sie keine Mutter werden möchte. Allein die Vorstellung, dass sie schwanger werden könnte, macht ihr heute noch Angst – zumal sie in einem Land lebt, in dem sie nicht allein über eine Abtreibung entscheiden kann. Dazu braucht sie die Zustimmung des Kindsvaters. Das entsprechende Gesetz betrifft nicht nur Frauen in festen Beziehungen.
In den Medien tauchen immer wieder Berichte von Opfern von Missbrauch und Vergewaltigung auf, in denen Kliniken von den Frauen verlangt haben, eine Unterschrift des Mannes einzuholen, um abtreiben zu dürfen. Männer können Frauen also praktisch dazu zwingen, ein Kind gegen ihren Willen zu bekommen. „Mein Land bedroht meine Entscheidung, ein Leben ohne Kinder zu führen“, sagt Kajiya. In Japan sind Abtreibungen – ähnlich wie in Deutschland – illegal, bleiben aber unter bestimmten Bedingungen straffrei.
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Eine Frau kann innerhalb der ersten 22 Wochen die Schwangerschaft beenden. Bisher war das nur mit einem operativen Eingriff möglich. Die britische Linepharma hat im Juli 2021 als erste Firma überhaupt eine Zulassung erhalten, um die sogenannte Abtreibungspille in Japan zu verkaufen – mehr als 30 Jahre nachdem das Präparat entwickelt wurde. In Deutschland ist es seit 1999 erhältlich und kann bis zur 9. Schwangerschaftswoche eingenommen werden. In wenigen Fällen ist nach der Einnahme noch eine Absaugung erforderlich.
Wann genau das Medikament in Japan auf den Markt kommt, ist noch unklar. Doch schon jetzt zeichnet sich ab, dass damit den Frauen der Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen nicht erleichtert wird. Wie japanische Medien berichten, soll auch für die Einnahme der Pille die Zustimmung des Erzeugers erforderlich sein. Zudem soll eine Dosis umgerechnet 725 Euro kosten. In Deutschland liegt der Preis zwischen 200 und 500 Euro. Die Krankenkasse in Japan zahlt Abtreibungen generell nicht.
Petition mit rund 83.000 Unterschriften
Auch für Kajiya bleibt nur eine Option: Sie bekämpft das Gesetz, das die Zustimmung des Mannes erfordert. Die 25-Jährige engagiert sich in der Organisation „Action for Safe Abortion Japan“, die sich dafür einsetzt, Frauen einen sicheren Zugang zu Abtreibungen zu ermöglichen. Sie klärt Frauen zum Beispiel darüber auf, welche Medikamente sicher sind und wie sie diese online kaufen können, auch wenn sie in Japan nicht zugelassen sind. Die Organisation „Women on Web“ etwa bietet Online-Beratungen an und verschickt weltweit Abtreibungspillen an Frauen.
Die Weltgesundheitsorganisation hat die Methode der Nichtregierungsorganisation als sicher klassifiziert. Bei korrekter Einnahme sei die Wahrscheinlichkeit für schwere Nebenwirkungen bei der Abtreibungspille sehr gering. Rechtlich machen sich Frauen in Japan allerdings strafbar, wenn sie das Medikament einnehmen. Im vergangenen Jahr hat „Action for Safe Abortion Japan“ eine Petition gestartet und rund 83.000 Unterschriften gesammelt, um Druck auf die japanische Regierung auszuüben.
Sie habe das Gefühl, dass sich etwas bewegt in Japan, sagt Kajiya. Medien würden nun kritischer berichten und Frauen sich öffentlich äußern, dass sie abgetrieben haben. Durch die Petition hat Kajiya Erfahrungsberichte von Frauen gesammelt, die Probleme hatten, eine Abtreibung zu bekommen – wegen der erforderten Zustimmung des Mannes. „Ich habe gedacht, dass sich vielleicht zwei oder drei melden, aber es haben sich 58 Frauen gemeldet“, erzählt Kajiya.
Keine Spur von Muttergefühlen
Mia (*Name von der Redaktion geändert) ist eine von ihnen. Als sie im April 2019 merkt, dass sie schwanger ist, ist für sie klar: Sie will dieses Kind nicht. Doch ihr damaliger Ehemann verweigert die Unterschrift. Er habe sich auf das Kind gefreut. Doch Mia freut sich nicht. Zweimal geht sie zu einer Klinik und bittet um einen Schwangerschaftsabbruch. Zweimal weisen die Ärzte sie ab: Sie brauche das Einverständnis ihres Ehemanns. Die Unterschrift fälschen will sie nicht. Sie befürchtet, dass man sie wegen Urkundenfälschung anzeigen könnte. Und sie möchte niemanden in die Sache mit hineinziehen.
Sie willigt schließlich ein, dass Kind zu bekommen. An die Schwangerschaft hat sie eher negative Erinnerungen: Sie habe sich oft schwach gefühlt. Manchmal, wenn das Kind sich bewegte, gab es auch positive Momente: „Es lebt tatsächlich“, habe sie gedacht. Dann wieder hab sie das Gefühl gehabt, in ihrem Körper wohne ein Alien, das gegen ihre Organe presse. Das Kind kommt per Kaiserschnitt zur Welt. Es ist ein Mädchen. Doch auch nach der Geburt verbessert sich die Beziehung zwischen Mutter und Kind nicht.
Die meiste Zeit sei sie mit ihrer Tochter allein gewesen. Sie habe nur versucht, das Kind „am Leben zu halten“, erzählt Mia. Muttergefühle? Sie wisse nicht, was das sei. Ihr Mann habe oft Wutanfälle gehabt. Attackiert habe er sie aber nicht. Bis zu dem einen Tag, etwa zwei Wochen nach der Geburt. Da habe er die Hände um ihren Hals gelegt, als ob er sie würgen wolle. Mia lässt sich scheiden, er übernimmt das Sorgerecht. Das Kind sei die meiste Zeit bei seinen Großeltern. Ob sie ihre Tochter vermisse? Nein, sagt Mia. Sie hätten keinen Kontakt mehr. Manche werden Mia vielleicht für einen schlechten Menschen halten. Doch vielleicht ist es genau das, was passieren kann, wenn Frauen gezwungen werden, Kinder zu gebären: Sie lieben sie nicht.
Auswirkungen ungewollter Schwangerschaft
Einer US-Studie von 1995 zufolge zeigen Kinder, die aus einer ungewollten Schwangerschaft resultieren, ein höheres Angst-Level und eine weniger positive Grundeinstellung. Auch bei der Sprachentwicklung schneiden sie im Vergleich zu anderen Kindern schlechter ab. Sie sind häufiger in psychischer Behandlung, haben größere Probleme, sich sozial anzupassen und geraten häufiger auf die kriminelle Bahn. Auch das Risiko, dass die Kinder in ihrer Familie Gewalt erfahren, ist erhöht.
Wenn Frauen ungewollt Mütter werden, haben sie demzufolge ein höheres Risiko, an Depressionen zu erkranken. Zudem leben sie häufiger mit einem gewalttätigen Partner. Auch eine US-Studie von 2018 belegte, dass Kinder aus ungewollten Schwangerschaften sich schlechter entwickelten. Ursache und Wirkung dieser Erkenntnisse sind nicht leicht zu ermitteln. Menschen, die in prekären finanziellen Umständen oder Beziehungen leben, haben womöglich ein höheres Risiko, ungewollt schwanger zu werden.
Die Regierung in Japan hat vor Kurzem erwirkt, dass eine Unterschrift für die Abtreibung nicht mehr erforderlich ist, wenn der Partner gewalttätig ist. Allerdings ist unklar, inwiefern Frauen das nachweisen müssen: Braucht es einen Auszug aus dem Strafregister oder reicht die Aussage des Opfers? Grundsätzlich könnte eine Frau auch eine Unterschrift fälschen oder einen anderen Mann bitten, zu unterschreiben.
Konservative Regierung weckt wenig Hoffnung
Die Angaben würden nicht überprüft, sagt Kajiya. Sie hält es aber für falsch, dass Frauen sich verstecken und lügen müssen. Zudem würde manche Frauen glauben, ihnen drohten schwere Strafen, wenn sie einen falschen Namen angäben. Sie selbst habe noch nie von einem Fall gehört, in dem eine Frau bestraft wurde, weil sie falsche Angaben gemacht hat. Um das umstrittene Gesetz abzuschaffen, muss die Politik sich bewegen.
In Japan regiert allerdings seit Jahren die konservative LDP, die nicht gerade durch progressive Gesetzgebung bezüglich Geschlechtergerechtigkeit auffällt. Viele Parteimitglieder haben sogar den Ruf, enge Verbindungen zur Vereinigungskirche zu haben – auch Moon-Sekte genannt – ebenso der ehemalige Premierministers Shinzō Abe, der kürzlich vom Sohn einer Anhängerin der Bewegung ermordet wurde. Die Bewegung ist vor allem durch ihre Massenhochzeiten bekannt. Und sie ist gegen Abtreibungen und gleichgeschlechtliche Ehe. Auch ist die Politik in Japan häufig noch ein Männerverein, der Anteil an Frauen gering. Kajiya hofft, dass der gesellschaftliche Druck nicht nachlässt und die Politik zum Handeln zwingt. Bis dahin will sie sich weiter engagieren und Frauen helfen, damit sie sicher abtreiben können, wenn sie das möchten. Sie selbst hat sich online Abtreibungspillen gekauft und lagert sie zu Hause – für alle Fälle.
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