Passend zur Bundestagswahl am 24. September blicken wir in unterschiedliche Länder: Wie sieht es dort mit Frauen in der Politik aus? Wie viele sind im Parlament? Welche Rolle spielen Frauen im politischen Leben? Unsere Korrespondentinnen berichten aus Russland, Chile, Israel und den USA.
Von Inna Hartwich, Moskau
„Vor uns haben wir eine Frau als eigenständigen Menschen, eine Frau, die die rostigen Fesseln ihres Geschlechts von sich reißt.“ Alexandra Kollontai war 41 Jahre alt als sie diese Zeilen 1913 in einem Essay verfasste, den sie mit „Die neue Frau“ betitelte. Sie, die Tochter eines Generals, schrieb über die unabhängige Frau, die dem Mann gleichgestellt sein sollte, in der Politik genauso wie bei der Veränderung gesellschaftlicher Prozesse. Kollontai lebte dieses Leben eines „politischen Subjekts“ und wurde – in Zeiten sowjetischer Anfänge – die erste Ministerin und Botschafterin weltweit.
Heute sind in der russischen Regierung von 31 Ministern drei Frauen. Unter den 85 Gouverneuren, also den obersten Verwaltern der Regionen, gibt es vier Frauen. In der Duma, dem russischen Parlament, sitzen insgesamt 450 Abgeordnete, davon sind 74 Frauen. Viele von ihnen vertreten eine „Anti-Frauen-Politik“. So nennt es Irina Kosterina, die für die Heinrich-Böll-Stiftung in Moskau das Programm „Geschlechterpolitik“ koordiniert. Das politische Credo im heutigen Russland laute, die Rolle der Frau sei die Rolle der Mutter. Die Frau müsse eine „demografische Schuld“ begleichen. Somit kümmere sich die Politik in erster Linie um die Gesundheit der Frau.
Vor allem Jelena Misulina, jene Abgeordnete, die im Kampf gegen die sogenannte „Homosexuellen-Propaganda“ aufgefallen war, fällt immer wieder mit absurden Vorschlägen – zum „Schutz der Familie“ – auf. So wollte sie den Verkauf von Zigaretten an Frauen verbieten. Schließlich müsse eine Frau gesund sein, um ihre wichtigste Funktion zu erfüllen: die Reproduktion. Denn „eine Frau muss eine Frau bleiben“, sagen viele in Russland, Männer wie Frauen. Sie sagen auch: „Eine Frau hat in der Politik nichts verloren.“ Und wenn sie doch in die Politik wolle, dann solle sie sich um Soziales kümmern – „weil sie ein weiches Herz hat“. Alexandra Kollontai, der sowjetischen Kämpferin für Frauenrechte wären solche Haltungen vollkommen fremd.
Von Sophia Boddenberg, Santiago de Chile
Am 11. März 2006 wurde Michelle Bachelet als erste Frau der Geschichte zur Präsidentin Chiles ernannt. Sie ist außerdem Executive Director der UN-Frauen-Organisation UN Women. Bachelet hat zwar versucht, die Rolle der Frau in der Gesellschaft und in der Politik zu stärken, aber trotzdem sind Frauen in der chilenischen Politik stark unterrepräsentiert.
UN Women zufolge sind nur 15,8 Prozent der Politiker im chilenischen Parlament Frauen. Im Abgeordnetenhaus sind von 120 Abgeordneten 19 Frauen. Von den 38 Senatssitzen sind nur sechs von Frauen besetzt. Damit befindet sich Chile unter dem lateinamerikanischen Durchschnitt, der bei 25,2 Prozent Frauenanteil im Parlament liegt. Nur Guatemala, Brasilien und Paraguay schnitten noch schlechter bei der Geschlechtergleichheit im Parlament ab.
Trotzdem sind in den letzten Jahren immer mehr Frauen in führenden politischen Positionen in die Öffentlichkeit getreten. Da ist zum Beispiel Camila Vallejo, Ikone der chilenischen Studentenbewegung, seit 2013 sitzt sie für die Kommunistische Partei im Parlament und will die Bildung reformieren. Oder Beatriz Sánchez, Präsidentschaftskandidatin der neuen Bürgerbewegung „Frente Amplio“, die im November zum ersten Mal bei der Präsidentschaftswahl antritt. Sie wirbt im Wahlkampf für ein „feministisches Chile“. Mit der erstarkenden feministischen Bewegung in Chile werden auch die Forderungen nach mehr politischer Teilhabe und politischer Repräsentation immer lauter.
Von Mareike Enghusen, Tel Aviv
Der Westen sieht sich gern als Vorreiter der Emanzipation – doch eine Präsidentin oder Premierministerin? Da waren Länder in anderen Weltteilen schneller, namentlich in Asien (Indien, Mongolei) – und ausgerechnet im Nahen Osten. Schon 1969 errang die in der Ukraine geborene Golda Meir das Amt des israelischen Regierungschefs, nachdem ihr Vorgänger überraschend im Amt verstorben war. Golda Meir ist – ähnlich wie die britische Margaret Thatcher – eine Enttäuschung für all jene, die glauben, Frauen wären zwangsläufig die sanfteren Politiker: Nach dem „München-Massaker“ 1972, bei dem palästinensische Terroristen elf israelische Olympia-Athleten ermordeten, schickte Golda Meir Geheimagenten los, um die Attentäter einen nach dem anderen aufzuspüren und umzubringen.
Nach Golda Meir, die 1974 nach dem desaströsen Yom-Kippur-Krieg abdankte, schaffte es allerdings keine israelische Politikerin mehr an die Regierungsspitze. Zwar mangelt es nicht an ehrgeizigen Frauen mit Biss; die heute 59-jährige Tzipi Livni hielt seit 2001 mehrere Ministerämter, darunter das der Außenministerin, verhandelte mit den Palästinensern und führte jahrelang die israelische Opposition an (außerdem hatte sie nach eigener Aussage als junge Mossadagentin an der Vergeltungsaktion für das München-Massaker teilgenommen).
Im Kabinett der aktuellen Regierung sitzen immerhin vier Frauen – ein israelischer Rekord, der allerdings weniger beeindruckt, wenn man weiß, dass ihnen 22 Männer gegenüberstehen. Obwohl der Anteil weiblicher Politiker seit Jahrzehnten steigt, sind Frauen in der israelischen Politik nach wie vor unterrepräsentiert. 28 Prozent der Abgeordneten sind weiblich – mehr als in den USA (19 Prozent), weniger als in Deutschland (37 Prozent). Die beiden ultraorthodoxen Parteien, die derzeit an der Regierungskoalition beteiligt sind, lassen überhaupt keine Frauen in ihren Reihen zu. Und die Aussichten auf einen weiblichen Regierungs- oder Staatschef sind in den kommenden Jahren gering. Tatsächlich halten viele Israelis derzeit Sara Netanyahu für die mächtigste Frau des Landes. Die trägt zwar kein Regierungsamt, ist aber mit Premier Benjamin Netanjahu verheiratet – und unbestätigten, aber hartnäckigen Gerüchten zufolge hat sie ihn fest im Griff.
Von Veronika Eschbacher, Los Angeles
Es war Ende März 1776, als Abigail Adams einen Brief an ihren Ehemann John Adams verfasste, der selbst, mehrere Reisetage von ihr entfernt in Philadelphia an einem historischen Schriftstück arbeitete – der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung. „Ich wünsche, dass Du Dich der Frauen erinnerst“, schrieb sie dem Gründungsvater der USA und späteren zweiten Präsidenten. Würde den Frauen keine besondere Beachtung geschenkt, fuhr Abigail Adams in ihrem oft zitierten Brief fort, sei sie entschlossen, eine Rebellion zu entfesseln – „und wir werden uns an keine Gesetze gebunden fühlen, in denen wir keine Stimme haben oder Repräsentation.“
Nun, mit den Stimmen der Frauen und ihrer Repräsentation ist es in den USA seither nicht weit gediehen. Im Schnitt sind gut ein Fünftel der politischen Repräsentanten in Amerika weiblich. Im US-Kongress sind heute 105 von 535 Abgeordneten Frauen, das sind 19,6 Prozent. Die Wahl im vergangenen November brachte hier in der absoluten Zahl keine Veränderung, es gab nur eine minimale parteipolitische Veränderung von 77 demokratischen und 28 republikanischen Repräsentantinnen auf 78 Demokratinnen und 27 Republikanerinnen, die heute im US-Kapitol in Washington D.C. sitzen.
Was die Lenkung der US-Bundesstaaten betrifft, ist der Trend zu weiblicher Führung indes rückläufig. Waren es 2004 bereits neun, führen heute lediglich sechs weibliche Gouverneurinnen und zwölf Vize-Gouverneurinnen die 50 US-Bundesstaaten. In den gesetzgebenden Organen der Bundesstaaten gibt es 1.844 weibliche Abgeordnete, das sind knapp 25 Prozent. Seit 1971 hat sich diese Zahl verfünffacht, doch die Unterschiede innerhalb der Bundesstaaten sind massiv. Die meisten finden sich in Nevada (39,7 Prozent), die wenigsten in Wyoming (11,1 Prozent). Insgesamt repräsentieren mehr Demokratinnen Frauen als Republikanerinnen.
Die „Fünftel-Regel“ zieht sich auch auf lokaler Ebene durch. Von den hundert größten Städten in den USA hatten im Juni dieses Jahres 20 Bürgermeisterinnen. Sie führen die Geschicke von Washington D.C., Las Vegas oder Nashville. Vier Bürgermeisterinnen sind Afroamerikanerinnen, eine Latina und zwei asiatisch-amerikanisch. Der amtierende US-Präsident Donald Trump, der im November mehr Wahlmännerstimmen als Hillary Clinton gewann hält indes den weiblichen Anteil in seinem Kabinett auf einem Minimum.
Rund 27 Prozent der Kabinettsposten sind mit Frauen besetzt, darunter die zwei Ministerposten für Transport und Bildung, die Vertretung bei den Vereinten Nationen sowie die Leitung der Small Business Administration. Berühmt-berüchtigt sind inzwischen die Fotos aus dem Weißen Haus, die praktisch ausschließlich Männer rund um Trump zeigen. In einem Bericht über die vom Weißen Haus angestrebte Reform von „Obamacare“ zeigte der Schriftsteller und Journalist David Bernstein das Fehlen von Frauen auf. Als es um „Trumpcare“ ging, sagte er, „wurden Hühner öfter als Frauen erwähnt“.