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Abtreibung in Irland
Ein Referendum und seine Folgen

4. Dezember 2019 | Von Mareike Graepel
Frauenärtzin Cliona Murphy sagt: "Viele Befürchtungen in Hinblick auf die Gesetzesänderung sind nicht eingetreten." Foto: Mareike Graepel

Früher mussten Frauen in Irland Abtreibungen heimlich oder im Ausland vornehmen lassen. Nach einem Referendum sind seit einem Jahr Abtreibungen in der Republik Irland legal, seit Mitte Oktober auch in Nordirland. Trotzdem gibt es noch immer heftige Proteste vor Praxen und Kliniken. Eine Annäherung an ein hochemotionales Thema.

Von Mareike Graepel, Dublin

Die Abtreibungszahlen in Irland sind gestiegen. Deshalb fühlen sich die Gegner*innen bestätigt: Bis zum Inkrafttreten der Gesetzesänderung im vergangenen Jahr gab es nicht hunderte, sondern „nur“ 32 Schwangerschaftsabbrüche. Offizielle Zahlen liegen für dieses Jahr noch nicht vor – aber jede Abtreibung in 2019 ist eine, die irische Frauen nicht mehr im Ausland oder mit online bestellten Tabletten zu Hause, heimlich und nicht ohne Risiko vornehmen (lassen) mussten. Zur Verdeutlichung: Bis Ende 2018 verließen neun Frauen pro Tag Irland, um etwa in England oder den Niederlanden abzutreiben, wie aus den Adressangaben in den Fragebögen der Kliniken hervorgeht.

Der Grund dafür war eines der strengsten Abtreibungsgesetze der Welt. „Selbst eine Minderjährige, die von ihrem Vater vergewaltigt wurde, war in Irland per Gesetz gezwungen, das Kind auszutragen”, so Kelly Mackey von der Nichtregierungsorganisation „Amnesty International Irland“. Entschieden sich die Frauen oder Mädchen für eine Abtreibung, drohten ihnen laut Gesetz bis zu 14 Jahre Haft. Denn mit der Befruchtung der Eizelle genoss diese das gleiche Lebensrecht wie die Mutter. Das Gesetz griff auch bei Vergewaltigung, Inzest, Gefährdung der Gesundheit und schweren oder lebensbedrohlichen Fehlbildungen des Fötus. Das Recht, eine Schwangerschaft abzubrechen, hatten nur Frauen, deren Leben bedroht war. Laut „Amnesty International“ verstieß Irland deshalb gegen die fundamentalen Rechte der Frauen und gegen internationale Menschenrechtsstandards.

 

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Mit dem Referendum am 25. Mai 2018 wurde das anders. Nach dem Aufruf #hometovote reisten zuvor Tausende von emigrierten Iren und Irinnen zur Abstimmung in ihre Heimat, wurden am Flughafen von Unterstützer*innen und Gegner*innen mit Plakaten empfangen. Sie trugen nicht nur zu einer ungewöhnlich hohen Wahlbeteiligung von rund 64 Prozent bei, sondern halfen auch, erdrutschartig die 36. Änderung der Verfassung Irlands auf den Weg zu bringen: Knapp 1,5 Millionen irische Wähler*innen stimmten dafür, Abtreibungen in der Republik zu legalisieren – und damit 66 Prozent. Ende Oktober trat schließlich auch in Nordirland – zeitgleich mit der Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe – eine entsprechende Gesetzesänderung in Kraft.

Im Süden des Landes begann das Gesetz schon vor Jahren zu wanken, als die Geschichte von Savita Halappanavar weltweit Schlagzeilen machte: Das medizinische Personal des Universitätskrankenhauses Galway hatte ihren Antrag auf Abtreibung nach einer partiellen Fehlgeburt mit der Begründung abgelehnt, dass die Erteilung ihres Antrags nach irischem Recht illegal sei. 2012 starb sie an einer Sepsis.

Demonstration für das neue Abtreibungsrecht mit vielen irischen Studierenden (Foto: Dan Linehan).

Im Anschluss daran begannen irische Frauen immer lauter ihre eigenen Geschichten zu erzählen. „Ich bin nicht euer Brutkasten“ schrieben sie bei Demonstrationen auf Banner, oder: „Wickelt eure Rosenkränze von unseren Eierstöcken“. Die Journalistin Róisín Ingle sorgte in ihrer Kolumne in der Tageszeitung „Irish Times“ für hitzige Diskussionen, als sie schrieb: „Meine Erfahrung ist nicht etwas Seltsames, Einzigartiges oder Ungewöhnliches. Es ist etwas, was viele andere Frauen in Irland und auf der ganzen Welt nachvollziehen können: Ich hatte eine Abtreibung. Ich bin froh, dass ich das getan habe.“

Oder Tara Flynn. Die Comedienne und Schauspielerin wurde mit 37 Jahren ungeplant schwanger und reiste nach Amsterdam – mit einer für sie nicht leichten, aber klaren Entscheidung im Gepäck. „Das war alles richtig. Abgesehen davon, dass ich das Kind aus genetischen Gründen vermutlich verloren hätte – in meiner Familie gab es schon so viele Fehlgeburten –  wusste ich, dass ich nicht schwanger sein wollte.“ Dabei habe ihr ihr Alter geholfen. „Besonders für jüngere Frauen ist die umfassende Beratung und die medizinische Betreuung ohne Stigmata und Schuldzuweisungen enorm wichtig. Die aktuelle Entwicklung hat lange gedauert, aber zeigt auch, wie stark Frauen Macht gemeinsam einfordern können. Das gibt mir Hoffnung.“

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„Viele Befürchtungen in Hinblick auf die Gesetzesänderung sind nicht eingetreten“, sagt Cliona Murphy, Frauenärztin und Vorsitzende des Instituts für Geburtshilfe und Gynäkologie in Dublin. Sie hat die Abschaffung des Abtreibungsverbots mit vorangetrieben. „Niemand steht Schlange, um abtreiben zu lassen.“ Es gibt Schulungen und finanzielle Anreize, um Hausärzt*innen den Zugang zum Thema zu erleichtern – bis jetzt stand an keiner medizinischen Fakultät in Irland Abtreibung im Lehrplan. „Es gibt bei weitem noch keine flächendeckende Betreuung, viele Frauen müssen für eine Abtreibung in die nächstgrößere Stadt fahren“, sagt die 50-Jährige.

Erlaubt sind heute Abtreibungen bis zur zwölften Schwangerschaftswoche, im Falle von lebensbedrohlichen Missbildungen auch später. Bis zur neunten Woche finden die durch zwei Tabletten eingeleiteten Eingriffe in Hausarztpraxen, zwischen der neunten und zwölften Woche in einem Krankenhaus statt. Unabhängig von ihren Gründen können sich Frauen an alle Einrichtungen wenden, die ‚abortion services‘ anbieten. Ärzte, Praxisgemeinschaften und Kliniken, bei denen es aus verschiedenen Gründen keine Abtreibungen gibt, dürfen dennoch niemanden ab-, sondern müssen die Patientin überweisen. Unter einer eigens eingerichteten Website und Hotline können alle Frauen und Mädchen erfahren, an wen sie sich wenden können. In den ersten acht Monaten kontaktierten den Service mehr als 9.300 Betroffene.

Verhütung war bis 1980 verboten

Auch die Zahlen in England sprechen für sich: In den ersten neun Monaten des Jahres sind 75 Prozent weniger Frauen in eine Abtreibungsklinik ins Ausland gereist. 2016 fuhren noch mehr als 3.000 Irinnen nach Großbritannien, 2001 sogar 7.000, um eine legale Abtreibung vornehmen zu lassen. Für viele irische Frauen ein teures Unterfangen – erst recht in wirtschaftlich schwierigen Zeiten.

Überhaupt war die Verhütung ungewollter Schwangerschaften lange nicht möglich. Im katholischen Irland war bis 1980 Verhütung komplett verboten, Kondome gab es bis 1985 auf Rezept. Frei im Handel erhältlich gibt es Kondome erst seit 1992. Dabei haben Menschen natürlicherweise Sex, doch in Irland berichten 42 Prozent der Frauen mindestens eine Form des sexuellen Missbrauchs erlebt zu haben. Das heißt häufig ist Sex alles andere als einvernehmlich.

Immer wieder gingen Menschen auf die Straße – wie hier in Dublin – um gegen das frühere Abtreibungsgesetz zu demonstrieren (Foto: Dan Linehan).

Außerdem erlebt laut der Irish Family Planning Association (IFPA) jede vierte Frau in Irland eine ungeplante oder Krisen-Schwangerschaft. In einer Studie von 2017 gaben 38 Prozent der irischen Paare an, keine Verhütungsmittel zu verwenden, während sich 30 Prozent auf die Coitus-interruptus-Methode verlassen. Kondome sind bei 25 Prozent der Befragten die beliebteste Form des Schutzes, gefolgt von der Anti-Baby-Pille.

Diese Zahlen belegen nicht zuletzt, dass es einen großen Bedarf an Aufklärung und Wissen über zuverlässige Verhütungsmethoden gibt. Frauenärztin Cliona Murphy gibt zu Bedenken: „Der Ruf nach besserer Aufklärung bedeutet eine große kulturelle Veränderung.“ In Irland liegt die Erziehung der Kinder und die Bildung für die Heranwachsenden in mehr als 90 Prozent der Schulen in kirchlicher Hand. Damit ist der Umgang mit Sexualität von religiösen Ansichten geprägt.

Zwar sei die Frequenz, mit der direkt vor den Eingängen der Krankenhäuser protestiert würde, seit dem Referendum zurückgegangen, dennoch gäbe es noch zu viele und zu unsachliche Demonstrationen. „Mit weißen Kindersärgen und Baby-Herztönen aus Lautsprechern stehen sie vor Hausarztpraxen oder Kliniken“, berichtet Murphy. „Das ist eine psychische Belastung nicht nur für die Frauen, die tatsächlich eine Abtreibung benötigen, sondern auch für die, die eine Fehlgeburt und ihre Folgen durchmachen. Auch das Personal fühlt sich von diesen Protesten stark belästigt.“ Laut Murphy seien viele der Demonstrant*innen zudem gar keine irischen Staatsbürger*innen, sondern rechtspopulistische US-Amerikanerinnen. „Wir haben noch einen langen und beschwerlichen Weg vor uns, aber der Anfang ist gemacht.“

 

Info: Wie ist die Situation in Deutschland?

Eine Abtreibung ist in Deutschland erlaubt, wenn eine gesundheitliche Gefahr für die Mutter durch die Schwangerschaft besteht oder diese die Folge einer Strafhandlung ist, zum Beispiel einer Vergewaltigung .Auch wenn diese Umstände nicht vorliegen, bleibt eine Abtreibung straffrei, vorausgesetzt, die Entscheidung wird nach einer Schwangerschaftskonfliktberatung und einer dreitägigen Frist getroffen. Der Abbruch darf nicht von demselben Arzt durchgeführt werden, der die Beratung vorgenommen hat.

 

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Von Mareike Graepel, Haltern

Mareike Graepel lebt in Haltern und Irland. Sie ist unser Head of Partnerships und kümmert sich um Kooperationen mit (Medien-)Partner*innen. Sie schreibt seit ihrer Jugend für lokale, regionale und überregionale Tageszeitungen und Magazine – zunächst als freie Mitarbeiterin, dann als Redakteurin und seit 2017 selbstständig als Journalistin und Übersetzerin. Ihre Themen drehen sich meist um Gesellschaft, Umwelt, Familie, Gesundheit und Kultur.

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Mareike GraepelHaltern
Die US-Amerikanerin Cindy O’Brien lebt seit den 90er Jahren in Connemara, ganz im Westen von Irland und züchtet seltene Seeschnecken. Die sogenannten japanischen Abalone gedeihen an der irischen Küste gut. Sie gelten als Delikatesse und Aphrodisiakum, kosten bis zu 44 Euro pro Kilo – und sehen aus wie Vulven.

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